Die Wahl bewegt Österreich - aber die Begeisterung hält sich in Grenzen. So lässt sich wohl die Grundstimmung vor der Nationalratswahl an diesem Sonntag beschreiben. Mediale Bewegung gab es in den vergangenen Wochen genug. Allein die Zahl der sogenannten Wahlduelle des ORF zwischen den Parteien in Kombination mit diversen "Elefantenrunden" und dem Angebot der privaten Medien erreichte ein historisches Hoch. In Sachen inhaltliche Qualität und Themensetzung durch die Kandidaten kann man das weniger behaupten.
Eigentlich sollte ja erst in drei Jahren gewählt werden, wäre da nicht das viel zitierte "Ibiza-Video" gewesen. Die Veröffentlichung des Mitschnitts mit dem FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache auf der spanischen Urlaubsinsel Mitte Mai hatte - für Österreich unüblich - rasche und drastische Konsequenzen: Bereits am nächsten Tag erfolgte Straches Rücktritt als Vizekanzler und FPÖ-Chef; ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz kündigte Neuwahlen an.
Deutlich vor allen anderen Parteien
Im weiteren Verlauf der Krise ereilte den jüngsten Regierungschef Österreichs ein auch vom Ex-Koalitionspartner FPÖ unterstützter Misstrauensantrag. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik musste ein Bundeskanzler durch ein Votum des Parlaments sein Amt abgeben. In der Folge ernannte Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine Übergangsregierung aus Experten. An ihrer Spitze steht mit der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichts Brigitte Bierlein eine Frau - auch das eine Premiere.
So tiefgreifend die politischen Veränderungen waren; die Folgen für den Wahlausgang zeichnen sich seit Monaten recht klar ab: Alle Umfragen sehen die ÖVP mit Kurz bei rund 35 Prozent. Das entspricht etwa ihrem Abschneiden bei der Europawahl nach der "Ibiza-Affäre" im Mai. Die Türkisen liegen damit deutlich vor allen anderen Parteien.
Seit "Ibiza" etwas erholt
Mit mindestens zehn Prozentpunkten Abstand sehen die Demoskopen die SPÖ, wenig dahinter die FPÖ. Letztere hat sich seit "Ibiza" etwas erholt - und konnte mit einem Opfer-Narrativ die Reihen unter den Stammwählern dicht halten. Ein Comeback steht den Grünen bevor, die vor zwei Jahren nicht zuletzt wegen des erfolgreichen Antretens des Ex-Grünen Peter Pilz (nun Liste Jetzt) aus dem Parlament flogen. Dieses Schicksal droht dafür jetzt Pilz. Gesetzt sind indes die liberalen Neos, für die ein Ergebnis unter zehn Prozent prognostiziert wird.
Wenig Spannung durch stabile Umfragewerte - auch dadurch bewegt die bevorstehende Wahl die Bürger emotional weit weniger als noch vor zwei Jahren. Polarisierten damals Fragen rund um Flucht und Migration, aber auch die Islamdebatte, so sind diese Aspekte diesmal deutlich in den Hintergrund getreten. Klimapolitik eignet sich in der Alpenrepublik angesichts weitgehender Übereinstimmung unter den Konkurrenten nicht als Aufregerthema. Und scheinbar endlose Debatten über Wahlkampfkosten, Hintermänner von Videos und Hacker-Attacken wirken eher ermüdend.
Inhaltsleerer Wahlkampf
Darum verwundert nicht, dass die kirchliche Presse fast einen inhaltsleeren Wahlkampf kritisiert. Rationale Argumente seien auf der Strecke geblieben; dafür gebe es umso mehr "unappetitliche Ringkämpfe". Dabei hatten sich kirchliche Institutionen um eine Versachlichung der politischen Debatte bemüht. Die an alle Parteien gerichteten Fragenkataloge zu Familie, Integration, Soziales, Pflege, gesellschaftlichen Zusammenhalt oder Bioethik konnten den Wahlkampf aber nur wenig beeinflussen.
Religiöse Themen spielten (außer im Kontext der geforderten Eindämmung des "politischen Islam") kaum eine Rolle. Einige Schlagzeilen gab es zum geplanten Ethikunterricht für alle Schüler, die keinen Religionsunterricht besuchen. Von den Kirchen befürwortet, wurde er noch von der ÖVP-FPÖ-Regierung vorbereitet, schaffte es aber nicht mehr ins Parlament. Der Ethikunterricht wird wohl auf der Agenda bleiben, zumal seine Einführung 2020 weiter vom Bildungsministerium vorbereitet wird.
Ist das wegen der "Ibiza-Affäre" beschämende politische Sittenbild und die starke Beschäftigung der Parteien mit sich selbst ein Grund dafür, nicht zur Wahl zu gehen? Hoffentlich nicht, betonen unisono nicht zuletzt christliche Stimmen im Land. Dafür sei das Wahlrecht zu wertvoll.