DOMRADIO.DE: Mit welchem Gefühl sehen Sie aktuell die hohe Anzahl an Kirchenaustritten?
Dr. Werner Kleine (Katholische Citykirche Wuppertal): Die aktuellen Zahlen haben natürlich eine ganz besondere Geschichte, wobei wir hier in Wuppertal bisher gar keine erhöhten Zahlen verzeichnen. Auch in den nächsten Monaten erwarten wir die nicht. Das scheint ein spezielles Problem der Rheinschiene Köln-Bonn-Düsseldorf zu sein. Vielleicht liegt das Bergische Land dann doch so dazwischen, dass es so ein bisschen wie das Schneewittchen-Land ist.
In Köln steckt hinter diesen erhöhten Zahlen vielleicht eine ganz bestimmte Geschichte. Ansonsten hat die Essener Kirchenaustritt-Studie gezeigt, dass es zwei klassische Peaks gibt. Einer ist mit Mitte 20, einer ist mit Mitte 40. Das sind zwei relevante Zeitpunkte.
Mit Mitte 20 bekommt man nach Studium und Ausbildung die erste Gehaltsabrechnung, ist aber voll in der Familiengründungsphase, kann jeden Euro gebrauchen und mit Mitte 40 ist ohnehin eine krisenhafte Situation. Da sind auch die Scheidungszahlen sehr hoch. Da wird wahrscheinlich etwas Ähnliches sein.
Man muss schon sagen, dass auch das finanzielle Moment für viele eine Rolle gespielt hat. Das wird man aber gegenwärtig so nicht ohne weiteres sagen können, weil wir natürlich im Moment eine hohe Unzufriedenheit mit der Situation der Kirche haben mit der Aufarbeitung des Missbrauchs.
Da reagieren einfach viele, die den Kaffee aufhaben und zeigen da auch durch ihren Austritt ein Statement.
DOMRADIO.DE: Wie gehen die Gemeinden vor Ort damit um, wenn jeman aus der Kirche austritt? Wird es einfach registriert oder melden sie sich nochmal bei den Leuten?
Kleine: Das ist eine ganz besondere Geschichte. Da haben wir die Fäden leider gar nicht selbst in der Hand. Der Austritt wird ja beim Amtsgericht erklärt und ist formal der Austritt aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts, in unserem Fall der römisch-katholischen Kirche. Das Amtsgericht veröffentlicht eine Zahl. Wir hier in Wuppertal bekommen monatlich eine Zahl.
Ich bin also immer ziemlich nah dran, wie viele Menschen ausgetreten sind, weiß aber noch nicht wer. Das wird erst einmal in die Meldeämter eingespielt und die Einwohnermeldeämter melden das ihrerseits dann an das Meldewesen. Wir haben da unter Umständen mit einem Zeitverzug von drei bis sechs Monaten zu rechnen.
Drei bis sechs Monate nach dem erfolgten Austritt schicken viele Gemeinden einen Brief an den Ausgetretenen, der mal mehr oder weniger geschickt formuliert ist. Oft beinhalten die aber ein Gesprächsangebot. Ich weiß, dass hin und wieder diese Gesprächsangebote auch angenommen werden.
In vielen Fällen stößt dieser Brief aber auch auf Unverständnis, wenn man sagt: Jetzt, wo ich ausgetreten bin und dann auch Monate später, da kommen sie plötzlich und erinnern sich an mich. Deshalb plädiere ich dafür, doch stärker präventiv tätig zu werden. Wenn der Austritt erfolgt ist, ist erst einmal ein Faktum geschaffen worden.
Wir müssten also präventiv tätig werden, dass wir vor dem Austritt schon solche Angebote machen. Deshalb gibt es ja unter anderem die katholische Citykirche Wuppertal. In Nicht-Corona-Zeiten bewegen wir uns in der Öffentlichkeit. Wir sind auf den Straßen und Plätzen der Städte vertreten, sind da ansprechbar für die Leute.
Wir haben eine Sprechstunde für Kirchenkritiker und Zweifler, wo Menschen mit ihrer Wut, ihrem Unverständnis, mit was auch immer kommen können und wir das ins Gespräch bringen. Und das bringt - glaube ich - schon etwas, dass wir da signalisieren: Wir sind für euch da. Wir sind im Gespräch, sprecht uns an. Wir können über alles reden, auch wenn diese Gespräche - wie man immer so schön sagt - ergebnisoffen sind.
Wir werden den einen oder anderen Austritt dadurch verhindert haben, aber den einen oder anderen eben auch nicht.
DOMRADIO.DE: Was sind denn die Gründe von Menschen, wieder zurückzukommen und was müssen sie tun, wenn sie wieder zurück möchten?
Kleine: Die Motivation ist ganz unterschiedlich. Manch ein Grund ist ganz banal. Da möchte jemand bei einem kirchlichen Arbeitgeber arbeiten: katholischer Kindergarten, bei der Caritas, wie auch immer. Das ist ganz banal, muss man einfach erst einmal zur Kenntnis nehmen.
Andere Gründe gibt es aber durchaus auch aufgrund einer persönlichen Lebensgeschichte. Ich habe gerade ganz aktuell jemanden, der wieder eintreten möchte, dessen Mutter vor einigen Wochen verstorben ist, für den das so ein Punkt zum Umdenken war, der sich da wohl fragte, wohin er in seinem Leben eigentlich will und wie seine Beziehung zu dieser Kirche ist, aus der er mal ausgetreten ist.
Diese Person ist 2010 im Rahmen der ersten Missbrauchskrise auch aus Wut ausgetreten und hat jetzt gut zehn Jahre mit dem Austritt gelebt und kommt jetzt durch den Tod seiner Mutter ans Nachdenken und sagt, dass Kirche mehr ist als das und er seinen Teil da haben will und ihm eigentlich etwas fehlt.
Es ist also eine ganz große Bandbreite, warum Leute in die Kirche eintreten. Wenn man wieder eintritt, muss man seinen Taufschein mitbringen. Man muss seine Austrittsbescheinigung mitbringen, sofern man die noch hat. Zumindest sollte man benennen können, wann der Austritt erfolgt ist.
Und dann ist das bei uns Katholiken so, dass immer der zuständige Ortsbischof, in unserem Fall also Erzbischof Woelki, sein Einverständnis geben muss. Das macht natürlich die Stabsabteilung Kirchenrecht, die bearbeitet diese Fälle, da wird ein Antrag hin gestellt. Da werden dann verschiedene Dinge auch nochmal geprüft, der eherechtliche Status zum Beispiel und so weiter.
Und wenn wir dann die Genehmigung bekommen, dann kann dieser Mensch wieder in die Kirche aufgenommen werden. Das geschieht in der Regel im Rahmen eines kleinen feierlichen Gottesdienstes.
Das Interview führte Dagmar Peters.