Was macht die Pandemie mit finanziell schwachen Menschen?

Viele Hürden

Enge Wohnungen, Kinder ohne Zugang zu Homeschooling und Obdachlose, die zu Freunden ziehen müssen: Die Pandemie trifft Menschen in prekärer Lage besonders hart. Viele Probleme werden in Schutzverordnungen nicht berücksichtigt.

Mund-Nase-Schutzmaske in einer Pfütze / © fotokalua (shutterstock)
Mund-Nase-Schutzmaske in einer Pfütze / © fotokalua ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wer ist von diesen Ausgangsbeschränkungen besonders stark beeinträchtigt?

Michael Oschmann (Diakon in der katholischen Pfarrgemeinde Hl. Johannes XXIII): Mit Blick auf den Kölner Norden - Chorweiler, Seeberg und Umland - muss ich ehrlich sagen, dass die Ausgangsbeschränkung an sich nicht so das große Problem ist, weil doch gerade in Chorweiler auf den öffentlichen Plätzen auch im Normalbetrieb abends eher Ruhe einkehrt. Sicherlich gibt es Jugendliche und junge Leute, die sich treffen. Auch im öffentlichen Raum, aber auch nicht mehr als anderswo - eher weniger.

DOMRADIO.DE: Die Wohnsituation einiger Menschen ist noch um einiges enger als ohnehin schon, wenn sie abends nicht mal rausgehen dürfen oder von zu Hause arbeiten oder lernen müssen. Was sagen Ihnen Betroffene dazu?

Oschmann: Oftmals bekommen wir mit, dass Wohnungslose bei Freunden unterkommen, die normalerweise gar nicht in den Wohnungen und in diesen Haushaltsgemeinschaften wären, die jetzt aber dort mit leben, bis eine neue Lösung gefunden ist. Das macht natürlich vor dem Hintergrund von Corona die Situation problematisch, weil hier dann Menschen zusammenkommen, die sonst nicht zusammen sind.

Was die enge Wohnsituation betrifft: Die Quadratmeter sind in der Regel kleiner. Das macht natürlich das Aushalten von der heimischen Situation, insbesondere wenn Kindergärten und Schulen geschlossen sind, extrem schwierig. Viele Bewohner und Bewohnerinnen bei uns sind in Arbeitsverhältnissen, die keine Homeoffice-Lösung zulassen, weil es oftmals Minijobs oder andere prekäre Arbeitsverhältnisse sind. Die müssen vor Ort getan werden, wenn die Menschen in der Gebäudedienstleistung oder in der Fertigung oder so tätig sind.

Aber den Kindern und Jugendlichen, die als Schülerinnen und Schüler zu Hause sind, fehlt oftmals die notwendige Ausstattung fürs Homeschooling. Da können wir uns zwar bemühen und auch die möglichen Hilfen über Jobcenter et cetera beantragen, aber oftmals ist es ja so, dass die Ämter und das Jobcenter selbst gerade im Homeoffice-Modus sind. Das macht natürlich alles unerträglich langsam, zumal die Flexibilität der Ämter und Jobcenter, was die sprachlichen Schwierigkeiten der Kommunikation betrifft, sehr zu wünschen übrig lässt. Es gibt Situationen, die als Standard am Telefon oder in der einen Amtssprache einfach nicht funktionieren und die erforderliche Begleitung durch uns ist oft nicht möglich.

DOMRADIO.DE: Sie helfen auch vielen bedürftigen Menschen mit Lebensmitteln aus. Kann so eine Lebensmittelausgabe unter Corona-Auflagen aktuell reibungslos stattfinden?

Oschmann: Da bin ich mit unserem Team ein bisschen stolz drauf, dass wir bisher trotz Corona keinen einzigen Tag zu hatten. Aber es betrifft ja nicht nur die Lebensmittelausgabe. Wir haben selbstverständlich auch bei den vielen sozialen Projekten alles das runtergefahren, was während Corona sinnvoll ist, um die Pandemie einzudämmen. Das sind meistens Projekte, die mit Teilhabe zu tun haben. Aber die erforderlichen oder besser gesagt notwendigen Projekte müssen halt, wenn es irgendwie geht, weiter funktionieren.

Da gehört eben auch die Lebensmittelausgabe dazu, die Sozialberatung oder beispielsweise die Mieterkontaktstelle. Das ist im Moment unserer Aufgabe, dass wir uns gangbare Lösungen einfallen lassen und die auch dauernd anpassen. Denn tatsächlich kommt das alles in der Corona-Schutzverordnung gar nicht vor. Einzelhandel ja, Kinder- und Jugendarbeit - was Kitas und Schulen betrifft - auch schon, aber alles andere lebt vom vagen Vergleichen. Da hoffen wir jedes Mal, dass wir nach besten Kräften schon alles richtig machen.

DOMRADIO.DE: Obdachlose Menschen sollen auch bei der Impfung priorisiert werden. Und Sie fordern auch, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst schnell geimpft werden. Warum ist das so wichtig?

Oschmann: Es ist so: Die Not der Menschen, die in irgendeiner Form aufgrund einer Problemlage zu uns kommen - das erreichbar werden von Hilfe, lässt doch die Vernunft immer wieder ein bisschen in den Hintergrund rücken. Da müssen wir oftmals für die Menschen ein Stückchen mit schauen und achten. Unsere Ehrenamtler stehen schon täglich mitten im Gewühl und mitten in vielen Menschen und haben da ein erhöhtes Risiko. Auf eigene Initiative hin - das geht schon etwas länger - haben wir letzte Woche endlich Antwort von der Ethikkommission der Stadt Köln bekommen, dass wir auch in die Liste aufgenommen worden sind. Zwar nur bei den Überdosen, aber immerhin besteht eine Chance aufs Impfen und darauf, etwas mehr geschützt zu sein. 

Das Interview führte Julia Reck. 


Quelle:
DR