Viele Kirchenmitglieder verzichten auf Weihnachtsgottesdienst

"Messe nicht erkennbar wichtig"

Gehen sie oder nicht? Was die Zahl von Gottesdienstbesuchern an Weihnachten betrifft, liegen die Prognosen von Instituten weit auseinander. Unabhängig davon, wie viele es nun sein werden, fehlt aber offenbar manchem Kirchgänger die Relevanz.

Gottesdienstbesucher hält ein Gotteslob in den Händen / © Jörg Loeffke (KNA)
Gottesdienstbesucher hält ein Gotteslob in den Händen / © Jörg Loeffke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Viele Pfarrer - katholische, evangelische und freikirchliche – erhoffen sich von den Weihnachtskirchenbesuchern welche für die Sonntagsgottesdienste zu gewinnen. Warum glauben Sie, wird ihnen das nicht gelingen?

Erik Flügge (Autor und Politikberater): Ich glaube, dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist das, was man an Weihnachten erlebt, ein wenig rührig und emotional. Für die allermeisten Menschen hat es aber keine Relevanz mehr, weil der Gottesdienst für die Leute nicht mehr erkennbar wichtig ist für ihr Seelenheil oder für ihr Leben im Alltag und weil in häufigen Fällen auch in den Weihnachtspredigten wenig von Belang gesagt wird.

DOMRADIO.DE: Aber Theologen setzen gerne auf Bilder, Metaphern: "Ich bin der Weinstock, Ihr seid die Reben", "Kleines Senfkorn Hoffnung". Ist das nicht eine gute Idee, um sich etwas vorstellen zu können?

Flügge: Diese Bilder sind Bilder, die mit dem Alltag der Leute gar nichts zu tun haben. "Kleines Senfkorn Hoffnung", wer hat das in seiner Alltagssprache, wenn man mit anderen Menschen spricht, noch zur Verfügung. Was sagt das eigentlich jemandem? Man muss im Kommunionsunterricht gewesen sein, um zu verstehen, was damit gemeint ist. Dass es ein sehr kleines Korn ist, das einen riesen Baum entstehen lässt. Wer von uns hat einen solchen Baum im Garten? Das sind alles Themen, die eigentlich irrelevant sind für die Leute. Warum sollte ich mich überhaupt darüber unterhalten? Was bringt mir das? Warum sollte ich mich damit beschäftigen? Diese Gründe findet eigentlich niemand mehr, der diese Predigten hört. 

DOMRADIO.DE: Ich zitiere mal ein Stück Bibel, wie es auch möglich ist, also eine neue Art der Sprache, Internetsprache nämlich. "Im Anfang war die Universe leer u schwarz wie 1 Coke Zero am bimsen, also buildete Gott 1 Earth u 1 Heaven. Aber die Earth war dark wie 1 Berghain u needete 1 Boss-Transformation...". Herr Flügge, ist das besser?

Flügge: Ich finde, das ist ein typischer Fall von sich viel zu sehr bemühen, einer Jugendkultur näherzukommen. Völlig unangenehm, völlig bemüht, neben der Spur, weil auch niemand glaubt, dass irgendein Theologe ernsthaft so spricht. Das ist das Gleiche wie das Senfkorn Hoffnung. Wenn man normalerweise mit Theologen abends in der Kneipe sitzt oder sich mit denen unterhält, sprechen die auch eine ganz normale Alltagssprache. Im Gottesdienst kommen dann plötzlich diese Senfkornbilder auf. Sie gehen in eine virtuelle Theologenrolle hinein. Und das andere Extrem sind dann genau solche Pseudo-Übersetzungen, Pseudo-Modernismen, in denen man sagt, jetzt adaptiere ich mal irgendeine Kultur, die ich nicht verstanden habe. Ich glaube, der Trick ist einfach, ganz bei sich zu sein, völlig normal zu bleiben und aus der eigenen Position, dem eigenen Glauben heraus auch eine Weihnachtspredigt zu halten.       

DOMRADIO.DE: Noch mal zur Ausgangsfrage: Wie bekommen wir das hin, dass ein Christmettenbesucher sagt: Das finde ich gut, dahin komme ich zurück? Was muss der Pfarrer leisten?

Flügge: Ich bin mir unsicher, ob der Pfarrer das überhaupt leisten kann. Vielleicht muss man da auch mal für sich den Druck herausnehmen. Die Kirche als solche beantwortet nicht mehr die Frage, warum sie eigentlich relevant ist. Viele Menschen glauben nicht mehr an das Leben nach dem Tod, viele glauben nicht mehr an die Wirksamkeit des Gebetes. Selbst viele Kirchenmitglieder glauben das nicht mehr. Das heißt, sie erkennen gar keinen Grund, warum sie dort hin gehen sollten. Aber für sie ist Kirche, Kirchlichkeit und generell der Glaube noch ein Thema. Das bedeutet für sie aber im Umkehrschluss, ich muss am Sonntag gar nicht in den Gottesdienst kommen. Solange diese Relevanzfrage generell nicht beantwortet und geklärt wird, werden die Leute auch nicht wieder vermehrt in Gottesdienste kommen. An Weihnachten erkennen sie dann die Relevanz für ihre Festchoreographie. Man geht dort mit der Familie hin, es gehört dazu, es macht einen schönen würdigen Rahmen für das Weihnachtsfest. Und dass die Leute an Weihnachten überhaupt da sind, ist ja auch schon ein ganz eigener Wert.

Das Gespräch führte Tobias Fricke. 


Erik Flügge: Autor und Politikberater / © David Sievers (privat)
Erik Flügge: Autor und Politikberater / © David Sievers ( privat )
Quelle:
DR