Vatikan besteht auf der Versorgung von Komapatienten

Vincent Lambert und sein Recht auf Ernährung

Ein moralisches Dilemma: Soll ein Mensch ohne Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins weiterernährt werden? Der Vatikan unterscheidet hier zwischen aussichtsloser Therapie und dem Grundrecht auf Nahrung und Wasser.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Eine Pflegekraft im Krankenhaus / © Harald Oppitz (KNA)
Eine Pflegekraft im Krankenhaus / © Harald Oppitz ( KNA )

Als einziger bekommt vermutlich Vincent Lambert nichts mit von dem ebenso bizarren wie dramatischen Streit, der um sein Leben entbrannt ist. Seine Eltern wollen ihn, der seit einem Motorradunfall 2008 in einer Art Wachkoma liegt, am Leben erhalten, während seine Ehefrau gemeinsam mit mehreren Ärzten dafür ist, die künstliche Ernährung des 42-Jährigen einzustellen und ihn damit sterben zu lassen.

Inzwischen hat sich der Vatikan mit einer ethischen Stellungnahme zu Wort gemeldet und die Unterscheidung zwischen einer sinnlosen Therapieverlängerung und einer stets gebotenen Grundversorgung angemahnt.

Der Fall Lambert erinnert an Schicksale wie die der jungen Italienerin Eluana Englaro, die 2009 nach 17 Jahren im Koma starb, oder der US-Amerikanerin Terri Schiavo, die 2005 den Tod fand, nachdem sie 15 Jahre bewusstlos lag. In beiden Fällen hatten Angehörige die Einstellung der Wasser- und Nahrungszufuhr erstritten, in beiden Fällen war die katholische Kirche dagegen.

Grundsatzurteil zu der Frage

Im September 2007 fällte die Römische Glaubenskongregation ein Grundsatzurteil zu der Frage. Demnach müssen Wachkoma-Patienten dauerhaft ernährt werden, auch wenn nach ärztlichem Ermessen keine Hoffnung besteht, dass die betreffende Person das Bewusstsein je wiedererlangt.

Es gehe darum, den Patienten durch ein "verhältnismäßiges Mittel der Lebenserhaltung" vor Leiden und Tod durch Verhungern und Verdursten zu bewahren, hieß es. Der Abbruch einer künstlichen Ernährung sei lediglich dann gerechtfertigt, "wenn Nahrung und Wasser vom Körper des Patienten nicht mehr aufgenommen oder ihm verabreicht werden können, ohne erhebliches physisches Unbehagen zu verursachen".

Ähnlich argumentieren jetzt die Ethik-Fachstellen des Vatikan - die Päpstliche Akademie für das Leben und die Behörde für Laien, Familie und Leben - im Fall Lambert: Der "vegetative Status" eines Patienten schränke weder dessen Menschenwürde noch seine Grundrechte auf Leben und elementare Betreuung ein. Ernährung und Flüssigkeitszufuhr stellten in keinem Fall die Fortsetzung einer aussichtslosen Therapie dar, solange der Organismus die Stoffe aufnehmen könne und die Person dadurch keine unerträglichen Schmerzen oder Schädigungen erleide.

Damit folgen die Leiter der beiden Kurieneinrichtungen, Erzbischof Vincenzo Paglia und Kardinal Kevin Farrell, der Linie der Glaubenskongregation. Sie nennt die Grundversorgung von Komapatienten "ein natürliches Mittel der Lebenserhaltung und keine medizinische Behandlung". Im Unterschied zu einem Ernährungsabbruch sieht die Kirche einen Therapieverzicht unter gewissen Umständen als moralisch erlaubt an; und zwar, wenn medizinische Maßnahmen "nur eine kurze und schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken würden".

"Euthanasie durch Unterlassung"

Die Verweigerung von Nahrung und Flüssigkeit käme "einer Euthanasie durch Unterlassung" gleich, kommentierte die Kongregation damals. Ein dauerhaft bewusstloser Patient habe auch ein Recht auf notwendige pflegerische und medizinische Maßnahmen wie Bluttransfusionen, Schmerzlinderung oder die Vorsorge gegen Komplikationen, die mit der Bettlägerigkeit verbunden seien. Die Belastung der Angehörigen oder des Gesundheitssystems seien kein moralischer Grund, Patienten dem Tod zu überlassen.

Der damalige Untersekretär der Kongregation, Joseph Augustine Di Noia, betonte in Zusammenhang mit der Entscheidung von 2007, die Kirche rede nicht einer "exzessiven Lebensverlängerung" das Wort; Patienten im Dauerkoma befänden sich jedoch nicht in einem Zustand, in dem der Tod unmittelbar bevorstehe. Daher sei die Versorgung mit Flüssigkeit und Nahrung eine gewöhnliche und angemessene Maßnahme.

Dem Argument einer fehlenden Lebensqualität hielt Di Noia den theologischen Grundsatz der Unverfügbarkeit des Lebens entgegen.

Eluana Englaro starb am 9. Februar 2009 in einem Pflegeheim in Udine, zwei Tage nachdem ihre Ernährung endgültig eingestellt worden war.

Zuletzt hatten die Staatsspitzen um ihren Fall gerungen. Der Vatikan mahnte nach dem Tod zu Besinnung. Erzbischof Rino Fisichella, damals Präsident der Akademie für das Leben, kritisierte den Medien-Hype um Englaro als "Initialfehler", der eine falsche Frontstellung erzeugt habe.

Ermittlungsverfahren gegen den Vater der Patientin und gegen beteiligte Ärzte und Pfleger wurden später eingestellt. Englaro erhielt ein katholisches Begräbnis unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf dem Dorffriedhof von Paluzzo. Der Pfarrer nannte sie "ein Edelweiß, wiedergeboren auf den Felsen nach einem langen Winter".


Quelle:
KNA