Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat viel scheinbar Unüberwindliches und Trennendes auftürmen lassen. Institutionen, Gesprächsformate, Städtepartnerschaften und andere Orte, in denen Begegnung der Länder und Kulturen über alle Differenzen hinweg als Bereicherung verstanden und gelebt wurde, sind eingestellt.
Angesichts der Zerrüttung kommen bestehenden, fast unscheinbaren Fäden von Respekt und Ehrfurcht eine umso größere Bedeutung zu. Eines dieser Bänder spannt sich von Bad Münstereifel im Kreis Euskirchen in die Hauptstadt der russischen Föderation nach Moskau. Der am 10. August 1780 in einer Apothekerfamilie in Bad Münstereifel geborene Friedrich Joseph Haass erwarb sein Abitur an der ältesten Schule Kölns, am Dreikönigsgymnasium, damals noch am Standort an der Kölner Marzellenstraße in Sichtweite des Doms.
Auf Werben nach Moskau
Ein 2002 erstelltes Relief an der Hauswand des heutigen Generalvikariates des Erzbistums Kölns erinnert an den als "heiligen Doktor von Moskau" bekannten Haass. Nach der Schulzeit widmete sich der junge Student den Naturwissenschaften. Seine medizinische Ausbildung führte ihn an die Universitäten von Jena und Göttingen.
Im Jahr 1806 gab er dem Werben einer russischen Fürstenfamilie nach und zog nach Moskau. Schnell erwarb er sich große Verdienste vor allem in der Augenheilkunde. Dem deutschen Arzt wurde nach und nach große Verantwortung in verschiedenen Kliniken anvertraut. Doch vollzog sich mit diesem Weg in Friedrich Joseph Haass ein innerer Wandel. Ihn selber zog es mehr und mehr zu denen, die keine Aufmerksamkeit erfuhren und keinen Fürsprecher hatten.
Häftlingskrankenhaus für Obdachlose
Strafgefangene lagen ihm besonders am Herzen. Der Arzt sah jeden Menschen im Licht der göttlichen Offenbarung als von Gott gewolltes und geliebtes Abbild. Er war fest davon überzeugt, dass selbst in einer Straftat, in der Sünde, der Mensch diese, seine einmalige Würde nicht verlieren konnte. Mehr und mehr bestimmte dieses geistliche Erbe sein Leben. Die Spiritualität der hl. Franz von Assisi (1181/82-1226) und Franz von Sales (1567-1622) waren seine Vorbilder. Unermüdlich praktizierte er als Arzt, unentgeltlich für die, die nicht zahlen konnten.
Sein privates Vermögen setzte er ein, um ein Häftlingskrankenhaus für Obdachlose einzurichten. Später lebte er selbst in diesem Haus, das im Volksmund das Haassovka-Krankenhaus genannt wurde. Aufgrund seines Einflusses konnte er erwirken, dass Strafgefangenen, die zu langen Märschen nach Sibirien in Straflager verurteilt waren, die schweren eisernen Eisenfesseln an den Füßen durch mit Leder ausgelegte Spangen ersetzt wurden.
Kostbares Erbe des Münstereifelers
Groß war die Anteilnahme in der Stadt, als der am 16. August 1853 Verstorbene drei Tage später, am 19. August 1853, zu Grabe getragen wurde. Erhaltene Quellen von Augenzeugen halten fest, dass bis zu 20.000 Trauernde seinem Sarg folgten. Am Gitter, der das Grab umschließt, hängen bis heute drei Ketten, die an seine Mühe um die Hafterleichterung für die Strafgefangenen erinnern.
Neben seinem Namen und Lebensdaten ist auf dem Grabstein das berühmte Zitat in russischer Sprache festgehalten: "Beeilt euch, das Gute zu tun!" Es scheint, dass hier das kostbare Erbe des Münstereifelers wie unter einem Brennglas aufleuchtet. Auch wer heute an sein Grab tritt, wird frische Blumen und Bonbons finden. Sein Andenken in Moskau ist alles andere als erloschen.
Historische Kommission
Wichtige Schritte für das Seligsprechungsverfahren sind bereits eingeleitet worden. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner (1933-2017) eröffnete es mit der Begründung, dadurch die Orthodoxen Kirchen an die Katholische Kirche anzunähern und bestellte mich zum Postulator. Nach der Überstellung der Causa vom Erzbistum Köln an das Erzbistum Moskau hat der Erzbischof des Erzbistums von der Mutter Gottes, Paolo Pezzi, den italienischen Jesuitenpater Germano Marani als neuen Postulator ernannt.
P. Marani wirkt als Professor am Orientalischen Institut in Rom und ernannte mich als Professor für Hagiographie an der Wiss. Hochschule Weilheim (Südschwarzwald) und Beauftragten des Erzbistums Köln für Selig- und Heiligsprechungsverfahren (1998-2019) zum Vizepostulator. Der frühere Mitarbeiter am Erzbischöflichen Offizialat, Dietrich Mathias (Bergisch Gladbach), ist Mitglied in der für das Verfahren nötigen Historischen Kommission.
Heilungswunder auf russischem Boden
Gegenwärtig richtet sich die Aufmerksamkeit der Beteiligten auf die Erstellung der sogenannten "Positio". Diese Sammlung der ausführlichen Biographie, die Zeitzeugeneinvernahme von Personen, die über Dr. Haass durch Literatur noch etwas sagen können, die Prüfung der zahlreichen Schriften und Briefe von Dr. Haass auf Übereinstimmung mit dem Lehramt der Kirche, steht vor dem Abschluss.
Dies habe ich bei meinem kürzlichen Besuch des Dikasteriums für Heiligsprechungen persönlich erfahren. Die "Positio" wird dann dem Dikasterium für Heiligsprechungen eingereicht, damit die historischen und theologischen Konsultoren sie begutachten können.
Da Dr. Haass als Bekenner gestorben ist, wird ein göttliches Zeichen, ein Wunder, verlangt. Nach Aussage von P. Marani liegen mehrere solche Wunder vor, von denen das aussagefähigste dem Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechung zur Beurteilung vorgelegt wird. Es handelt sich in allen Fällen um Heilungswunder, die sich auf russischem Boden ereignet haben. Nach Ansicht von P. Marani wird mit der Seligsprechung in naher Zukunft zu rechnen sein.