domradio.de: Wie sicher leben Juden in Deutschland? Sie haben die Frage an die Bundesregierung gestellt. Wer sind die Tatverdächtigen?
Volker Beck (Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages und religionspolitischer Sprecher der Grünen): In der Statistik sind 312 von 339 Tatverdächtigten Deutsche. Das können natürlich Menschen mit deutschem Hintergrund oder mit Migrationshintergrund sein. Die Zahlen in der Kriminalstatistik stehen in einem großen Zusammenhang mit Rechtsextremismus. Wir wissen aber auch, dass die Zuordnung manchmal falsch läuft, wenn man keine Tatverdächtigen hat. Wenn auf dem Al-Quds-Marsch in Berlin von iranischen Islamisten "Juden raus" oder "Sieg heil" gerufen wird, wird das einfach als rechtsextremistisch eingestuft, obwohl die Personen iranische Islamisten sind.
domradio.de: Rufen diese Menschen, um als rechtsextreme Deutsche eingestuft zu werden?
Beck: Mit dem Thema Antisemitismus haben wir es im Islam eigentlich mit einem Exportartikel aus Deutschland zu tun. Im Zusammenhang mit dem Nah-Ost-Konflikt gibt es eine neue Form des Antisemitismus im islamischen Raum, der traditionell mit der muslimischen Religion nichts zu tun hat. Mittlerweile ist dieser religiös identifiziert. Das sind keine Verschleierungstaten, sondern da kursieren Ansichten wie "Hitler hat Recht". Das muss man sehr ernst nehmen. Ich rate, kein Problem des Antisemitismus beim Umgang mit den Zahlen klein zu machen. Wir haben ein Problem beim deutschen Rechtsextremismus und wir haben ein Problem mit islamistischem Antisemitismus.
domradio.de: Aus der Antwort des Bundestages kann man herauslesen, dass der Antisemitismus aus dem Bereich Islamismus kommt und unterschätzt wird. Woran liegt das?
Beck: Die Annahme ist, dass viele Vorfälle nicht zu einer Anzeige kommen. Viele Jüdinnen und Juden in Deutschland haben kein Zutrauen. So zeigt es die Opferbefragung der unabhängigen Expertenkommission. Ansonsten hätten wir einen anderen statistischen Befund, und zwar: höhere Zahlen im Zusammenhang mit dem Islam und nicht nur mit dem Rechtsextremismus.
domradio.de: Was muss Politik, Gesellschaft und dabei auch die christlichen Kirchen besser machen, damit Juden sich weniger oder am besten gar nicht mehr bedroht fühlen?
Beck: Wir müssen sensibler werden. Alle gesellschaftlichen Akteure sind gefragt, vorneweg auch die Kirchen. Ebenso sollten die muslimischen Verbände nicht wegschauen, sondern Initiative zeigen. Aber vor allem die Politik ist gefragt. Die Expertenkommission hat an die Bundesregierung und den Bundestag fünf Forderungen zur institutionellen Absicherung gestellt. Zur Koordinierung der Aktivitäten gegen Antisemitismus fordern sie zudem einen Antisemitismusbeauftragten und eine Bundesländer-Arbeitsgruppe. Diese Aktivitäten sollten in die Bildungs- und Jugendpolitik greifen, daher sind die Bundesländer angesprochen.
domradio.de: Sie sind heute aus Israel wiedergekommen. Nehmen die Menschen in Israel wahr, dass sich in Deutschland viele Juden bedrohter fühlen als früher?
Beck: Die Sorge ist schon da und es wird wahrgenommen, dass das Thema nur in Feiertags-Reden zur Sprache kommt. Wir müssen also den Antisemitismus bekämpfen, aus den Sonntagsreden herausholen und in den Alltag unserer Politik bringen.
Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.