Kardinal Kasper kommentiert neue Vatikan-Instruktion

"Von autoritärem Neoklerikalismus kann keine Rede sein"

Verstärkt die Aufregung über das neue Vatikan-Papier zu Gemeindereformen den Priestermangel? Fördert die Instruktion gar das Miteinander von Laien und Priestern? Kurienkardinal Walter Kasper findet Lob und Kritik in einem Gastkommentar für DOMRADIO.DE.

Kardinal Walter Kasper / © Paul Haring (KNA)
Kardinal Walter Kasper / © Paul Haring ( KNA )

Ich habe die Diskussion über die auch mich überraschende Instruktion nur über die Medien mitbekommen. Als ich die Instruktion darauf hin studierte, stellte ich erstaunt fest: Die deutsche Kritik geht am eigentlichen Anliegen der Instruktion, der pastoralen Umkehr zu einer missionarischen Pastoral, völlig vorbei. Dabei wäre genau dieses Grundanliegen von Papst Franziskus in Blick auf die beunruhigenden jüngst veröffentlichten Zahlen der Kirchenaustritte hoch aktuell.

Deutschland setzt die falschen Prioritäten

Zum anderen hat man in Deutschland offensichtlich die ersten Kapitel und die Zusammenfassung der Instruktion überlesen, in denen ausführlich von der gemeinsamen Verantwortung des gesamten Volk Gottes und von der ganzen Gemeinde als Subjekt solcher missionarischer Seelsorge, die Rede ist.

Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Ausführungen über die Stellung des Pfarrers innerhalb (!) dieses Gesamtgefüges. Ich muss sagen, dass ich für diese Ausführungen dankbar bin, denn die Dauerdiskussion über Zölibat, Frauenpriestertum, Leitungsteams usw. usf., führt  – wie immer man diese Fragen beantworten mag – dazu, dass kein junger Mensch mehr weiß, auf was er sich einlässt, wenn er sich für den Priesterberuf entscheidet.

Debatte verantwortlich für Priestermangel?

Mit einer solchen Identitätsdiffusion des Priesterbildes produziert man – neben anderen Ursachen – genau den Priestermangel, dem man entgegenarbeiten will. Wenn es nicht gelingt, in den Gemeinden wieder ein Klima der Akzeptanz, der Anerkennung, der Bedeutung und der Schönheit des Priesterberufs (bei allen Problemen, die es bei sämtlichen auch weltlichen Leitungsaufgaben gibt) zu schaffen, dann können wir mit allen anderen Reformen einpacken.   

Mit der theologisch legitimen Betonung der Gesamtverantwortung des Priesters als Pfarrer der Gemeinde, wird in der Instruktion m.E. mit keinem Wort ausgeschlossen, im Gegenteil anerkannt, dass – zumal heute – viele nicht originär priesterliche Aufgaben delegiert werden müssen und auch delegiert werden können. Dass solche Mitarbeiter dann nicht bloße Zuarbeiter oder gar Befehlsempfänger sind, versteht sich im Rahmen heutiger Betriebskultur eigentlich von selbst. Das gilt besonders in der Kirche, in der die Verantwortung personalen Charakter – biblisch: personalen Zeugnischarakter – hat und sich nicht hinter anonymen Leitungsstrukturen und Teams verstecken kann.  

Verantwortung in Kooperation

Wenn vom Pfarrgemeinderat gesagt wird, er habe beratende Funktion, dann heißt das im Sinne des Kirchenrechts nicht, dass der Pfarrer mit einem solchen Rat nach Lust und Laune umgehen kann, nach dem Motto: "Ratet einmal was ich beschlossen habe!"  Der Rat eines amtlichen Gremiums hat nach dem Kirchenrecht moralisches Gewicht, von dem im Einzelfall abzugehen begründungspflichtig ist.

Von einem autoritären Neoklerikalismus kann in der Instruktion keine Rede sein. Das wäre der Fall, wenn der Bischof "per ordre Mufti" Pfarreien umkrempeln, aufheben, zusammenlegen könnte. Doch genau das will die Instruktion verhindern und den Bischof an "rechtsstaatliche" und einklagbare Kriterien und Vorgehensweisen binden. Ähnliche partikularrechtliche Normen müsste es nunmehr auf Diözesanebene für die Pfarrer im Umgang mit den Mitarbeitern und Pfarrräten geben. Das kann jedoch nicht Sache einer universalkirchlichen Instruktion sein

Meine Kritik am Papier

Zum Schluss will ich mit zwei Bemerkungen sagen, was mir an der Instruktion nicht gefällt:

1. Es wäre besser gewesen, hätte weniger Ärger verursacht und hätte der synodalen Idee des Papstes besser entsprochen, wenn der Veröffentlichung eine gemeinsame Beratung mit den Vorsitzenden der in Frage kommenden Bischofskonferenzen vorausgegangen wäre.  

2. Im zweiten Teil der Instruktion wird ziemlich einseitig kirchenrechtlich kritisch abgrenzend und ausgrenzend gesprochen. Da hätte ich mir eine mehr positive, ermutigende und anerkennende Sprache gewünscht.

Die engagierten Laien in vielen Teilen der Weltkirche, insbesondere die Frauen, die oft in schwierigen Situationen die Gemeinden zusammenhalten und ohne deren Dienst auch bei uns die meisten Pfarreien längst zusammengebrochen wären, hätten ein solches ausdrückliches Wort des Dankes, der Ermutigung und der Anerkennung verdient.

Walter Kardinal Kasper

Über den Autor: Walter Kasper ist emeritierter Kurienkardinal und war bis 2010 Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Von 1989 bis 1999 war er Bischof von Rottenburg-Stuttgart. Er gilt als enger Berater von Papst Franziskus.


Kardinal Walter Kasper / © Harald Oppitz (KNA)
Kardinal Walter Kasper / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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