Es wird kein Schwimmbad auf dem Dach geben. Und auch keinen futuristischen Glasturm. Seitdem klar ist, dass die Pariser Kathedrale Notre-Dame originalgetreu wiederaufgebaut werden soll, werden stattdessen Steine und Eichen gesucht - und zwar ganz besondere. Zwei Jahre nach dem verheerenden Brand, scheint der Wiederaufbau nun endlich voranzugehen. Die Pläne für die Restauration werden konkreter - und auch die Gefahr, dass das Jahrhunderte alte Bauwerk doch noch einstürzt, scheint gebannt.
Am 15. April 2019 ging die weltberühmte Sehenswürdigkeit in Flammen auf. Das Feuer breitete sich im Dachstuhl von Notre-Dame aus, die Welt schaute fassungslos live im Netz oder vor dem Fernseher zu. Zur Zeit des Brandes fanden an Notre-Dame Bauarbeiten statt, das tonnenschwere Metallgerüst schmolz in der Hitze der Flammen. Die Ursache des Feuers ist bisher nicht vollständig geklärt. Ein Fehler im elektrischen System oder eine nicht ausgedrückte Zigarette könnten den Brand ausgelöst haben.
Besonders zwei Dinge dürften vielen noch im Kopf sein: Da ist zum einen das Versprechen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, das Gebäude innerhalb von fünf Jahren wieder aufzubauen. Klar ist dabei aber schon jetzt: Egal, wie weit die Bauarbeiten bis 2024 vorangekommen sein werden - sie werden auch danach noch weitergehen.
Und zum anderen ist da die Debatte über den Wiederaufbau - konkret über das Wie. Macron machte sich anfangs für einen zeitgenössischen Ansatz stark - es wurde sogar ein Architekturwettbewerb ausgerufen.
Doch nach mehr als einem Jahr Streit, in dem sich teilweise öffentlich beleidigt wurde, ließ der Präsident mitteilen: Notre-Dame wird in der bisher bekannten Form wieder aufgebaut.
Dafür braucht es nun zum einen Eichen, viele Eichen. Etwa 1000 sollen noch in diesem Jahr gefällt werden. Sie werden für den Wiederaufbau des Spitzturms und des Dachstuhls benötigt. Die ersten Bäume stammen aus dem Wald von Bercé im Département Sarthe, der an der Mündung der Loire liegt. Kulturministerin Roselyne Bachelot und Landwirtschaftsminister Julien Denormandie kamen höchstpersönlich, um die erste Hunderte Jahre alte Eiche zu kennzeichnen.
"Wir sind schon dabei, die Eichen zu schneiden", sagte Notre-Dame-Direktor Patrick Chauvet jüngst dem Sender RMC. Der Spitzturm könne schon 2024 wieder stehen. Und zwar, wie er doch sichtlich zufrieden betont, originalgetreu.
Nicht alle finden aber das Fällen der Eichen gut. "Ein Hunderte Jahre alter Baum ist Teil unseres Erbes und stellt ein Ökosystem für sich dar; unsere Erde ist in Gefahr, unsere Wälder leiden unter der globalen Erwärmung, diese Entscheidung ist unverständlich", heißt es etwa in einer Online-Petition. Im 21. Jahrhundert sollte man verantwortungsvollere Techniken wählen, die weniger schädlich für die Umwelt seien.
Zum anderen werden Steine benötigt. Auch davon braucht es größere Mengen als bei der Restaurierung normaler historischer Denkmäler.
Notre-Dame wurde zwischen 1163 bis 1345 mit Kalksteinen aus dem Pariser Becken errichtet. Solche Steine werden auch heute noch in einigen Steinbrüchen rund die Hauptstadt abgebaut. Nun gibt es umfassende geologische Untersuchungen, um auch die richtigen Steine für so ein Mega-Projekt wie den Wiederaufbau der weltberühmten Kathedrale zu finden.
Notre-Dame, das ist klar, ist keine normale Baustelle: Dort arbeiten zahlreiche Menschen mit besonderen handwerklichen Fähigkeiten. Sie restaurieren die Wandgemälde und Skulpturen oder müssen sich um die Reinigung der berühmten Orgel, die nach dem Brand komplett auseinandergebaut werden musste, kümmern.
Der größte Meilenstein bisher war der vollständige Abbau des bei dem Brand verformten Gerüsts. Es bestand aus rund 40 000 Teilen, wog 200 Tonnen und befand sich teils in 40 Meter Höhe. Dieser Abbau war extrem kompliziert. Als das Gerüst noch auf dem Dach hing, gab es Zweifel an der Standhaftigkeit des alten Gebäudes. Im vergangenen November wurde schließlich die gute Nachricht verkündet: Der Abbau ist geglückt. Kulturministerin Bachelot sagte, nun sei Notre-Dame "gerettet".
Ähnlich sieht das auch Chauvet. Man habe festgestellt, dass die Gewölbe tatsächlich fragil waren. Deshalb habe man Stützen aufgestellt, damit diese nicht herunterkommen. Im Inneren der Kathedrale gebe es einen einzigen "Gerüste-Wald". Deshalb und weil immer noch Blei in dem Gebäude ist, bleibt es vorerst weiter für die Öffentlichkeit gesperrt.
An Ostern gab es wie im Vorjahr wieder eine kleine Messe, aber auch dieses Mal ging es nicht ganz ohne Bauhelm. Die Veranstaltung, an der wenige ausgewählte Menschen teilnahmen, wurde - wie immer - nur im Fernsehen übertragen. Der Vorplatz der Kathedrale ist zwar in Teilen wieder geöffnet - aber das Gewusel vergangener Zeiten sucht man dort vergebens. Das liegt natürlich auch an der Corona-Pandemie. Wo die Menschen früher dicht gedrängt standen, hat heute auch schon mal ein Skateboarder Platz für seine Kunststücke.
Doch, und das betont auch die Diözese, die Anteilnahme am Schicksal der Kathedrale ist weiterhin groß. Notre-Dame sei so etwas wie das Gemeindehaus der Franzosen, ob sie nun gläubig seien oder nicht, sagte Alexandre Gady, Professor für moderne Kunstgeschichte an der Sorbonne, der Zeitung "Le Parisien". Der Brand habe Spuren hinterlassen. "Unsere Ohnmacht angesichts dieser Tragödie stand auch im Kontrast zu unserem Gefühl der Überlegenheit als Industrieland", so der Experte. "Notre Dame heute zu sehen, ist wie der Blick auf einen verstümmelten Kadaver, ein Spiegel unserer Unzulänglichkeiten."