domradio.de: Wie viel protestantisches Preußentum steckt noch im Kölner Karneval?
domradio.de: Ob protestantisch oder katholisch - das spielt heute im Karneval keine Rolle. Vor ungefähr 200 Jahren war das noch anders: Im Jahr 1815 hatten die protestantischen Preußen Köln 1815 annektiert. Wie war das damals?
Stefan Lewejohann, Historiker vom Stadtmuseum Köln: Da sind natürlich zwei Welten aufeinandergestoßen. In Köln gab es damals schon das urkölsche Lebensgefühl und der rheinische Frohsinn. Als die Preußen kamen, brachten sie etwas ganz gegensätzliches mit, etwas das heutzutage noch mit den Preußen verbunden wird: Ordnung und Disziplin. All das wird natürlich in den jecken Tagen damals wie heute über Bord geworfen.
domradio.de: Zu Beginn wurde der Kölner Karneval sogar verboten. Warum?
Lewejohann: Der Karneval war vor allen Dingen anarchisch: Er war wild und nicht geordnet. Es gab keine klaren Regeln. Es war ein buntes Treiben auf den Straßen und in den Gassen der Stadt.
domradio.de: Das gefiel den Preußen nicht so gut?
Lewejohann: Die Preußen haben die Kölner immer als Franzosen gesehen, "Franzosen am Rhein". Man hat den Karneval als große Gefahr für die öffentliche Ordnung wahrgenommen. Es änderte sich mit dem Einzug der Preußen auch städteplanerisch vieles: Köln wurde zum Beispiel zur Festungsstadt. Damit waren die Kölner nicht einverstanden und es gab viel Diskussion. Die Preußen waren dann besorgt, dass man den Karneval als Anlass zur Auflehnung nehmen würde.
domradio.de: Der Karnevalist - ein Revoluzzer? Konnten sich die Preußen denn gar nicht mit dem Kölschen Karneval anfreunden?
Lewejohann: Das große Missverständnis ist – und das hält bis heute - dass der Karneval seine Wurzeln darin habe, dass man mit der preußischen Obrigkeit kritisch umgehen wollte. Das ist aber in großen Teilen nicht so: Denn die Preußen haben den Karneval, so wie wir ihn heute noch feiern, auch mitgestaltet!
domradio.de: Ach ja? Gibt es da Beispiele?
Lewejohann: Das Festkomitee geht zum Beispiel auf die Preußen zurück: Das wurde 1823 als Festordnendes Komitee gegründet. "Festordnend"; das sagt schon alles. Damit sollte dem Karneval eine Ordnung übergestülpt werden. Und wer saß da mit im Komitee? Natürlich die Preußen. Einer von ihnen, der Generalmajor Baron von Czettritz und Neuhaus, ging dann hin und sagte: "Wenn wir nun schon so schön in diesem Kreis zusammensitzen, dann sollten wir uns doch für die Menschen nach außen ein Erkennungszeichen geben. Wie wäre es mit einer Kappe?" Diese Kappe sollte das Komitee von den Menschen draußen unterscheiden. Das ist natürlich etwas elitär gewesen, aber so wurde die Narrenkappe erfunden: eine sozusagen preußische Erfindung. Das Festordnende Komitee ist auch für den Ronsenmontagsumzug verantwortlich. Damit wollte man nämlich das bunte Treiben am Montag bündeln. Außerdem wurden 1823 die Roten Funken gegründet. Anfangs ein kleiner Haufen, die zu Beginn auf das preußische Militär zurückgegriffen und sich sozusagen Soldaten ausgeliehen haben. Das waren die Mietlinge, die wurden dann in Funkenuniform gesteckt und sind beim Rosenmontagsumzug mitgegangen.
domradio.de: Haben die Kölner sich da auch ein bisschen arrangiert und mitgemischt?
Lewejohann: Ja, das sieht man ja am Beispiel der Roten Funken, die im Grunde eine Persiflage auf das Preußentum darstellen. Später dann, als der Prinzen und das Dreigestirn dazukamen, wurde der jeweiligen Obrigkeit noch die Macht für die Karnevalszeit entzogen. So ist das ja auch heute; im Karneval haben die Narren das Sagen. Und im preußischen Köln war das nicht anders.
domradio.de: Wie passen die Blauen Funken da rein?
Lewejohann: Die Blauen Funken sind das genaue Gegenteil zu den Roten Funken: Die Gruppe hat sich 1870 gegründet, also zur Entstehung des deutschen Kaiserreiches. Daran angelehnt gründeten sie sich in der Farbe der Preußen: blau. Die Blauen Funken und auch die Funkenartillerie haben sich damals aus einem deutsch-nationalen Motiv heraus gegründet und weil sie sich den Preußen sehr nahe fühlten.
domradio.de: Welche Rolle hat die Kirche damals gespielt?
Lewejohann: Die Kirche war sehr wichtig zu der Zeit: Es gab während des gesamten 19. Jahrhunderts immer wieder Konflikte zwischen Katholischer Kirche und dem protestantischen Preußentum. Das sieht man etwa am Beispiel mit der Mischehe: Protestantische Preußen kommen nach Köln, verleiben sich in die lecker Kölsche Mädchen und es kommt zu Ehen. Das war damals ein Konflikt, denn bei den Preußen galt es, dass die Konfession des Mannes angenommen wurde, während das katholische Kirchenrecht vorschreibt, dass die Kinder katholisch getauft werden. Im Zuge dieses Konfliktes wurde dann sogar Erzbischof Vischering verhaftet und es kam zum großen Streit, bis sich der Papst dann eingemischt hat.
Das Interview führte Birgit Schippers.