Am 4. November 1995 fielen am Rande einer Friedensdemonstration in Tel Aviv Schüsse. Sie trafen den damaligen Ministerpräsidenten und Friedensnobelpreisträger Yitzchak Rabin. "Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen", hatte Rabin noch wenige Minuten zuvor von der Bühne aus gesprochen. Er starb, bevor sein Traum wahr werden konnte. Am 1. März wäre Rabin 100 Jahre alt geworden.
Rabin erblickt in Jerusalem das Licht der Welt als "Sabra", wie die im Land geborenen israelischen Juden sich nach der Frucht des Kaktus nennen - außen stachelig hart und innen süß. Er sollte der erste Einheimische unter den Ministerpräsidenten Israels werden. Rabins Offenheit und Ehrlichkeit hätten ihn glaubwürdig gemacht, urteilen seine Biografen; seine Direktheit brachte ihm Beliebtheit nicht nur auf internationaler Bühne.
Militärische Karriere
Links-zionistisch-paramilitärische Ideen und das Arbeitermilieu sind Rabin praktisch in die Wiege gelegt. Sein ukrainischstämmiger Vater Nehemia arbeitet bei der Stromgesellschaft, seine Mutter Rosa als Buchhalterin. Vor allem aber kämpft die russischstämmige Einwanderin, die dank ihrer sozialistischen Überzeugung den Spitznamen "rote Rosa" trägt, im Gewerkschaftsverband Histadrut und ist in der zionistisch-paramilitärischen Untergrundorganisation "Haganah" aktiv.
Rabin tritt 1941 der neugegründeten paramilitärischen Eliteeinheit "Palmach" bei, deren Stabschef er 1947 wird. Nach der Staatsgründung Israels 1948 wird er Generalmajor, mit 41 Jahren Stabschef der Armee. Zum Ende seiner Zeit 1967 dann der Sechstagekrieg, der zur Annektierung Jerusalems und der Westbank führt.
Nach Stationen als Botschafter in Washington und Arbeitsminister wird er im Juni 1974 erstmals Ministerpräsident. Als solcher unterzeichnet er ein Interimsabkommen mit Ägypten, auf dessen Basis der Nachfolger Menachem Begin 1979 den Friedensvertrag mit dem Nachbarn besiegeln wird.
Aufstieg und Fall in der Politik
Dann stolpert Rabin über ein US-amerikanisches Bankkonto seiner Frau Leah, das gegen israelisches Recht verstößt. 1977 legt er sein Amt und den Vorsitz der Arbeiterpartei nieder, bleibt jedoch Parlamentsabgeordneter.
1984 wird er Verteidigungsminister, 1992 erneut Parteivorsitzender und schließlich wieder Ministerpräsident - doch diesmal mit einem Kurswechsel. Energisch arbeitet der Sieger des Sechstagekriegs nun an einem Frieden für Nahost, schließt 1994 Frieden mit Jordanien und sucht das direkte Gespräch mit der Palästinenserführung. Die Oslo-Abkommen sind geboren. Nach einer Übergangszeit palästinensischer Selbstverwaltung im Westjordanland und dem Gazastreifen soll ein dauerhafter Status der Gebiete ausgehandelt werden.
"Ich habe gekämpft, solange es keine Chance auf Frieden gab. Ich glaube, dass es jetzt eine Chance für Frieden gibt, eine große Chance", sollen die letzten Worte Rabins über seine Rolle werden: eine Rolle, die ihm mit seinen Mitstreitern Außenminister Schimon Peres und Palästinenserführer Jassir Arafat 1994 den Friedensnobelpreis einbrachte.Nur den Frieden, den sollte er nicht erleben - und bisher auch keine der nachfolgenden Generationen. Die politischen Verhältnisse im Land verschieben sich stattdessen immer weiter nach rechts. Was als Ausgangspunkt des Projekts Oslo gedacht war, ist längst zum Status quo erstarrt.
Starke politische Voraussicht
Wie weit seine politische Voraussicht reichte, ist erst lange nach seinem Tod in die Öffentlichkeit gedrungen. Seine Haltung zur israelischen Siedlerbewegung etwa, die nicht zuletzt deshalb erstaunt, weil die ersten israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet in seine erste Amtszeit als Ministerpräsident fallen. "Ein Krebsgeschwür im sozialen und
demokratischen Gewebe des Staates Israel" sei sie, eine "Gruppe, die das Gesetz in ihre eigenen Hände nimmt", sagte er in einer erst 2018 bekanntgewordenen Aufnahme von 1976.
Zunehmende Gewalt radikaler Siedler ist ein Thema, das bei Rabins heutigem Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, Benny Gantz, häufiger auf der Tagesordnung steht. Eine "harte Hand" gegen die Täter kündigte Gantz an, bezeichnete sie als Terroristen.
Noch etwas machte Rabin klar: Er glaube nicht an das Siedlungsunternehmen, "es sei denn, wir wollen eine Apartheid mit anderthalb Millionen Arabern im Staat Israel". Dem Vorwurf, Israel habe sich längst in einen Apartheidstaat verwandelt, wie ihn nach den Menschenrechtsorganisationen B'Tselem und Human Rights Watch zuletzt - wenige Wochen vor Rabins 100. Geburtstag - Amnesty International vorbrachte, bezeichnen Vertreter der heutigen israelischen Regierung als antisemitisch.