Über Jahrhunderte dreht er sich bei Sturm und Wind über der Stadtsilhouette: Der Kran auf dem noch unvollendeten Südturm des Kölner Doms. Vor 150 Jahren aber verstummt das Knarren und Ächzen der Balken. Denn am 29. Februar 1868 beginnen die Handwerker, das damalige Wahrzeichen der Stadt abzubauen, um den Turm zu vollenden. Eine große Menschenmenge verfolgt, wie elf Tage später – am 13. März – das letzte Holzteil niedergelassen wird.
In dem Baukran spiegelt sich die nicht gerade einfache Entstehungsgeschichte der Kathedrale wider. Im Mittelalter wird enthusiastisch mit dem gotischen Bau begonnen. Als der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden 1248 den Grundstein für die Kathedrale legt, ist Geld noch kein Thema. Denn die Reliquien der Heiligen Drei Könige ziehen Pilgermassen nach Köln und machen die Stadt zu einem florierenden europäischen Zentrum. Die von Meister Gerhard entworfene Kathedrale wächst – bis 1530 die Mittel knapp und knapper werden. Zur Zeit der Reformation mit ihrer Kritik am Reliquienkult bleiben immer mehr Pilger und die Ablass-Einnahmen aus.
Bau-Stopp am Dom?
Um 1560 beschließt das Domkapitel, den Dombau endgültig einzustellen. Der Kran auf dem nicht einmal bis zu seiner Hälfte angewachsenen Turm hat da schon über mehrere Jahrzehnte das Stadtbild geprägt - und soll es über noch weitere rund 100 Jahre tun. Damit wandelt er sich in ein markantes Symbol für einen Bau-Stopp, gegenüber dem sich die Verzögerungen am Berliner Flughafen als Petitesse ausnehmen.
Erstmals taucht der Kran zwischen 1450 und 1460 auf Tafelbildern auf, wie der Autor und Journalist Robert Boecker ausführt. Seitdem hat es keine Stadtansicht mehr ohne die größte technische Maschine des Mittelalters gegeben. Die 25 Meter hohe Konstruktion kann bis zu zwei Tonnen emporheben. Möglich macht dies ein "Kaiserstiel" genannter Eichenstamm, der 15 Meter lang ist und an seiner dicksten Stelle über einen Meter misst.
Ein Kran als Wahrzeichen?
An den Anblick gewöhnen sich die Kölner derart, dass der Kran zum Wahrzeichen der Stadt wird. Besonders spürbar wird dies, als Köln unter preußische Herrschaft gelangt. Die neuen Herren bestehen auf einer Sicherheitsüberprüfung, die 1816 erschreckende Ergebnisse zeigt: Das Holz ist morsch und der Kran aus seiner ursprünglichen Position verschoben.
Gegen den drohenden Abriss wehren sich die Kölner. Doch auch eine zweite Untersuchung bringt keine besseren Ergebnisse. Als Kompromiss wird nicht der gesamte Kran, sondern nur der lange Ausleger ausgebaut. Eine vom Stadtrat genehmigte Sammlung für einen neuen "Schnabel" läuft indes wegen mangelnder Unterstützung ins Leere. Durch die Erbschaft eines ehemaligen Bürgermeisters kommen schließlich dann doch die notwendigen Mittel für ein Ersatzteil zusammen.
Es wird weitergebaut
Einen richtigen Einsatz erlebt der Kran dann nochmals bei der Grundsteinlegung für den Weiterbau des Doms vor 175 Jahren. Am 4. September 1842 wird unter dem Jubel der Menschenmenge ein Stein nach oben gezogen. Doch damit sind die Tage des Baugeräte, das schon in mehrere literarische Werke Eingang gefunden hat, gezählt. Als der Nordturm 1867 die Höhe seines südlichen Bruders erreicht hat, stört der Lastenträger den Fortgang der Arbeiten. Und so beginnt am 29. Februar die Demontage, die am 13. März um 15.15 Uhr beendet ist.
Aus dem Holz werden Andenken, Möbel und Kunstwerke gefertigt. Auch ein Modell des Domkrans aus Kranholz entsteht. Dieses kann der frühere Dombaumeister Arnold Wolff (85) nach einer Annonce in einer regionalen Tageszeitung erwerben. Auch ein 60 Zentimeter hohes Kreuz aus Kranholz gehört dem Dom. Und ein aufwendig geschnitzter Stuhl gelangt nach einer Odyssee durch Singapur und Spanien wieder an seinen Ursprungsort am Rhein zurück.