Vor 25 Jahren erschütterte eine Bluttat die Schweizergarde

Die schwarze Wolke eines Tages

Die Bluttat erschütterte den Vatikan und sorgte weltweit für Entsetzen. Ein 23-jähriger Vizekorporal der Päpstlichen Schweizergarde erschoss am Abend des 4. Mai 1998 seinen Kommandanten, dessen Ehefrau und sich selbst.

Autor/in:
Johannes Schidelko
Helme für die Schweizergarde
 / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Helme für die Schweizergarde / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

Das Motiv für die Kurzschlusshandlung des Wallisers Cedric Tornay schien rasch klar – vielleicht zu rasch: verletztes militärisches Ehrgefühl, weil der neue Kommandant Alois Estermann ihn gemaßregelt und ihm eine erwartete Auszeichnung verweigert hatte – mit fatalen Folgen für seine berufliche Zukunft.
Und auch der Ablauf der Bluttat war schnell aufgehellt: Tornay drang in die Dienstwohnung Estermanns ein, tötete ihn mit zwei Schüssen, verletzte dessen Frau tödlich mit einer einzigen Kugel und starb dann selbst an den Folgen eines Schusses.

Verdienst durch Papstrettung 

Alois Estermann, Kommandant der Päpstlichen Schweizergarde, während seiner Ernennung am 4. Mai 1998 im Vatikan. / © Harald Oppitz (KNA)
Alois Estermann, Kommandant der Päpstlichen Schweizergarde, während seiner Ernennung am 4. Mai 1998 im Vatikan. / © Harald Oppitz ( KNA )

Erst am Mittag des Mordtages hatte der Papst Estermann zum Kommandanten seiner 100 Mann starken Schutztruppe ernannt. Der Landwirt aus dem Kanton Luzern war 1980 als Seiteneinsteiger zur Garde gekommen. Ein Jahr später hatte er sich hohe Verdienste bei der Rettung des Papstes beim Attentat vom Petersplatz erworben.

Der Dreifach-Mord überraschte den Vatikan mitten in den Vorbereitungen zum Gardefest. Am Jahrestag des "Sacco di Roma" vom 6. Mai 1527, als die Schweizer Söldner den Papst vor marodierenden Landsknechten retteten und dabei 147 Mann verloren, werden stets die neuen Rekruten vereidigt. Aber statt des spektakuläres Zeremoniells im Damasus-Hof wurden diesmal drei Leichen nebeneinander in der Gardekapelle aufgebahrt.

Auflösung der Garde stand im Raum

Im ersten Schock stand sogar eine Auflösung der letzten Papst-Garde im Raum. Aber schon bei der Totenmesse für das Ehepaar Estermann im Petersdom brachte Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano Beruhigung. Der Papst erneuere in dieser schwierigen Situation sein Vertrauen in die Garde, versicherte er. Die "schwarze Wolke eines Tages" könne 500 Jahre großherzigen Dienstes nicht verdunkeln.

Spekulationen nach dem Mordfall

Trotz rascher Aufklärung durch den Vatikan befeuerte der Mordfall die Spekulationen. War noch eine vierte Person im Zimmer – auf dem Tisch standen vier Gläser? Und warum hatte niemand die Schüsse gehört – ein Nachbar sprach nur von dumpfen Geräuschen? Steckte dahinter eine Spionage-Geschichte, eine Lovestory, ein Eifersuchtsdrama? Hatte Tornay eine Affäre mit der attraktiven Kommandantengattin, eine homosexuelle Beziehung zu deren Mann oder gar eine Dreierbeziehung? – Die Familie Estermann forderte öffentlich ein Ende von Verleumdungen.

Das Abschlussgutachten vom Februar 1999 bestätigte nach Autopsie, zig Tests und 38 Zeugenbefragungen die vatikanische Anfangsdarstellung. Tornay sei charakterlich unreif gewesen, konnte höflich und charmant, aber auch aggressiv und respektlos sein. Er habe gelegentlich Haschisch konsumiert. In seinem Gehirn habe man eine Zyste entdeckt. Hinzu seien Stress, Zukunftsangst um berufliche Perspektiven und eine akute Bronchitis gekommen. All diese Faktoren hätten die Kurzschlusstat ausgelöst.

Mutter Tornays äußerte Zweifel

Für den Vatikan war der Tötungsfall damit juristisch und kriminologisch abgeschlossen, nicht aber für die Mutter Tornays. Sie äußerte von Anfang an Zweifel und machte sie mit Unterstützung von Anwälten öffentlich. Ihr Sohn sei ermordet worden; er sei nicht Täter, sondern Opfer, sagte sie mit Hinweis auf den angeblichen "vierten Mann", auf angeblich unterschiedliche Projektile und auf den angeblich gefälschten Abschiedsbrief. Der Vatikan habe den Vorgang viel zu früh ad acta gelegt und keine anderen Spuren verfolgt. Ihr Versuch, den Fall 2004 von die Schweizer Justiz zu bringen, blieb aber erfolglos.

Seitdem: psychologischer Eignungstest

Der Vatikan reagierte rasch: Vier Monate nach der Tragödie ernannte der Papst einen neuen Kommandeur. Pius Segmüller, Oberst im Schweizer Generalstab und zuletzt mit Sicherheitsfragen in Bern betraut, ordnete für Garde-Bewerber einen psychologischen Eignungstest an. Und um die Dauer-Rivalitäten zwischen Deutsch- und Welschschweizern abzufangen, machte er den Juristen Jean-Daniel Pitteloud zum ersten frankofonen Vize-Kommandanten.

Die Bluttat ist im Gardealltag heute kaum noch präsent; darüber sei Gras gewachsen, hört man. Viele der neuen Hellebardiere, die am 6. Mai ihren Eid auf den Papst ablegen, waren damals noch nicht geboren. Und dennoch ist dieser Tag seither nicht nur mit den 147 Verstorbenen vom Sacco di Roma verbunden, sondern auch mit den drei Toten von 1998.

Schweizergarde

Die Schweizergarde ist die militärische Schutztruppe der Päpste. Hauptaufgabe der Garde mit ihrer Sollstärke von künftig 135 Mann ist, über die Sicherheit der Person und der Residenz des katholischen Kirchenoberhaupts zu wachen. Zudem begleiten Gardisten den Papst auf Reisen, kontrollieren die Eingänge zum Vatikanstaat und nehmen Ordnungs- und Ehrendienste wahr. Während ihrer mindestens 26-monatigen Dienstzeit sind die Gardisten Bürger des Vatikanstaates. 

Schweizergardisten / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Schweizergardisten / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA