Begonnen haben die Friedensgebete in Leipzig 1982 als Protest gegen die fortschreitende Aufrüstung im Kalten Krieg. Schon bald griffen sie auch andere Missstände der DDR auf - etwa die Zerstörung der Umwelt oder die fehlende Reisefreiheit. Schließlich entwickelten sich die Gebete im Leipziger Stadtzentrum zu einem festen Treffpunkt. Immer montags, 17 Uhr, kamen Menschen in der evangelischen Nikolaikirche zusammen. Das ist - mit Ausnahme der Sommerpause - bis heute so - seit nunmehr 40 Jahren.
Für die Oppositionellen in der DDR waren die Kirchen ein geschützter Raum. Die Gebete in der Nikolaikirche hätten sehr unterschiedliche Gruppen gestaltet, erinnert sich der damalige Leipziger Superintendent, Friedrich Magirius. Es sei wichtig gewesen, dass sich Menschen öffentlich äußern konnten, die sonst dazu keine Chance bekommen hätten, sagt der 92-jährige evangelische Theologe. Es sollten ihm zufolge aber "keine Provokationen" gegen den Staat entstehen. Aber so einfach war das nicht.
"Starke Politisierung der Friedensgebete"
"Damals wurde die Kirche besonders herausgefordert", erinnert sich die DDR-Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns. Es habe "eine starke Politisierung der Friedensgebete" gegeben. Kritik am SED-Staat wurde offen ausgesprochen. Oltmanns gestaltete 1988 mit den sogenannten Basisgruppen Friedensgebete in der Nikolaikirche aktiv mit.
DDR-Ausreisewillige hätten dort öffentlich von ihren Problemen erzählt, sagt die 57-Jährige. Doch nicht jedes Gemeindemitglied und jeder Kirchenvertreter war damit einverstanden. Es habe daher nicht nur Auseinandersetzungen mit dem Staat gegeben, sondern auch mit den Verantwortlichen in der Kirche, sagt Oltmanns.
"Wir fühlten uns im Stich gelassen"
Im Sommer 1988 wurde den kritischen Basisgruppen und kirchlichen Laien untersagt, wie bisher Friedensgebete eigenverantwortlich zu gestalten. Ein Beschluss des Kirchenvorstandes legte fest, dass bei den Veranstaltungen immer ein Pfarrer dabeisein muss. Ein zuvor schon sehr engagierter Pfarrer, Christoph Wonneberger, wurde allerdings erst einmal von dieser Aufgabe entbunden. "Wir fühlten uns im Stich gelassen", sagt Oltmanns. Aber der Protest ging weiter: Von Oktober 1988 an informierten die Gruppen vor statt in der Kirche.
Knapp ein Jahr später fand die erste Montagsdemonstration statt: "Es war am 5. September 1989", erinnert sich Oltmanns: "In Leipzig war Herbstmesse, wir hatten diesen Tag bewusst gewählt." In Messezeiten wollte die DDR-Staatsmacht - vor den Augen internationaler Gäste - keine Konflikte austragen. Das nutzten die Oppositionellen für sich.
"Die Friedensgebete haben mir Halt gegeben"
Oltmanns trug auf dem Nikolaikirchhof ein Plakat mit dem Slogan "Für ein offenes Land mit freien Menschen". Heute ist sie dafür weithin bekannt. Nach dieser Aktion gab es jeden Montag Demonstrationen - mit dem vorläufigen Höhepunkt am 9. Oktober 1989, als in Leipzig rund 70.000 Menschen für Demokratie und Freiheit auf die Straße gingen.
"Die Friedensgebete haben mir Halt gegeben", sagt Oltmanns. Auf jeden Fall seien sie der Auslöser für die Montagsdemonstrationen gewesen. Aber zur friedlichen Revolution habe natürlich noch sehr viel mehr gehört.
Fest im Bewusstsein verankert
Heute arbeitet Oltmanns im Vorstand der Stiftung friedliche Revolution und setzt sich unter anderem für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig ein. Noch immer seien die Friedensgebete in der Nikolaikirche "der Ort, an dem man sich versammelt, wenn es brennt", sagt sie. So sei es auch wieder gewesen, als im Februar 2022 Russland den Krieg in der Ukraine begann.
Der Montagstermin ist heute im städtischen Bewusstsein fest verankert. Zum 40-jährigen Bestehen der Friedensgebete findet am Montag (14. November) eine Podiumsdiskussion in der Nikolaikirche mit Zeitzeugen satt. "Es gab keine Montagsdemonstrationen ohne Friedensgebet", sagt der amtierende Pfarrer der Nikolaikirche, Bernhard Stief. Von den Gebeten sei der Aufruf zu Gewaltlosigkeit ausgegangen. Auch deshalb seien die Proteste 1989 gewaltfrei verlaufen.