Im Mai 1512 nahm in Rom das Fünfte Laterankonzil seine Arbeit auf. Mit Blick auf das Luther-Jahr 1517/2017 könnte man formulieren, dass die Versammlung eine "allerletzte Chance" gewesen sei. Die historische Forschung bezeichnet eine solche These als "Ex-Post-Betrachtung" - also als eine Perspektive, die sich erst aus der Kenntnis des Fortgangs der Geschichte ergibt. Vor 500 Jahren, am 16. März 1517, endeten die Beratungen des Konzils.
Trotz aller zeitgenössischer Warnungen konnten die Konzilsväter nicht wissen, dass wenige Monate später der deutsche Mönch Martin Luther mit seinen 95 Thesen einen Flächenbrand auslösen würde, der die Geschichte entscheidend veränderte und in eine Spaltung mündete, die bis heute anhält. Sie wagten schlicht einen zu halbherzigen Versuch zur Kirchenreform - und machten, fußballerisch gesprochen, das Tor wieder nicht.
Machtpolitisches Kalkül
"O selig, die solch große Versammlungen erlebt, unselig jene, die sie nicht angenommen haben", rief pathetisch Ägidius von Viterbo, Generaloberer des Augustinerordens - und damit auch Luthers - dem Konzil zur Eröffnung zu. Man erlebe den Anbruch einer neuen Zeit, die Papst Julius II. (1503-1513) hier einläuten werde.
Tatsächlich hatte der kriegerische Renaissancepapst keineswegs aus Reformbegeisterung in den Lateran gerufen, sondern aus machtpolitischem Kalkül. Erstes Ziel war, jenem konkurrierenden Konzil die Legitimation abzugraben, das sein Rivale König Ludwig XII. von Frankreich mit Einverständnis des deutschen Kaisers Maximilian 1511 nach Pisa einberufen hatte. Und in der Tat brach diese regional geprägte Versammlung auch bald zusammen.
Handfeste Reformvorschläge
In dieser Hinsicht war das Laterankonzil schon nach kurzer Zeit ein Erfolg. Auch auf theologischem Gebiet waren einige Vorlagen vielversprechend. Die spanischen Bischöfe brachten handfeste Reformvorschläge ein, die sich vor allem gegen päpstliche Praktiken des Ämterkaufs, der Bischofsernennungen, Pfründenvergabe und gegen Dispensen bei der Priesterweihe und den Ordensgelübden wandten.
Überzeitlicher und insofern für den heutigen Betrachter noch interessanter ist die Analyse, die zwei italienische Ordensleute vorlegten. Gesellschaft und Kirche der Gegenwart, so die Quintessenz von Vincenzo Quirini und Tommaso Giustiniani, litten vor allem unter zwei Übeln: der Habgier der Herrschenden und der Unwissenheit und dem Ungehorsam der Gläubigen. Gegen letztere könne auch der Klerus nichts unternehmen, da auch er unfähig und ungebildet sei. Die beiden empfehlen ein umfassendes Bildungsprogramm an Haupt und Gliedern, das alle fünf Jahre zu kontrollieren sei.
Unbestreitbare Aufbruchstimmung?
Alle beim Fünften Lateranum vorgebrachten Programme basierten freilich auf der Annahme, dass für eine Kirchenreform lediglich die Beachtung bereits bestehender Vorschriften nötig sei. Die Veröffentlichung und Ausführung der beschlossenen Texte übergab das Konzil dem Papst, inzwischen der sinnenfrohe Mediceer Leo X. (1513-1521).
Aus der unbestreitbaren Aufbruchstimmung der Konzilsväter wurde in der kurialen Praxis herzlich wenig. Gerade die Reform des Klerus und der Pfründenvergabe blieb nach dem abgezogenen Gewitter komplett stecken. Leo X. erschien den guten Vorsätzen gegenüber in der Folge gleichgültig.
Böse Fouls und Nickeligkeiten
Und so kippte das Spiel. Luther ließ am Laterankonzil kein gutes Haar. In Rom wisse man "selbs fast nichts mehr ... vom glauben zu sagen, wilchs sie gar groblich beweysset haben in diesem letzten Romischenn Concilio, darinnen unter vielen kindischenn, leychtfertigen artickel auch das gesetzt haben, das ... ein priester yhe einmal ym Monat sein gepet zu sprechen schuldig ist, will er sein lehen nit verlierenn".
Auch der Siegeszug von Buchdruck und Flugschriften sorgte dafür, dass die nun folgende Phase der Kirchengeschichte von bösen Fouls und Nickeligkeiten auf beiden Seiten geprägt wurde. Erst im Konzil von Trient (1545-1563) konnte Rom seine Reihen allmählich neu sortieren.