Vor 500 Jahren stirbt Hadrian VI. als gescheiterter Reformer

Machtloser Asket

Mit der Papstwahl des sittenstrengen Niederländers Hadrian VI. versuchte der Heilige Geist noch einmal, das Blatt zu wenden. Doch der Asket und Nichtitaliener biss im Vatikan auf Granit. So nahm die Kirchenspaltung ihren Lauf.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Blick auf den Petersplatz in Rom. / © Sergiu Leustean (shutterstock)
Blick auf den Petersplatz in Rom. / © Sergiu Leustean ( shutterstock )

"Aber es darf sich niemand wundern, dass wir nicht mit einem Schlag alle Missbräuche abstellen; denn die Krankheit ist tief eingewurzelt und vielgestaltig." Dieses Papstzitat stammt nicht etwa aus der berühmt gewordene Brandrede von Franziskus im Dezember 2014 über die 15 "Krankheiten" der römischen Kurie. Sondern von einem seiner Vorgänger, der vor genau 500 Jahren, am 9. Januar 1522, als Außenseiter auf den Stuhl Petri gewählt wurde: Hadrian VI.

Der Lebemann und Kunstmäzen Leo X. (1513-1521) war gestorben, das Vermögen des Kirchenstaates verjubelt in rauschenden Festen. Im Konklave blockierten sich gleich mehrere Parteien gegenseitig. In den Startlöchern standen unter anderen die Kardinäle Giulio de Medici, Neffe des gestorbenen Papstes, und der englische Lordkanzler Thomas Wolsey.

Als klugen Schachzug brachte Giulio de Medici schließlich einen abwesenden Außenseiter ins Spiel: Kardinal Adriaan Boeyens (oder auch Adriaen Florenszoon d'Edel), Statthalter Kaiser Karls V. in Spanien. Ein Mann von untadeligem Ruf - und vor allem: noch ganz weit weg von Rom.

Für hunderte Jahre der letzte Nichtitaliener

Ein Professor, ein Nicht-Italiener - wie nach ihm erst wieder der Pole Johannes Paul II. 1978. Die Wahl des asketischen "Adrian von Utrecht", der seinen Vornamen behielt und sich Hadrian VI. nannte, als Nachfolger des leichtlebigen Leo X. ließ mitten im theologischen Streit um "Reform" oder "Reformation" noch einmal Hoffnung auf eine radikale Umgestaltung der Kirche aufkeimen. Doch der Reformwillen des ernsten und wenig kunstsinnigen Nordmanns sollte am Unwillen des kurialen Establishments abprallen.

Mosaik von Papst Hadrian VI. in der Kirche Sankt Paul vor den Mauern in Rom / © KNA-Bild (KNA)
Mosaik von Papst Hadrian VI. in der Kirche Sankt Paul vor den Mauern in Rom / © KNA-Bild ( KNA )

Der begabte Zimmermannssohn aus Utrecht hatte einen beachtlichen sozialen Aufstieg vollzogen. Als Theologe und Philosoph wurde er Professor, dann Kanzler an der renommierten Universität Löwen. 1507 machte ihn Kaiser Maximilian I. zum Lehrer seines Enkels Karl - dem späteren V., in dessen Reich "die Sonne nie unterging". Ab 1516 war der gelehrte und tief fromme Adrian sogar Reichsverweser in Spanien, bis Karl 1517 mit 17 Jahren die Regentschaft übernahm.

Verlorenes Vertrauen

Als Bischof, Inquisitor und zeitweiliger Vizekönig vertiefte sich noch das Vertrauen Karls in seinen einstigen Erzieher - was am Ende ebenso zu seiner Papstwahl beigetragen haben dürfte wie sein hohes moralisches Ansehen. Doch bis zu seinem Amtsantritt sollten noch weitere sieben Monate vergehen. Erst Anfang März erhielt er die Nachricht von seiner Wahl. Ende August ging er in Italien an Land und empfing die Papstkrone.

Die römische Bevölkerung empfing den fast 63-jährigen Asketen schon feindselig; den freigiebigen Inszenierer Leo X. hatte man geliebt. Und als der freudlose Nordmann begann, durch einen drastischen Sparkurs Leos Schuldenberg abzutragen, wurde der Hass noch ärger.

Gegen Korruption und Hedonismus

Hadrian verweigerte sich der traditionellen Pfründenvergabe und Korruption an der Kurie und kehrte den Hedonismus mit dem Moralbesen aus. Reformunwillige schloss er, harsch und rüde, aus allen Entscheidungsprozessen aus. Seine vorgelebte Askese erschien wie ein ständiger Vorwurf an seine Umwelt. So verlor er selbst bei den Reformbereiten fast allen Rückhalt.

Seine zentralen Ziele waren einerseits die Zurückdrängung der Reformation, eine Reform der Zentralverwaltung und eine Sammlung der Christenheit gegen die neuerliche Türkengefahr. Letzteres war ein totaler Fehlschlag. Und auch was die Reformation in Deutschland anging, agierte Hadrian glücklos. Zwar teilte er als Moralist Luthers Fundamentalkritik an den Zuständen in Vatikan und Kirche - und ließ das auch dem Reichstag in Nürnberg 1523 klipp und klar mitteilen. Doch als Theologe pochte er gleichzeitig auf die Verteidigung der Glaubenslehre - und also auf eine Durchsetzung der Strafmaßnahmen gegen den Reformator; erfolglos.

"Einem Papst, der seinen eigenen Apparat der Verdammung preisgab, schuldete niemand mehr Gehorsam", schreibt der Historiker Volker Reinhardt. So war das Pontifikat Hadrians VI. spätestens mit dem päpstlichen Schuldbekenntnis von Nürnberg gescheitert, nach innen wie nach außen. Hadrian rieb sich auf, schrieb deprimiert nieder: "Wir haben nicht nach der Papstwürde getrachtet und hätten Unsere Tage lieber in der Einsamkeit des Privatlebens beschlossen." Nur die Pflicht vor Gott habe ihn zur Übernahme des Amtes bewogen.

Keine drei Jahre im Amt

Krank und überanstrengt, starb Papst Hadrian VI. im September 1523, nur 20 Monate nach seiner Wahl. Nun konnte sich endlich der Rollback vollziehen: eine neue, glänzende Medici-Ära mit rauschenden Festen, heiterem Savoir-vivre und Günstlingswirtschaft. Giulio de Medici stand als Clemens VII. (1523-1534) bereit - und das Papsttum ritt weiter in gestrecktem Galopp dem moralischen Bankrott entgegen.

War die Reformation eine zwangsläufige Folge des moralischen Versagens der Renaissancepäpste? Die historische Forschung gibt auch andere Erklärungsansätze; etwa einen gewissen politischen Interessensrückzug des Papsttums auf Italien und den Kirchenstaat, ausgerechnet in einer Zeit diverser epochaler Umbrüche.

Die Kirchenspaltung schritt währenddessen voran. Auch der Siegeszug von Buchdruck und Flugschriften sorgte dafür, dass die nun folgende Phase der Kirchengeschichte von bösen Fouls und Nickeligkeiten auf beiden Seiten geprägt wurde. Erst im Konzil von Trient (1545-1563) konnte Rom seine Reihen allmählich neu sortieren.

Quelle:
KNA