Es war eine simple Zeremonie - und eine der ganz großen Gesten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Am 13. November 1964 - am Ende einer Festmesse mit ostkirchlichen Patriarchen und Würdenträgern - legte Paul VI. seine Tiara, die dreifache Krone des Papsttums, auf dem Altar des Petersdoms nieder - als Geschenk an die Armen in der Welt. "Viva il papa povero!" - hochlebe der arme Papst - applaudierten die Anwesenden. Damit verzichtete Paul VI. zugleich auf ein Emblem geistlicher und weltlicher Macht, das nicht mehr zeitgemäß erschien.
Aber die Tiara war damit keinesfalls aus der Außendarstellung von Papst und römischer Kirchenleitung verschwunden. Bis heute schwebt in den offiziellen Wappen des Vatikanstaats sowie des Heiligen Stuhls weiterhin die Dreifach-Krone über den beiden gekreuzten Petrus-Schlüsseln. Und sie ist omnipräsent auf Stempeln und Schildern, auf Eintrittskarten und Briefmarken, auf offiziellen Schreiben und Dokumenten aus dem Vatikan.
Symbol für dreifache Gewalt des Papstes
Wohl bereits seit dem späten 4. Jahrhundert wurden die römischen Bischöfe nach ihrer Wahl mit einer hohepriesterlichen Kopfbedeckung gekrönt, die in ihrer Form auf eine alte phrygische Mütze zurückgehen soll. Sie trugen sie aber nur außerhalb von liturgischen Feiern, etwa bei Prozessionen in der Stadt. Allerdings dürfte es eine Legende sein, dass Kaiser Konstantin sie persönlich Papst Silvester I. (314-335) als Zeichen der Freiheit der Kirche überreicht hat.
Die Tiara sollte die dreifache Gewalt des Pontifex symbolisieren. "Empfange die mit drei Kronen geschmückte Tiara und wisse, dass du der Vater aller Fürsten und Könige bist, der Regierer der Welt und Stellvertreter unseres Herrn Jesus Christus auf Erden", sagte der Kardinaldiakon dem Neugewählten bei der Thronbesteigung. Wobei die drei Kronringe für das Lehramt, das Priesteramt und das Hirtenamt des Papstes stehen sollten.
Hilfe für die Armen
Auch Paul VI. wurde am 30. Juni 1963 auf dem Petersplatz nach diesem Zeremoniell gekrönt. Er trug die Tiara etwa zum ersten Weihnachts- und Ostersegen "Urbi et orbi" und noch zum Jahrestag seiner Krönung. Dann aber schenkte er das kostbare Juwel (Wert: etwa 10.000 Dollar), das ihm die Gläubigen seines früheren Bistums Mailand gestiftet hatten, den Armen.
Der New Yorker Kardinal Francis Spellman bemühte sich um die Krone; der Papst überließ sie den Amerikanern als Zeichen der Dankbarkeit für ihre großzügigen und langfristigen Hilfen für die Armen. Vier Jahr lang wurde die Tiara dann in US-Diözesen ausgestellt - stets daneben ein Opferstock und ein Spendenaufruf für die Armen. Dieser soll sehr viele Millionen Dollar - angeblich 1,3 Milliarden - erbracht haben. Seit Juni 1968 wird die Tiara im Marienheiligtum von Washington aufbewahrt.
Geste im Geist des Konzils
Paul VI. entsprach mit seiner Geste dem Geist des Konzils, das eine arme Kirche für die Armen anmahnte. Eine Kirche, die sich aber keinesfalls aus der Welt verabschiedete, sondern sich für mehr Frieden und Gerechtigkeit, für Menschenwürde und Menschenrechte einsetzt.
"Alle materiellen Güter der Kirche müssen im Dienst der Seelen stehen, und jeder Glanz muss der Caritas untergeordnet werden", kommentierte im November 1964 die Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano". Das Geschenk "zeigt einen Weg, öffnet einen Horizont, wie sich die Kirche und ihre Hirten von etwas trennen müssen, was nicht notwendig für ihr Leben, ihre Würde, ihre Mission ist, um für das Wohl der Menschen zu wirken".
Persönliche Entscheidung von Paul VI.
Das vatikanische Presseamt stellte klar, es handele sich um eine persönliche Entscheidung von Paul VI., die seine Nachfolger nicht binde. In der päpstlichen Sakristei befänden sich weitere Kronen, die künftig verwendet werden könnten.
Paul VI. selbst schien hier bis zuletzt unentschlossen. Seine 1975 erlassene Konklave-Ordnung sah ausdrücklich die "Krönung" eines neuen Papstes vor. Aber Johannes Paul I. wie auch seine Nachfolger verzichteten darauf. "Es entspricht nicht mehr der Zeit, einen Ritus wieder aufzugreifen, der (wenn auch unberechtigterweise) als Symbol der weltlichen Macht der Päpste angesehen worden ist", sagte der Johannes Paul II. bei seinem Amtsantritt 1978. Allerdings behielt er in seinem Papstwappen die Tiara als Pontifikatsemblem. Erst Benedikt VI. ersetzte sie in seinem persönlichen Wappen durch die bischöfliche Mitra, wie dann auch Papst Franziskus.