Vor 60 Jahren wurde Brittens "War Requiem" uraufgeführt

Als die Vertonung des Krieges eine Hoffnung auf Frieden war

Aktueller könnte ein Musikstück kaum sein: Das bedeutendste Werk des britischen Komponisten Benjamin Britten ist ein musikalisches Mahnmal für den Frieden. Die Uraufführung litt noch unter dem Kalten Krieg.

Autor/in:
Paula Konersmann und Annika Schmitz
Blick auf die Kathedrale von Coventry / © Gordon Bell (shutterstock)
Blick auf die Kathedrale von Coventry / © Gordon Bell ( shutterstock )

Eigentlich hatte Benjamin Britten (1913-1976) die Uraufführung seines bekanntesten Chorwerks anders geplant. Als Friedenszeichen inmitten des Kalten Krieges sollten am 30. Mai 1962 Musiker der verfeindeten Länder gemeinsam in der im Zweiten Weltkrieg zerstörten und wieder aufgebauten Kathedrale von Coventry das "War Requiem" erstmals aufführen. Doch der russischen Sopranistin Galina Wischnewskaja wurde die Ausreise verweigert. An ihrer statt sang die Engländerin Heather Harper.

"Die Poesie liegt im Leid"

Bemerkenswert war die Aufführung in jener Kathedrale, die 22 Jahre zuvor durch das Bombardement der deutschen Luftwaffe im November 1940 in Schutt und Asche gelegt worden war, dennoch. Der deutsche Bariton Dietrich Fischer-Dieskau sang neben dem englischen Tenor und Lebensgefährten von Britten, Peter Pears. Britten selbst dirigierte das Kammerorchester, der Dirigent Meredith Davies übernahm das große Orchester. Die BBC schnitt das Konzert mit.

Thema des Werks, so heißt es im Vorwort der Partitur mit Worten des Dichters Wilfred Owen, sind "der Krieg und das Leid des Krieges. Die Poesie liegt im Leid. Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist: warnen." Britten verbindet in dem etwa 90-minütigen Requiem die Texte der lateinischen Totenmesse mit Gedichtversen von Owen. Der britische Dichter verarbeitet darin seine Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg. Er fiel in Frankreich, eine Woche vor dem Waffenstillstand.

Verbindung der verfeindeten Parteien

Das Kammerorchester und die männlichen Solisten bieten Owens Texte musikalisch dar. Die Stimmen der verfeindeten Soldaten singen von Verzweiflung und Ohnmacht; so manches Mal schimmert die Todesangst hindurch. Das sinfonische Orchester, der große Chor und die Knabenstimmen übernehmen den Part der klassischen Totenmesse. Gleich zu Beginn ertönen die Totenglocken, der Chor intoniert das "Requiem". Er singt den Text auf zwei Tönen, einem c und einem fis. Britten eröffnet sein Werk mit dem Intervall des Tritonus, dem "diabolus in musica" - dem Teufel in der Musik.

Erst im letzten Satz, dem "Libera me", kommen alle Musiker zusammen. "Requiescant in pace" - "Mögen sie in Frieden ruhen", mit diesem innigen Gebet des Chors endet das Requiem. Doch zuvor verbinden sich auch noch die Tenor- und die Bassstimme, die einst verfeindeten Parteien. Lass uns jetzt schlafen, singen sie. Wenige Momente vorher waren die Soldaten nach ihrem Tod erstmals aufeinandergestoßen. "Ich bin der Feind, den du getötet hast, mein Freund", grüßte der eine dort den anderen.

Zeit seines Lebens Pazifist

Der 1913 geborene Britten war Zeit seines Lebens Pazifist. Die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs verbrachte er gemeinsam mit Pears in den USA. 1942 kehrten sie nach Großbritannien zurück, Britten verweigerte jedoch den Kriegsdienst und komponierte weiter: 1945 feierte er seinen Durchbruch mit der Oper "Peter Grimes", mit der die Londoner Sadler's Well Opera Company ihr Theater nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eröffnet.

Die Mutter hatte das musikalische Talent des kleinen Benjamin schon früh gefördert. Mit fünf Jahren erhielt er seine ersten Klavierstunden, mit acht Jahren verfasste er bereits eigene kleine Kompositionen. Während der Schulzeit erlernte er Bratschen- und Klavierspiel, letzteres studierte er zusammen mit Komposition. Das praktische Musizieren als Pianist und Dirigent blieb ihm zeitlebens eine Herzenssache, doch es waren seine Kompositionen, die ihn bekannt machen sollten.

Weltweite Ehrungen und Anerkennung

Herausragenden Werken wie dem "War Requiem" ist es zu verdanken, dass Britten ein halbes Jahr vor seinem Tod zum Baron erhoben wurde. Nach seinem Tod am 4. Dezember 1976 wurden ihm weltweit Ehrungen und Anerkennung zuteil. Die britische Zeitung "The Times" würdigte ihn mit den Worten, er sei der erste britische Komponist gewesen, der Musiker und Publikum in der Heimat gleichermaßen bewegt habe wie die in der großen weiten Welt.

Eine der bedeutendsten Momente seines Lebens dürfte aber wohl die Uraufführung des "War Requiem" gewesen sein. Britten hatte darum gebeten, dass nach der Aufführung nicht geklatscht werden solle - und so blieb es in der Kathedrale im Mai 1962 still. Das Werk hat der britische Komponist vier seiner Freunde gewidmet: Sie waren im Ersten Weltkrieg gefallen.

Quelle:
KNA