DOMRADIO.DE: Schon seit November ist ja der Kirchenraum wieder nutzbar. Nehmen Sie uns mal mit in das Münster. Wie sieht es heute im Vergleich zurzeit vor der Renovierung aus?
Markus Karas (Regional- und Münsterkantor am Bonner Münster): Wer das Erdbeben 1992 im Bonner Münster miterlebt hat, wie ich, der weiß, dass es ab da vor allen Dingen nicht nur Risse im Gewölbe gab, sondern es gab richtige Verschiebungen im Gewölbe, muss man sagen. Das hatte zur Folge, dass dann auch Steine aus dem Gewölbe brachen, in die Kirche fielen und deswegen eine Schließung unumgänglich war.
Davon sieht man nichts mehr. Es wurde sehr viel Putz abgeschlagen und neu aufgetragen. Das sieht einfach fantastisch aus. Es ist exakt wahrscheinlich so, wie es 1980 von der Farbgebung her gemacht wurde. Aber was der große Unterschied ist: Wir haben eine völlig neue Lichttechnik. Das heißt, das Licht fällt jetzt aus der Decke und gibt dadurch dem Münster eine ganz andere Farbgebung und vor allen Dingen auch Höhe. Die wurde vorher durch die hängenden Leuchter nicht so erreicht, sondern das hatte immer zwar was Gemütliches, aber diese strahlende Helle, die wir jetzt durch die neue Lichttechnik haben, gibt dem Gebäude eine ganz neue Erhabenheit.
Und was auch ganz neu ist bezüglich der renovierten Altäre, ist, dass die Alabaster-Altäre durch eine neuartige Lasertechnik so gereinigt wurden, dass man den Eindruck hat, dass 400 Jahre alte Altäre maximal vier Jahre alt sind. Das ist unglaublich, was da an scharfen Konturen nicht nur herausgearbeitet wurde, sondern natürlich Patina und Kerzen-Ruß, alles ist weg und es sieht fantastisch, einfach wunderbar aus!
Also, jeder sollte mal diesen Weg ins Münster finden, um diese Farbenpracht auch vor allem im Hochchor, der ja fast vollständig ausgemalt ist mit einem Doppel-Fresken-Fries von alt und neutestamentlichen Bildern zu sehen - das ist unglaublich toll, auch natürlich das Apsis-Mosaik mit dem Pantokrator, der die ganze Kirche, wenn man nach vorne schaut, beherrscht. Großartig!
DOMRADIO.DE: Und es sieht nicht nur innen großartig aus, es klingt auch großartig. Damit spiele ich auf die Orgel an, weil die hat man nicht nur einfach ausgebaut, sondern man hat sie auch erweitert. Nehmen Sie uns mal mit. Wie klingt denn die Orgel jetzt?
Karas: Ja, es war jetzt gerade zu den drei Konzerten, die wir jetzt im Mai schon anlässlich der Wiedereröffnung und vor allen Dingen der Einweihung der Orgel veranstaltet haben, in der Zeitung zu lesen, dass die Orgel jetzt kerniger, frischer und noch ausgewogener klänge – so also von einem ausgewiesenen Kritiker beschrieben. Und das trifft es. Es ist also so, dass vor allen Dingen die Flöten durch ihre Reinigung jetzt wieder einen unwahrscheinlich schönen runden Klang haben, und zwar über die ganze Klaviatur. Und natürlich ist auch die neue Celesta nicht nur ein Hinhörer, sondern ein Register, was die Klangpalette der Orgel ganz besonders um eine Facette bereichert, die gefehlt hat.
DOMRADIO.DE: Vielleicht müssen Sie uns die Celesta als Register an der Orgel erklären...
Karas: Also, wer Harry Potter-Filme kennt, der weiß, dass das Thema am Anfang von der Celesta gespielt wird. Aber man kann natürlich auch in die Klassik gehen, ob das jetzt in Mozarts Zauberflöte oder der Tanz der Zuckerfee in Tschaikowskys Nussknacker-Suite ist, das ist die Celesta, sie ist wie ein Klavier, normalerweise mit Tasten. Allerdings werden mit den Filz-Hämmern eben keine Saiten angeschlagen, sondern Metall-Plättchen. Man kann es also ein Metallophon nennen.
Die Technik ist im Prinzip das gleiche jetzt in der Orgel, nur dass wir die Tasten natürlich nicht direkt an dem Register haben, was hoch oben im Schwellwert B steht und dadurch auch noch in der Lautstärke variabel ist, sondern über Elektrokontakte werden diese Filzhämmer dann ganz genau wie bei der normalen Celesta angeschlagen und es ist ein zauberhafter Klang. Man kann es vielleicht als Glas-Harmonika beschreiben, aber es ist eben exakt ein Metallophon mit einem doch recht umfangreichen Tonumfang. Ganz toll
Und einen Zimbel-Stern haben wir noch dazu! Der bereichert nicht nur klanglich das Ganze. Wir waren jetzt vier Jahre in Sankt Remigius und da gibt es an der Orgel zwei Zimbel-Sterne. Und da kann es doch nicht sein, dass wir zurück ins Münster gehen und keinen Stern haben. Da könnte ich zum Glück alle Beteiligten überzeugen, dass wir den auch brauchen. Und der erfüllt vor allen Dingen auch optisch jetzt als Sonne gestaltet ein dreieckiges "Loch".
Das hat sich ergeben durch die Anordnung der Pfeifen im Unterwerk. Das war immer so ein bisschen schwarz. Und ansonsten ist die Münsterorgel durch ihren fantastisch gestalteten Prospekt mit den vielen, vielen Figuren von Manfred Saul so schön, dass dieses schwarze Loch ein, ich würde mal sagen, echtes kleines Manko war. Das ist jetzt gefüllt durch den Zimbel-Stern, nicht nur akustisch, sondern auch optisch. Wunderbar!
DOMRADIO.DE: Dann schauen wir jetzt mal die vier Chöre bei Ihnen am Bonner Münster. Stehen die im Münster irgendwo anders, haben die neue Podeste bekommen oder hat sich gar nicht so viel geändert?
Karas: Also wir haben auf der Empore nur einen neuen Belag. Da hatte ich nach der Erfahrung von Sankt Remigius, wo wir ja während der Renovierung viel gesungen haben, sehr für einen robusten Teppichboden geworben. Und den haben wir jetzt auch. Und der hat zum Glück nichts irgendwie akustisch negativ geschluckt - nur positiv insofern, dass man eben jetzt Schritte oder andere Bewegungen auf der Empore nicht mehr so hört. Und so ist es sehr angenehm, es ist jetzt erstens leiser und man kann sich aber auch draufsetzen, ohne dass es gleich kalt ist. Und insgesamt muss ich sagen, ist das sehr schön geworden.
DOMRADIO.DE: Wie haben eigentlich die Chöre darauf reagiert, dass sie jetzt endlich nach so vielen Jahren wieder ins Bonner Münster zurückkehren konnten?
Karas: Ja, das war schon eine große Freude, auch wenn die Gastfreundschaft in Sankt Remigius groß gewesen ist. Der große Unterschied zwischen beiden Emporen der Kirchen ist, dass in Sankt Remigius eine mechanische Orgel steht, das heißt, der Spieltisch steht mittendrin. Und das ist, gerade wenn man jetzt Instrumente dabei hat, für einen Dirigenten schwierig. Da steht man dann immer irgendwie ein bisschen zu sehr auf der Seite und verliert dadurch den Kontakt zu der jeweils auf der anderen Seite stehenden Hälfte des Chores.
Jetzt im Bonner Münster, wo der Spieltisch rechts an der Seite steht, haben wir sehr viel mehr Platz und vor allen Dingen eben auch diese Möglichkeit, das Orchester davor wieder zu stellen. Für die Chöre war es ein richtiges "Nach Hause kommen". Alle sind happy.
DOMRADIO.DE: Die Chöre haben ja nicht nur diesen Auszug und jetzt wieder Einzug gehabt, sondern es gab ja die Corona- Pandemie. Wie steht denn Ihre Chormusik am Bonner Münster nach dieser Pause und vor allem nach Corona da?
Karas: Eine wirkliche Pause haben wir nicht gemacht. Es ging mit den vier Ensembles, die wir haben, entweder im Wechsel oder auch gemeinsam, fast durchgängig durch die ganze Pandemie in den Gottesdiensten weiter. Wir haben natürlich teilweise sehr reduziert gesungen, immer natürlich corona-konform, auch den jeweiligen Auflagen entsprechend mit Maske oder eben mit großen Abständen. So haben wir auch geprobt. Wir hatten jetzt weniger die Zoom-Proben, wie das ja andere Chöre erfolgreich oder zumindest behelfsmäßig getan haben, sondern wir haben eben vor allen Dingen im Kirchenraum geprobt und fast durchgängig gesungen.
Es gab beim ein oder anderen Chor eine Pause von einem Vierteljahr, die Münsterschola hat ein bisschen länger pausiert, aber durch die vier verschiedenen Ensembles konnten wir das entweder auffangen oder auch durch Gast-Ensembles, die dann tatsächlich noch aktiv waren, ausgleichen, sodass es wirklich keine Pause am Bonner Münster gab oder in Sankt Remigius. Es ging immer weiter, es gab einige wenige Gottesdienste, wo wir tatsächlich nur mit Solisten gesungen haben. Aber das war die Ausnahme.
DOMRADIO.DE: Und wie hat sich das auf die Mitgliederzahl ausgewirkt? Man hört immer wieder, einige Chöre haben erheblich Mitglieder verloren, andere haben sogar welche dazugewonnen. Wie hat sich das bei Ihnen entwickelt hat?
Karas: Also, dazugewonnen würde ich jetzt so nicht unterschreiben können bei den Münster-Chören, weil wir haben zu viele lehrende und auch in der Kinderbetreuung tätige Sängerinnen und Sänger dabei, die einfach aus Rücksicht auf die Chormitglieder gesagt haben, ich bin jetzt mal lieber eine Weile weg, damit ich euch nichts in den Chor trage.
Aber wir hatten zum Glück eher eine stagnative Tendenz und wir hatten aber auch einige Neuzugänge, die dann die Stagnation sozusagen halten geholfen haben. Insofern bin ich jetzt aus der Corona-Pandemie nicht gerade so rausgekommen wie reingegangen, aber ich habe einen, das muss ich jetzt wirklich positiv vermerken, besser klingenden Gesamt-Apparat.
Und das liegt einfach daran, dass die einzelnen Chöre durch die großen Abstände lernen mussten, auf sich allein gestellt zu singen, ihre Stimme dadurch auch etwas mehr zu fordern und auch mehr Mut zu bekommen, aber auch ein bisschen mehr Übung natürlich in diesem unabhängigen Singen zu erlangen. Und das ist gelungen. Und ich habe auch von einem Tenor, der bei uns immer solistisch singt und auch als Kirchenmusiker in Köln tätig ist, gesagt bekommen, dass der Chor doch wesentlich besser klänge als vor der Corona-Pandemie. Und ein solches Feedback freut mich natürlich riesig.
DOMRADIO.DE: Das Münster ist wieder geöffnet. Wie wird es jetzt weitergehen mit der Kirchenmusik? Denken Sie, dass es jetzt nach der Pandemie mindestens so weitergeht wie bisher? Oder sehen Sie sich da eher auf neuen Wegen mit Blick auf das weitere Jahr?
Karas: Also, das vergangene Jahr war tatsächlich so dicht wie noch nie. Ich habe in den 43 Jahren, die ich jetzt als Kirchenmusiker tätig bin, noch nie so viele Gottesdienste mit Chor oder Instrumenten oder auch parallel dazu noch zusätzlichen Konzerten im Advent, der Weihnachtszeit, aber auch eben zuletzt im Mai und wieder im August gehabt. Das werden wir so nicht dauerhaft durchhalten können, da müssen mein Kollege Thiemo Dahmen und ich beide auch ein bisschen gucken, dass wir nicht unsere Grenzen und vor allen Dingen unsere Kraft überschreiten.
Die Chöre sind erstaunlich motiviert dabei. Ich finde das toll, wie die jetzt auch dieses Programm mitgezogen haben. Auch mit Konzerten in Köln beispielsweise - da waren wir in der Kammerchor-Konzertreihe am 20 März dabei. Jetzt im Sommer gibt es erst mal Orgelkonzerte. Und ansonsten werden wir wieder viele, viele Akzente setzen. Aber nicht dieses Durchgängige; jeden Sonntag, jeden Festtag mit Chor - da werden wir ein bisschen runterfahren müssen, damit der Motor, der jetzt ein bisschen heiß gelaufen ist, nicht bald in die Werkstatt muss!
Das Interview führte Mathias Peter.