Man kann sich ein schlimmeres Exil vorstellen als Avignon - und das werden sich auch jene Päpste, Kurialen und Höflinge gesagt haben, die dort im 14. Jahrhundert Hof hielten. Von 1309 bis 1376 war das Städtchen an der Rhone Rom. Denn dorthin hatte es das Papsttum verschlagen: unter dem Druck der französischen Krone - und wegen der politischen Wirren und Adelsfehden in Italien. Rom galt als quasi unregierbar. Dennoch stand eine Rückkehr in die Ewige Stadt fast immer im Raum. Vor 650 Jahren hätte es fast geklappt.
Das Symbol des päpstlichen "Exils", der Papstpalast am Rhone-Ufer, zählt als größter gotischer Palast der Welt heute zu den Touristenmagneten Frankreichs. Die päpstlichen Schatullen waren völlig leer, als der steinerne Koloss 1356 fertiggestellt war. Alles, was das Finanzgenie Johannes XXII. (1316-1334) etwa durch das Ablasswesen an diesseitigen Gütern angehäuft hatte, hatten seine Nachfolger verbaut oder durch prunkvolle Hofhaltung verjubelt.
Birgitta von Schweden
Eine der schärfsten Kritikerinnen des Papsttums von Avignon ist die heilige Birgitta von Schweden (1303-1373). Sie lässt Papst Clemens VI. (1342-1352) die Ohren klingeln mit der Prophezeiung eines Strafgerichts: "... und ich werde dich ausfragen über die Nachlässigkeit und die Unverschämtheit deiner Zeit. Und wie ich dich über alle Stufen aufsteigen ließ, so wirst du ... über andere Stufen hinabsteigen, die du wirklich an Leib und Seele spüren wirst, wenn deine großmäulige Zunge zum Schweigen kommt. Und dein Name, mit dem du dich auf Erden benannt hast, wird in meinen Augen und denen meiner Heiligen in Vergessenheit und Schimpf sein."
Zum "Heiligen Jahr" 1350 siedelt Birgitta selbst ins innerlich wie äußerlich verwahrloste Rom über, wo sie die letzten Jahrzehnte ihres Lebens verbringt: als Mutter der Armen und Prostituierten und als schlechtes Gewissen der Schlechten.
Urban V.
Als der "beste" der Päpste von Avignon gilt der Benediktiner Guillaume de Grimoard, ein Kompromisskandidat und zuvor Abt von Sankt Viktor in Marseille. Sittenstreng, fordernd, fromm und mildtätig, verstärkt Urban V. (1362-1370) die Reformbemühungen seines Vorgängers Innozenz VI. - was selbst den scharfen Papstkritiker Petrarca jubeln lässt: "O großer Mann, ohnegleichen in unserer Zeit".
Weil er nie Teil der Kurie war, fühlt sich der aus dem abgelegenen Gevaudan in den Cevennen stammende Urban V. fremd im Apparat von Avignon. Er regiert in seiner Mönchskutte, bedürfnislos und unbestechlich, kämpft gegen Ämterkauf und Pfründenhäufung. Zugleich verschlingen seine Förderung der Wissenschaften und neuer Universitäten in Europa und seine Bildungsstipendien für Arme namhafte Summen des Kurienbudgets.
1364 erhält dieser so hoffnungsvolle Papst Besuch von gleich vier hochgestellten Persönlichkeiten - alle mit demselben Ziel: Das Papsttum soll nach Rom zurück! Es erscheinen in Avignon Kaiser Karl IV., der Dichter Giovanni Boccaccio ("Decamerone"), die heilige Birgitta und der Dichterfürst Francesco Petrarca. Sie stehen für das Reich, für die Kultur, für Italien und die Kirche. Frankreich und Avignon zerren am Papst ebenso wie Italien und Rom. Und die Provence ist auch kein sicheres Pflaster mehr. Mehrfach plündern Söldnerheere die Region.
Einzug nach Rom
Am 16. Oktober 1367, vor 650 Jahren, ist es soweit: Urban V. zieht an der Seite des Kaisers in Rom ein. Wenige Wochen zuvor hatte ihn noch der Befrieder des Kirchenstaates, der spanische Kurienkardinal Gil Alvarez de Albornoz, in Viterbo begrüßt, bevor er dort, zur Enttäuschung des Papstes, starb. Albornoz hatte über viele Jahre die Verwaltung des zerrütteten Kirchenstaates neu strukturiert und ihm eine neue Gesetzgebung verordnet. So hatte er überhaupt die Rückkehr des Papstes möglich gemacht.
In Rom eingetroffen, krönt Urban V. die Ehefrau Karls IV. zur Kaiserin. Doch es gelingt ihm nicht, sich dauerhaft durchzusetzen. Für zusätzlichen Frust sorgt 1369 ein gescheiterter Unionsversuch mit dem vom Islam bedrängten byzantinischen Kaiser Johannes V. Der verspricht in Rom, gegen Militärhilfe die Kirchenspaltung von 1054 aufzuheben und den Papst anzuerkennen - doch er findet bei den eigenen Leuten keinerlei Unterstützung für diese Zusage. Der alte Traum von der Kircheneinheit platzt.
Rückkehr nach Avignon
Nach drei Jahren kehrt Urban V., entnervt und dem Drängen der Franzosen folgend, nach Avignon zurück - wo er binnen dreier Monate stirbt, wie es die heilige Birgitta prophezeit hatte. Genau 500 Jahre später, 1870, spricht ihn Pius IX., der Papst des untergehenden Kirchenstaates, selig. Urbans Grablege in der Abtei Sankt Viktor in Marseille wurde in der Französischen Revolution zerstört.
Sein Nachfolger Papst Gregor XI. (1370-1378) verlässt auf Betreiben der heiligen Katharina von Siena am 13. September 1376 Avignon für immer und schifft sich gen Rom ein. Das "Babylonische Exil" der Päpste ist beendet - die Probleme der Autorität des Papsttums allerdings nicht.