Von einer Salami hätte sie nie zu träumen gewagt. Als Anita Stapel mit Anfang 20 im zerbombten Nachkriegs-Berlin völlig unterernährt und schwach zwischen meterhohen Schuttbergen ein Care-Paket in Empfang nehmen darf, kann sie ihr Glück kaum fassen. Nach Jahren, in denen sie sich hauptsächlich von trockenem Brot, alten Kartoffeln und Dosenfleisch ernährt hat, ist die Aussicht auf Milchpulver und Wurst für sie "ein kleines Wunder", erzählt die 87-Jährige.
70-jähriges Bestehen
Die Organisation, die Tausenden Berlinern mit Lebensmittel-Päckchen das Überleben nach dem Zweiten Weltkrieg erleichterte, feiert dieser Tage ihr 70-jähriges Bestehen. Am 27. November 1945 gründeten 22 amerikanische Wohlfahrtsorganisationen in Washington die "Cooperative for American Remittances to Europe" (Kooperative für Amerikanische Überweisungen nach Europa), kurz Care. Im Englischen bedeutet die Abkürzung so viel wie Betreuung oder Versorgung. Die reine Lebensmittelhilfe hat sich in den vergangenen 70 Jahren zu umfassenderer Entwicklungsarbeit gewandelt. Care ist in der Nothilfe nach Naturkatastrophen aktiv, engagiert sich aber auch mit langfristigen Projekten für Geschlechtergerechtigkeit, gegen Hunger und die Folgen des Klimawandels in Entwicklungsländern.
Care-Pakete werden aktuell in Europa verteilt
Seit September verteilt die Hilfsorganisation erneut Care-Pakete, und zwar in Europa. Diesmal in Jutebeuteln, denn die sind unterwegs besser zu transportieren. Entlang der Balkanroute, in Serbien und Kroatien, brauchen viele Transitflüchtlinge Nahrung, Windeln und andere Hygieneartikel. Cila Stojanovic leitet die Verteilung für die Care-Partnerorganisation "Novi Sad Humanitarian Center". Sie berichtet von ähnlichen Reaktionen wie damals bei Anita Stapel: "Die meisten haben nach Wasser gefragt und haben sofort zu essen und zu trinken begonnen, als sie die Pakete geöffnet hatten. Viele waren vollkommen ausgezehrt."
Neben der Flüchtlingshilfe stehe vor allem auch die Stärkung von Geschlechtergerechtigkeit im Fokus der Hilfsorganisation, sagte Stefan Ewers, Vorstand bei Care Deutschland-Luxemburg. Obwohl Frauen und Mädchen die Hälfte der Bevölkerung ausmachten und die Hauptlast der Arbeit auf dem Land trügen, besäßen sie vor allem in Afrika kaum Entscheidungsgewalt. Sie seien quasi eine ungenutzte Ressource. Um Frauen, vor allem in Entwicklungsländern, mehr Mitspracherecht und Chancen auf Selbstbestimmung zu ermöglichen, hat Care unter anderem Spargruppen aufgebaut. Mit kleinen Darlehen können Frauen, beispielsweise in Haiti, wirtschaftlich unabhängiger werden und etwa einen Laden eröffnen oder eine Nähmaschine kaufen.
Gleichstellungsarbeit
Aber auch junge Männer möchte das Hilfswerk ansprechen. In einigen Balkanstaaten hat die Organisation sogenannte Initiativen aufgebaut, in denen beispielsweise in Theatergruppen das Verhältnis zwischen Männern und Frauen im Alltagsleben und die damit zusammenhängenden Rollenbilder reflektiert werden. Diese indirekte Gleichstellungsarbeit ist für Ewers besonders wichtig: "Wir müssen den Menschen ihre Rechte vor Augen führen und auch Regierungen damit konfrontieren, dass sie verantwortlich für die Menschen in ihrem Land sind. Das kann man allerdings nicht in ein Paket packen."
Sinnbild für humanitäre Hilfe
Obwohl sich die Arbeit der Hilfsorganisation weiterentwickelt hat, ist das Care-Paket auch heute noch ein Sinnbild für humanitäre Hilfe. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg schickten die US-Amerikaner etwa 100 Millionen davon nach Europa. Zehn Millionen gingen auch an die ehemaligen Kriegsgegner: nach Deutschland. Im Juli 1946 traf das erste Care-Paket in der Bundesrepublik ein.
Auch Anita Stapel hat das Paket 1949 beim Überleben geholfen. Bei einer Größe von 159 Zentimetern wog die junge Mutter nach der Geburt ihres Sohnes nur noch 48 Kilogramm. "Mit dem Milchpulver, dem Fett und dem Fleisch konnten wir endlich wieder richtig kochen und mussten erstmals nicht mehr nur von der dünnen Suppe aus Wasser und Roggenmehl leben." Mittlerweile hat die Berlinerin eine eigene Stiftung aufgebaut, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Sprachkompetenz von Kindern zu fördern. Viele der Projekte richten sich auch an Kinder mit Migrationshintergrund oder Fluchtgeschichte. "Ich will doch etwas zurückgeben", sagt Anita Stapel.