Der Auftrag kam von den Alliierten in den westdeutschen Besatzungszonen: Die USA, Großbritannien und Frankreich forderten im Juli 1948 die Ministerpräsidenten der Bundesländer auf, eine Verfassung auszuarbeiten.
Hans Ehard (CSU) aus Bayern ergriff die Initiative und schlug einen "besonders ruhigen Ort" vor, um mit Experten eine Vorlage für den geplanten Parlamentarischen Rat zu schaffen: die Herreninsel im Chiemsee. Nicht nur mit der traumhaften Lage im Voralpenland lockte er die Kollegen, sondern auch mit dem Hinweis, dass es dort nur zwei Telefone gebe – Diskretion wäre gewährleistet und der Einfluss der Parteien minimiert.
Ausreichend Tabak und Bier
Das Angebot stieß auf Wohlwollen. So reisten vom 10. bis 23. August 1948 rund 30 Länderbevollmächtigte und Experten ins Chiemgau. 13 Tage und Nächte diskutierten sie intensiv, wie eine Verfassung für das künftige Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aussehen sollte.
Die Sitzungen wurden beizeiten unterbrochen, um sich die Füße zu vertreten. Beim Spazieren über die weitläufige Insel ergab sich die Möglichkeit, in einer kleinen Gruppe Fachfragen weiter zu erörtern.
Manche der Herren hatten ihre Ehefrauen und Kinder mitgebracht. Zur positiven Atmosphäre dürfte auch beigetragen haben, dass jeder Teilnehmer pro Tag das Anrecht auf drei Zigarren oder zwölf Zigaretten hatte. Zum Trinken waren eine halbe Flasche Wein oder ein Liter Bier zugesagt.
Anton Pfeiffer als prägende Persönlichkeit
Als Tagungsort diente nicht das von Ludwig II. (1845-1886) nach dem Vorbild von Versailles errichtete Schloss, sondern das alte Augustiner-Chorherrenstift. In jenem Zimmer, wo der König einst zu speisen pflegte, als er die Arbeiten am Neubau verfolgte, saßen nun Staatsrechtler wie Carlo Schmid und Theodor Maunz. Sie brachten in großer Runde ihr Fachwissen ein.
Die als Gastgeber fungierenden Bayern hatten eine Vorlage erarbeitet, in der Hoffnung, damit den Konvent gleich zu Beginn in die entsprechende Richtung treiben zu können.
Eine der prägenden Persönlichkeiten war der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Anton Pfeiffer. Als "geschäftsführender Betreuer" hielt er mit Geschick alle Fäden in der Hand, wie der Historiker Manfred Treml notiert.
Pfeiffer vertrat eine föderalistische Politik auf katholischer Grundlage. Der aus Hessen entsandte Hermann Brill charakterisiert ihn in seinem Tagebuch als eine "Mischung von naturwüchsiger, bajuwarischer Vitalität, einem politischen Barock und einer fleißigen, exakten, aber etwas trockenen bürokratischen Manier".
Frauen eher im Hintergrund aktiv
Brills Aufzeichnungen geben wieder, wer mit wem besser konnte. Auch von einer Besichtigung des Münsters auf der Fraueninsel erzählt er. Dabei habe der Kunsthistoriker Baron Guido Leitgeb jede Erklärung mit einer "moralphilosophischen Pointe" versehen.
Es war eine reine Männerrunde, die sich die Köpfe heißredete. Frauen wie "Fräulein Stocker" und "Fräulein von Boemble" wurden im Hintergrund mit ihren stenografischen Fähigkeiten als Sekretärin oder Justizangestellte gebraucht.
Und eine Journalistin gab es: Susanne Suhr. Die Frau von Otto Suhr (SPD), dem Vorsitzenden der Berliner Stadtverordnetenversammlung, berichtete für die "Berliner Zeitung" vom Konvent.
Steinmeier als Hauptredner erwartet
Die Experten beschäftigten sich mit den Grundrechten, der Rolle des Föderalismus und dem Schutz des Regierungssystems vor antidemokratischen Angriffen. Zentrale Fragen, die heute wieder aktuell sind.
Das soll auch die neue Ausstellung an historischer Stelle deutlich machen, die von der Bayerischen Schlösserverwaltung und der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung überarbeitet wurde. Ab 11. August ist sie für die Öffentlichkeit zugänglich. Tags zuvor wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 75. Jahrestag des Konvents als Hauptredner zu einem Festakt erwartet.
CSU befürchtete Verlust der Eigenständigkeit Bayerns
Am Ende des Treffens 1948 stand ein 93-seitiger Bericht, der dem Parlamentarischen Rat zugeleitet wurde. Angesichts der drohenden Spaltung Deutschlands in West und Ost schlugen die Experten den Begriff "Grundgesetz" vor, um alle Möglichkeiten einer späteren Vereinigung offen zu halten.
Bayern lehnte letztlich das Grundgesetz ab, weil große Teile der regierenden CSU einen Verlust der Eigenständigkeit des Freistaats befürchteten. Sie sahen den Bund als zu hoch gewertet an. Ministerpräsident Ehard gab aber ein feierliches Bekenntnis zur Bundesrepublik und zur Verfassungstreue ab: "Wir bekennen uns zu Deutschland, weil wir zu Deutschland gehören."