"Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar": Dieses Bonmot ist nicht nur Literaturkennern vertraut. Der kleine Prinz, der die weisen Worte spricht, hat mit seiner Geschichte über Freundschaft und Vertrauen schon Generationen von Menschen verzaubert. Themenparks, Fortsetzungen und 3D-Filme widmen sich der literarischen Vorlage, die zeitlos poetisch bleibt. Ihr Erfinder kehrte nie von jenem Flug zurück, der vor 80 Jahren startete, am 31. Juli 1944.
Nebenbei-Autor
Antoine de Saint-Exupery, geboren 1900, war französischer Berufspilot - und schrieb eher nebenbei. Dennoch war er schon zu Lebzeiten als Autor anerkannt. Bei Aufklärungsflügen erlebte er den Blitzangriff der Deutschen auf Nordostfrankreich mit. Ende 1940 reiste er erneut nach New York und verarbeitete die Kriegserlebnisse in "Pilote de guerre" (1942) - einem Buch, das die Deutschen bald auf den Index setzen sollten.
Parallel dazu entstand die Idee zu einer Geschichte, die in Erinnerung ruft, was die Menschen verbindet - nicht nur der Krieg machte dem Armee-Piloten zu schaffen, sondern auch Eheprobleme. Ständig kritzelte und zeichnete er ein kleines Männchen, erinnerte sich daran, dass er nach einer Bruchlandung einmal inmitten der Wüste Sahara auf sich gestellt war - als Proviant hatte er damals eineThermosflasche mit Kaffee, einen Viertelliter Weißwein und ein paar Trauben für sich und seine Mechaniker dabei. Nach ein paar Tagen begannen sie zu halluzinieren, bis eine Karawane sie rettete.
Ein Märchen gegen den Lärm der Welt
Um dem Getümmel der Großstadt New York in Gedanken zu entfliehen, ließ der Autor - in Anlehnung an sein eigenes Wüsten-Abenteuer - das Märchen mit seinem Männchen, mittlerweile zu einem kleinen Prinzen im grünen Hosenanzug geworden, in karger Kraterlandschaft spielen. Mit wenigen Zutaten entstand die Fabel mit ihren 27 kurzen Kapiteln.
Die Sehnsucht des kleinen Prinzen nach seiner Rose, die er zu spät als solche erkannt hat, gilt als Symbol für Saint-Exuperys Frau, die er in Frankreich zurückgelassen hatte. Insgesamt wurde das Buch als Kritik an Egoismus und Konsumstreben gelesen - und als Plädoyer für Fantasie, für das Festhalten an Mitmenschlichkeit und dem kindlich-unverstellten Blick auf die Welt.
Mehr als 500 Übersetzungen
Im April 1943 veröffentlichte der US-Verlag Reynal & Hitchcock die Erzählung "Der kleine Prinz" zeitgleich auf Englisch und Französisch. Der französische Verlag Gallimard, bei dem Saint-Exupery unter Vertrag stand, klagte - und verlegte zwei Jahre später, nach dem Tod des Autors, eine erste Auflage für Frankreich. Inzwischen wurde das Buch in über 500 Sprachen und Dialekte übersetzt - nach Bibel und Koran gilt es damit als das am häufigsten übersetzte Werk der Weltliteratur.
Todesursache des Autors bleibt offen
Die philosophischen Alltagsbetrachtungen des kleinen Prinzen werden so oft in christlichen Gottesdiensten zitiert, dass sie schon als"fünftes Evangelium" bespöttelt wurden. Dem gegenüber stehen Zeitgenossen, die das Werk immer wieder neu zu durchdringen versuchen.
Der Vatikan-Experte Enzo Romeo zum Beispiel, der den Stoff 2015 neu ins Italienische übersetzte und mit Kommentaren zu biblischen Bezügen versah. 2014 begegnete der blonde Junge im grünen Mantel in der Görlitzer Weihnachtskrippe sogar der Heiligen Familie. Das Suchen sei dem kleinen Prinzen keineswegs fremd, erklärten die Initiatoren: Hier suche er das Jesuskind.
Verschwinden und Suchen
Manche Aussagen des kleinen Prinzen scheinen zukunftsweisender denn je, zum Beispiel: "Wenn man seine Morgentoilette beendet hat, muss man sich ebenso sorgfältig an die Toilette des Planeten machen." Inzwischen ist der kleine Prinz der Star eines eigenen Themenparks im Elsass; ein Asteroid ist nach seinem Heimatstern benannt.
Sein Erfinder erlebte diesen Erfolg nicht mehr mit. Erst 1998 wurde ein Armband von ihm im Meer gefunden. Ein Suizid des schwerdepressiven Schriftstellers lässt sich ebenso ausschließen wie ein Abschuss oder ein technischer Defekt; Erbstreitigkeiten sind bisheute nicht geklärt. Sein erfolgreichstes Buch endet mit dem Verschwinden des kleinen Prinzen. Und doch steht am Ende die Bitte des Erzählers an die Leserschaft, weiter nach dem kleinen Prinzen zu suchen.