Monica Vroon hat noch keine Zeit für Ehrfurcht. Gerade waren noch die Ordensschwestern da. Mächtig aufgeregt. Sie haben mit dem Übungskleid Auspacken geübt, oben in der Werkstatt der Textilkonservatorin der Aachener Domschatzkammer. Auspacken? "Ja stellen Sie sich vor, Sie sind in der Sakristei und der Dom ist voll wartender Menschen, alle gespannt."
Die vier Aachener Heiligtümer liegen in einer kostbaren wie komplizierten Verpackung im Marienschrein des Aachener Doms: in Seide gewickelt, in Schmucktuch gehüllt, in eine Stofftasche mit Goldknöpfen gelegt, in eine zweite eingenäht. Der Goldfaden ist 400 Jahre alt und 2,40 Meter lang. "Der darf sich beim Öffnen nicht verknoten", sagt Vroon. Obwohl die Heiligtümer jetzt noch verschlossen und unsichtbar im Dom liegen, bei Vroon sind sie gegenwärtig. Die Entnahme folgt einer detaillierten Regie.
Hoffnung auf Hilfe oder Heilung
Alle sieben Jahre ist das der faszinierende Moment: Kurz bevor die Hammerschläge durch den Dom hallen, ist es mucksmäuschenstill. Alle spüren diese Spannung. Der Goldschmied zerschlägt das Schloss am Marienschrein, die vier Aachener Heiligtümer werden entnommen: "Der Überlieferung nach" handelt es sich um das Kleid Marias, "die sogenannten Windeln Jesu", das Enthauptungstuch des heiligen Johannes des Täufers und das Lendentuch Jesu - die Wortwahl des Bistum scheint mit Bedacht gewählt.
Sind die Heiligtümer echt? "Es ist nicht wichtig, das zu wissen", sagt Vroon. Für sie ist es die dritte Heiligtumsfahrt. Nicht viele kennen die Reliquien so gut wie die quirlige 54-Jährige. Seit Jahrhunderten pilgern die Menschen nach Aachen, viele in der Hoffnung auf Hilfe oder Heilung. "Ist das nicht genug?" fragt sie. Das Lendentuch Jesu hat in früheren Zeiten auf unzähligen Köpfen von hoffenden Kranken gelegen. "Das ist sehr befleckt. Aber das gehört doch dazu", sagt Vroon. Auf dem Enthauptungstuch Johannes des Täufers gibt es Blut- und Verwesungsflecken.
"Man kann nicht sagen, die sind echt, man kann aber auch nicht sagen, sie sind es nicht." Mit einer Isotopenuntersuchung könnte man das Alter der Stoffe genauer bestimmen. Aber da dabei winzige Stoffteilchen der Reliquien verloren gingen, werde das nicht gemacht.
Auf Tuchfühlung mit Gott
Ob das ein Thema für die 100 000 Pilger ist, die zu der am Freitag beginnenden Heiligtumsfahrt (20.-29 Juni) in Aachen erwartet werden? "Die Echtheit ist keine naturwissenschaftliche Frage, sondern eine Frage des Glaubens", hatte der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff unlängst festgestellt. Kaum jemand hat das Wesen dieser Wallfahrt so auf den Punkt gebracht wie Mussinghoffs Vorgänger Klaus Hemmerle: Die Menschen gingen auf Tuchfühlung mit Gott. Vroon weiß, wie wörtlich das zu verstehen ist.
Als einzige Reliquie wird das Kleid Marias ausgefaltet und auf einer Stange hängend zu den Messen durch die Pilgerreihen getragen. "Die Leute berühren es. Ich verstehe, dass die das machen", sagt Vroon, auch wenn dieser Stoff empfindlich reagiert. Er musste schon geflickt werden.
Einen speziellen Seidenfaden und Nadel wird Vroon in einer Nacht für den Fall der Fälle bereit halten. Mit einer Kollegin wird sie alle Reliquien auseinanderfalten und genau ansehen. Drei Stunden Zeit werden sie haben. "Drei Stunden alle sieben Jahre, das ist nicht viel", sagt Vroon.