DOMRADIO.DE: Straßenwahlkampf in Corona-Zeiten, das geht. Aber größere Veranstaltungen soll es erstmal nicht geben. Wo ist da die Grenze?
Tim Kurzbach (Oberbürgermeister von Solingen und Vorsitzender des Diözesanrates im Erzbistum Köln): Die Corona-Schutzverordnung regelt ganz klar, dass maximal zehn Personen an einem Tisch zusammenbleiben dürfen. Das größte, was möglich ist, sind bis zu 300 Leute – aber mit ganz hohen Auflagen.
Das ist fast nicht zu erreichen, vor allen Dingen, wenn man auch bei größeren Veranstaltungen unmittelbar in den Dialog miteinander treten will. Mir ist wichtig, dass es nicht nur Monologe und Erklärungen von vorne gibt, sondern dass Bürgerinnen und Bürger ihre Fragen, ihre Anliegen und auch ihre Ideen äußern können und man ins Gespräch kommt. Deswegen ja, die großen Veranstaltungen wird es so nicht geben. Das Face-to-Face-Gespräch wird noch wichtiger.
DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist es, über die digitalen Medien zu gehen?
Kurzbach: Das war ja auch vorher schon wichtig und interessant. Die Lebenswelt, gerade von jüngeren Menschen, ernst zu nehmen, bedeutet auch, sie über die digitalen Medien anzusprechen. Das ist eines der Dinge, die über Corona hinausstrahlen werden. Wir sind in vielen Dingen digitaler geworden. Es gibt immer mehr Podiumsdiskussionen, die im Netz stattfinden. Über die sozialen Medien gibt es immer mehr Informationen für die Bürgerinnen und Bürger.
DOMRADIO.DE: Was erwarten die Menschen in der Corona-Krise von der Politik?
Kurzbach: Erst mal sind die Corona-Krise und das Virus nach wie vor gefährlich. Als Oberbürgermeister ist Wahlkampf nicht die erste Priorität. Ich bin gewählt, um die Bevölkerung der Stadt Solingen zu schützen. Wir haben jeden Tag noch Stäbe, die tagen. Wir treffen immer weitere Schutzmaßnahmen, etwa jetzt beim großen Thema Reiserückkehrer. Das hält mich gut in Atem. Wahlkampf ist in diesen Zeiten nicht einfach möglich, weil ich erst noch viel tun muss, um die Bevölkerung zu schützen.
DOMRADIO.DE: Welche Auswirkungen wird denn denn die Corona-Krise auf das Wahlverhalten der Bürger haben?
Kurzbach: Ich kann nur an alle appellieren, da nicht zu ängstlich zu sein. In den Kommunen wird entschieden, wie das Leben der Menschen in den Städten organisiert wird. Deswegen haben die meist ehrenamtlichen Kommunalpolitiker verdient, dass man sie unterstützt und ihnen ein starkes Mandat gibt. Ich denke, alle Städte haben gute Hygiene- und Schutzmöglichkeiten und Optionen eingerichtet. Da muss sich keine Sorgen machen. Ich hoffe, dass es eine starke Wahlbeteiligung gibt.
Ein bisschen Sorge macht mir, dass dann doch wieder mancher Extremist mit zu leichten Botschaften versucht, in die Kommunalparlamente zu kommen. Da brauchen wir gerade Christenmenschen, die aus Überzeugung für eine bunte und plurale Welt, für ein Weltbild des Wertes des Menschen eintreten und dann auch ihre Stimme abgeben.
DOMRADIO.DE: Sie sind Vorsitzender des Diözesanrats im Erzbistum Köln. Wie sollten die Kirchen sich zur Kommunalwahl verhalten?
Kurzbach: Ich denke, dass Kirchen genau diesen Wert betonen sollten. Corona überdeckt vieles, aber ich habe Halle und Hanau noch nicht vergessen, wo junge Männer sich irgendwie motiviert fühlten, Menschen umzubringen. Das war ein Klima in unserer Gesellschaft, das wir nicht vergessen dürfen und das immer noch da ist. Kirchen müssen ein starkes Wort sprechen für das Leben und für die Vielfalt des Lebens.
DOMRADIO.DE: Beklagt wird ja auch, dass der Anteil der kandidierenden Frauen bei den Kommunalwahlen gering sei mit nur 30 Prozent. Wie sieht das in Solingen aus bei Ihnen?
Kurzbach: Da haben wir starke Quoten. Das ist aber durchaus unterschiedlich, je nachdem von welcher Fraktion wir da ausgehen. Ich finde diese Ideen gut, die ja in vielen Parteien da sind, darauf zu setzen, dass es ein Gleichgewicht zwischen Frauen und Männern geben muss. Das finde ich sehr, sehr wichtig. Freiwilligkeit ist dabei schön und gut, aber ich glaube, ein wirklich gleiches Verhältnis zwischen Frauen und Männern kriegen wir nur dann hin, wenn es auch verpflichtend wird.
DOMRADIO.DE: Überall werden noch ehrenamtliche Wahlhelfer gesucht. Warum sollte man sich als Wahlhelfer engagieren?
Kurzbach: Weil Demokratie immer von denen Leben lebt, die sie unterstützen. Demokratie ist nicht wie ein Schaukelstuhl, wo man sich zurücklehnt und bestellt: sozialen Frieden, gute Jobs – und das sofort. Demokratie ist immer so stark und so agil wie die Menschen, die sich für sie engagieren. Wahlhelferinnen und Wahlhelfer sind zwingend notwendig, um die Stimmen fair und gerecht auszuzählen und um alles zu organisieren.
Ich kann nur für die Stadt Solingen sagen: Wir achten hier sehr gut darauf, dass alle geschützt werden, dass Hygienevorschriften eingehalten werden. Da muss sich niemand Sorgen machen. Wir suchen aber noch händeringend. Deswegen erlauben Sie mir den dringenden Appell – ich glaube, für alle Kolleginnen und Kollegen: Wir brauchen noch Wahlhelfer. Machen Sie mit! Ich glaube, das ist eine spannende Erfahrung und ein großer Dienst für unsere Demokratie.
Das Interview führte Dagmar Peters.