"Du nimmst ein Messer, gehst in eine Kirche, du schlachtest jemand ab, trennst zwei oder drei Köpfe ab, damit hat es sich!" Der junge Islamist Adel Kermiche aus dem Arbeiterort Saint-Etienne-du-Vouvray bei Rouen kündigte seine Tat wie selbstverständlich in den vermeintlich Sozialen Netzwerken an. Zwar war er einschlägig polizeibekannt und trug eine elektronische Fußfessel. Und doch konnte er völlig ungehindert am Morgen des 26. Juli 2016, vor einem Jahr, in die Pfarrkirche des Ortes spazieren und den 85-jährigen Geistlichen Jacques Hamel am Altar niederstechen und töten. Mit einem Küchenmesser, wie man es zum Gemüseschälen benutzt.
Seinen Mittäter Abdel Malik Petitjean hatte er erst vier Tage zuvor kennengelernt. Die beiden hatten sich über das Internet radikalisiert; die Moschee besuchten sie eher selten. Die Bluttat war komplett improvisiert, offenbar mit einem bloßen Blick auf den Gottesdienstplan des Ortes. Einer der nur fünf Gottesdienstbesucher, Guy Coponet, hatte an dem Tag Geburtstag, wurde 87. Zusammen mit seiner Frau Janine träumt er davon, 2018 gemeinsam den 65. Hochzeitstag zu feiern. Die Attentäter zwingen ihn, mit einer Handkamera zu filmen, was nun folgt.
Stich ins Herz der katholischen Kirche
Die beiden Muslime reißen alles herunter, was auf dem Altar steht, halten eine Art Kampfpredigt. Der Priester, Jacques Hamel, will sie beruhigen - doch er weigert sich niederzuknien. Mit zwei Messerstichen beenden sie sein Leben. Dann ist der zweite Mann an der Reihe, Guy. Sie stechen ihn in Arm, Hals und Rücken. Stark blutend sackt er zusammen, vor den Augen seiner entsetzten Ehefrau. Doch todgeweiht, überlebt er - auch weil einer Ordensfrau die Flucht gelingt und sie ein Einsatzkommando verständigt. Unterdessen beginnt einer der Islamisten mit den traumatisierten Frauen ein gespenstisches Gespräch über Gott und ihren Glauben.
Als die Polizei eintrifft, gehen die Täter hinaus - sie rufen "Allahu akbar" und werden erschossen. Der Vorgang verbreitet sich binnen Stunden über die ganze Welt - und wird zum Fanal. Ja, in Syrien, im Irak, in Nordkorea und anderswo sterben Tausende Christen, weil sie Christen sind; viele durch die Hand von Islamisten. Doch Hamel ist der erste christliche Priester, der im 21. Jahrhundert in Westeuropa vermeintlich im Namen Allahs ermordet wird. Der Angriff auf eine simple französische Dorfkirche zielt auf das Herz der katholischen Kirche.
Ein idealtypischer christlicher Märtyrer
Der belgische Historiker und Journalist Jan de Volder hat unmittelbar nach der Tat die Pfarrei besucht. Er hat Zeugen befragt, Lebensbegleiter von Jacques Hamel. Was er zusammengetragen hat über dessen knapp 60 Jahre Priestertum, fügt sich zu einem Bild zusammen, das die so heftigen weltweiten Reaktionen erklärbar macht. Der einfache und treue Gemeindepriester ist ein idealtypischer christlicher Märtyrer des frühen 21. Jahrhunderts.
Sein ganzes Leben lang hat er in der Nachfolge Christi verbracht, als Diener der einfachen Leute an den Rändern von Rouen. Nur ein einziges Mal, kurz vor seinem Tod, war er einmal auf Pilgerfahrt in Jerusalem.
Ein einfacher Mann
Er trägt abgestoßene, einfache Kleidung, mokiert sich schon in den 60er Jahren über seinen Bischof, der mit einem allzu großen Citroen vorfährt. Seinen Priesterbruder rügt er, weil der im Peugeot unterwegs ist - in einem Viertel, in dem ein großes Renault-Werk steht. Ein Franziskus-Mann.
Hamel ist als Person schüchtern und immer verlässlich, eher schlicht in der Ansprache. 1930 geboren und beeinflusst von der Arbeiterpriesterbewegung der "Nouvelle Theologie", bleibt er lebenslang offen für Neues. Er ist ein Priester des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Sein Freund und Mitbruder, Pfarrer Paul Flament, predigt zum Goldenen Priesterjubiläum 2008 in der Kathedrale von Rouen stolz, aus ihrem Weihejahrgang 1958 sei niemand je abgesprungen, aber auch keiner je Domherr geworden. Er meint das als Prädikat.
Hamel stand im Dialog mit der islamischen Gemeinde
Eine weitere Prägung für Hamels Leben: der Algerien-Krieg, für den er als Unteroffizier eingezogen wird. Einen Überfall in der Wüste überlebt er als einziger - und fragt sich seitdem: Warum ich? Und Algerien bleibt bei ihm. Der Mord an den Trappisten von Tibhirine 1996 beschäftigt ihn sehr. "Von Menschen und Göttern" wird Hamels Lieblingsfilm. Er weiß noch nicht, dass ihn einst dasselbe Schicksal erwarten wird. Der Tod seiner Mutter, die er in den letzten 13 Jahren bei sich hat, stürzt ihn in eine persönliche Krise - doch seine Pfarrkinder geben seine Treue zurück und fangen ihn auf.
Hamel lässt seine Pfarrei mit 75 Jahren los, unterstützt seinen Nachfolger aus dem Kongo loyal. Er bleibt dessen Hilfspfarrer, pflegt Kontakte zur islamischen Gemeinde, nimmt am Fastenbrechen der Muslime teil. Hamel bewegt das Statement des Abtes von Tibhirine, er sei betrübt, dass der bevorstehende Mord, den er erahnt, dem ganzen algerischen Volk angelastet werden würde.
Seligsprechung?
Jacques Hamel stirbt in einem Vorort, der nach Stephanus, dem ersten Märtyrer der Christen, benannt ist. Papst Franziskus hat, fast unmittelbar nach seinem Tod, die vorgeschriebene Fünf-Jahres-Frist bis zum möglichen Beginn eines Seligsprechungsverfahrens ausgesetzt. Kirchenrechtlich bedenklich, aber kirchenpolitisch nachvollziehbar.
Hamel ist ein Vorzeigemärtyrer des 21. Jahrhunderts. Der Autor de Volder resümiert: "Bodenständige Pfarrer wie Jacques Hamel ähneln in ihrem treuen und bescheidenen alltäglichen Dienst jenen Bäumen, die die Erde einer Pfarrei oder eines Viertels zusammenhalten. Sie verhindern soziale Erosion. Es ist eine stille Anwesenheit, die man kaum bemerkt. Sind sie aber nicht mehr da, bemerkt man erst ihren humanisierenden Einfluss."