Vor fünf Jahren begann der erste Corona-Lockdown

"Auch eine soziale, gesellschaftliche und ökonomische Frage"

Vor fünf Jahren trat mit dem Lockdown eine weitreichende Kontaktsperre zur Corona-Eindämmung in Kraft. Waren die Maßnahmen damals ethisch angemessen? Ein ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates hat eine eindeutige Meinung.

Autor/in:
Carsten Döpp
Corona-Pandemie / © Tobias Hase (dpa)

DOMRADIO.DE: Sie waren damals Mitglied des Corona-Sachverständigenrats. Am 22. März begann der erste Lockdown. Wie bewerten Sie heute die Aussagen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel damals zum Thema Rücksicht und Abstandhalten dazu gemacht hat?

Jutta Allmendinger / © Werner Schüring (KNA)

Prof. Dr. Jutta Allmendinger (Prof. für Soziologie, Mitglied. des deutschen Ethikrates und damals Mitglied des Corona-Sachverständigenrats): Der Zeit angemessen. Ich unterstützte voll und ganz ihre Haltung, dass es besser ist, vorsichtig zu sein, als zu risikofreudig. Es gab zu diesem Zeitpunkt kein klares Richtig oder Falsch. Wir hatten nicht genug Informationen; und die Politik musste alles tun, um die Menschen zu schützen.

DOMRADIO.DE: Natürlich ist man im Nachhinein immer klüger. Waren die strengen Maßnahmen damals wirklich notwendig?

Allmendinger: Nicht immer ist man im Nachhinein schlauer, aber in diesem Fall kann man sagen, dass wir mehr wissen. Das Virus wurde mit der Zeit besser verstanden und auch die Wissenschaft hat in verschiedenen Disziplinen große Fortschritte gemacht. Besonders die Virologie und die Entwicklung des Impfstoffs waren wichtige Meilensteine. 

Aber wir haben auch gelernt, dass es nicht nur eine medizinische, sondern auch eine soziale, gesellschaftliche und ökonomische Frage ist. Deshalb haben wir zunehmend interdisziplinär zusammengearbeitet. Wahrscheinlich hätten wir das früher tun können und vieles hätte anders laufen können. Aus dem, was wir damals erlebt haben, können wir jedoch viel lernen und das ist letztlich positiv.

Jutta Allmendinger

"Es geht nicht um Schwarz oder Weiß, sondern darum, aus der Vergangenheit zu lernen, um für die Zukunft besser gewappnet zu sein."

DOMRADIO.DE: Viele Politiker und Experten haben sich inzwischen dazu geäußert und gesagt, dass man im Verlauf der Pandemie mit den Regeln vielleicht doch übertrieben hat. Wie stehen Sie dazu? 

Allmendinger: Ich weiß nicht, ob man es wirklich mit den Regeln übertrieben hat. Im Nachhinein lässt sich das natürlich sagen. Es macht jetzt gar keinen Sinn mehr, eine Ausgangssperre ab 10 Uhr oder das Schließen der Schulen zu rechtfertigen, während gleichzeitig Geschäfte und bestimmte Arbeitsplätze offen blieben. Es gab viele Maßnahmen, die wenig sinnvoll waren, aber in der damaligen Situation wurde eben so gehandelt. 

Was wir daraus lernen müssen, ist, dass die Wissenschaft sich mehr Zeit nehmen sollte, um sich abzustimmen. Vor allem nach der Entwicklung des Impfstoffs. Es ist entscheidend, dass man besser kommuniziert und auch mehr Daten sammelt, um zu verstehen, was international oder im Vergleich innerhalb Deutschlands besser oder schlechter funktioniert hat und warum. Auch die Koordination zwischen Bund und Ländern war nicht ideal und muss verbessert werden. Ich mache mir Sorgen, ob wir wirklich die Bereitschaft haben, sich hinzusetzen und offen auf diese Zeit zurückzublicken, ohne sofort mit dem Finger auf andere zu zeigen. Es geht nicht um Schwarz oder Weiß, sondern darum, aus der Vergangenheit zu lernen, um für die Zukunft besser gewappnet zu sein.

Symbolbild Menschen mit Mundschutz in der Corona-Pandemie / © View Apart (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Aktuell wird ja viel über den Ursprung des Coronavirus diskutiert. Der Bundesnachrichtendienst geht davon aus, dass das Virus aus einem chinesischen Labor stammen könnte. Es wird behauptet, dass das Kanzleramt davon gewusst haben soll. Wie sehen Sie diese Debatte? 

Allmendinger:  Ich sehe das als einen weiteren Grund, warum wir eine gründliche Aufarbeitung brauchen. Das gehört ebenfalls dazu. Was jetzt wieder hochkommt, sind Fragen wie: Warum wurden wir in die Irre geführt? Warum wurde uns die Situation nicht so dargestellt, wie sie damals war? Das fördert natürlich Corona-Leugnung. Und führt dazu, dass Menschen glauben, es sei alles Teil einer riesigen politischen Verschwörung.

Jutta Allmendinger

"Ich verstehe natürlich die Befürchtungen, dass eine Aufarbeitung zu einem neuen Ansturm von Gewalt und Aggression führen könnte."

DOMRADIO.DE: Vor fünf Jahren haben sich viele Experten zum Coronavirus geäußert und ihre Expertise eingebracht, was damals wichtig war. Viele würden das heute nicht mehr tun, weil sie angefeindet und unter Druck gesetzt wurden. Wie war das bei Ihnen persönlich?

Allmendinger: Ich befand mich in einer sehr komfortablen Lage. Ich kam ja erst etwas später ins Spiel, weil zu Beginn vor allem Virologen und Virologinnen beteiligt waren. Erst später stießen Wirtschaftswissenschaftler und Sozialwissenschaftler dazu. Das war zu einer Zeit, als bereits die Evaluation des Infektionsschutzgesetzes stattgefunden hatte und sich die Lage etwas beruhigt hatte. Ich war damals auch nicht im Ethikrat, aber jetzt sehe ich die Situation aus der Perspektive des Ethikrats. Ich spreche gerade aus dem Ethikrat heraus. Momentan nehme ich wahr, dass die Wunden noch groß sind. Ich verstehe natürlich die Befürchtungen, dass eine Aufarbeitung zu einem neuen Ansturm von Gewalt und Aggression führen könnte. 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Initiatoren von Corona-Aktion #allesdichtmachen räumen Fehler ein

Das Schauspieler-Paar Martin Brambach und Christine Sommer hat nach der Beteiligung an der Internetaktion #allesdichtmachen mögliche Fehler eingeräumt. "Unser Ziel war es eine Diskussion anzustoßen, sollten wir jedoch durch unsere Teilnahme an dieser Aktion Menschen verletzt haben, möchten wir uns dafür entschuldigen", teilten die Darsteller in einem gemeinsamen Statement mit. Nichts habe ihnen ferner gelegen, als Corona-Opfer zu verhöhnen oder die Krankheit zu verharmlosen.

Screenshot Internetaktion #allesdichtmachen (dpa)
Quelle:
DR

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