Vor zehn Jahren kamen die ersten Gefangenen nach Guantánamo

Sündenfall der USA im Kampf gegen Terror

Zehn Jahre Militärjustiz, knapp 800 Häftlinge und nur sieben Gerichtsurteile: Menschenrechtsaktivisten und Politiker machen den USA wegen ihres berüchtigten Gefangenenlagers Guantánamo weiter schwere Vorwürfe. Die Organisation Amnesty International demonstrierte vor der amerikanischen Botschaft in Berlin für eine baldige Schließung des Lagers und prangerte die Untätigkeit der Bundesregierung an.

Autor/in:
Konrad Ege
 (DR)

Grüne erinnern an Obamas Wahlkampfversprechen

Ähnlich äußerten sich FDP und Grüne, die US-Präsident Barack Obama an sein uneingelöstes Wahlkampfversprechen erinnerten, den "Schandfleck" Guantánamo zu beseitigen.



Nach Aufnahme der ersten Terrorverdächtigen am 11. Januar 2002 sei das Militärlager mehr und mehr zum "Symbol für den verfehlten Kampf gegen den Terrorismus" geworden, kritisierte der Amnesty International-Generalsekretär in Deutschland, Wolfgang Grenz. Von den knapp 800 bisherigen Insassen seien lediglich sieben rechtskräftig verurteilt worden. "Die verbliebenen 171 Häftlinge müssen entweder vor ein ordentliches Zivilgericht gestellt oder freigelassen werden", forderte Grenz.



Als Zeichen des Protests sperrte Amnesty am Mittwoch Aktivisten in orangener Häftlingskluft in nachgebildete Gefängniszellen vor der Botschaft am Brandenburger Tor. Außerdem wurden Unterschriften für die Schließung Guantánamos gesammelt. Am Nachmittag sollten ferner die Namen aller bisherigen Häftlinge von Berliner Schülern verlesen werden.



US-Kongress blockiert Schließung des Lagers

Nach Ansicht des menschenrechtspolitischen Grünen-Sprechers Volker Beck hat die Bundesregierung nicht genug zur Schließung Guantanamos beigetragen. Seit 2002 habe Deutschland lediglich zwei ehemalige Häftlinge aktiv aufgenommen. Dabei hätten die Vereinigten Staaten ihre Bündnispartner dringend gebeten, nachweislich ungefährliche Lagerinsassen zu übernehmen.



FDP-Generalsekretär Patrick Döring bezeichnete Guantanamo als "Sündenfall der westlichen Welt". Wenn die Demokratien des Westens der terroristischen Bedrohung wirksam entgegentreten wollten, dürften sie nicht ihr eigenes Wertesystem opfern, mahnte er. "Deshalb wünschen wir uns, dass der US-Kongress seine Haltung überdenkt und den Weg zur Auflösung des Lagers freimacht."



Schon im Wahlkampf 2008 hatte der jetzige US-Präsident Barack Obama angekündigt, Guantanamo binnen eines Jahres zu schließen. Diese Frist ist jedoch längst verstrichen. Seit einem Jahr hat kein einziger Häftling mehr das Lager verlassen können.



Der von den Republikanern dominierte US-Kongress sperrt sich gegen Freilassungen, weil einige Ex-Insassen zu den Taliban oder zu Al Kaida zurückkehrten. Eine Verlegung der Gefangenen in die USA hat der Kongress ebenfalls verweigert - und damit Obamas Schließungsplan praktisch zunichtegemacht.



Fotos von Häftlingen in Ketten und orangefarbenen Anzügen schockierten weltweit

Die vor zehn Jahren im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba aufgenommenen Fotos von Häftlingen in Ketten und orangefarbenen Anzügen schockierten weltweit. Am 11. Januar 2002 trafen die ersten 20 Gefangenen in Guantánamo ein. Noch heute steht das Gefangenenlager für Willkür im "Krieg gegen den Terrorismus". Die Schließung von Guantánamo forderte die Anti-Folter-Expertin der "Ärzte für Menschenrechte", Kristine Huskey. Es sei "illegal und unmoralisch", Menschen auf unbegrenzte Zeit und ohne Prozess festzuhalten.



In Guantánamo habe die Furcht vor dem Terrorismus "unsere Werte" überwältigt, klagte der Direktor des "Nationalen religiösen Verbandes gegen Folter", Richard Killmer. Die Haftbedingungen im Lager hätten sich seit 2002 anscheinend verbessert, berichtete jüngst Amnesty International. Das "System Guantánamo" habe sich jedoch gefestigt.



Anfang 2002 - vier Monate nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 - sah die Welt anders aus: US-Streitkräfte kämpften in Afghanistan gegen die Taliban und suchten nach dem Terror-Anführer Osama Bin Laden. Politiker warnten vor neuen Anschlägen in den USA. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld besuchte Guantánamo und erklärte, die Taliban- und Al-Kaida-Gefangenen würden dort menschlich behandelt.



779 Gefangene sind seit 2002 in Guantanamo inhaftiert worden

Die den Minister begleitende demokratische Senatorin Dianne Feinstein sagte damals, die Haftbedingungen seien besser als die in manchen Haftanstalten in Kalifornien. 779 Gefangene sind seit Januar 2002 in Guantánamo inhaftiert und verhört worden. Der letzte Häftling kam im März 2008 nach Guantánamo. Die meisten Gefangenen wurden nach jahrelanger Haft wieder freigelassen. 171 sind noch immer in dem Lager.



Rumsfelds Behauptungen allerdings ließen sich nicht halten. Ehemalige Häftlinge berichteten über unmenschliche Behandlung, Schlafentzug, Schläge, Fesseln in Stresspositionen und Lärmbeschallung. Viele Gefangene seien vor ihrer Verlegung nach Guantánamo in geheimen CIA-Gefängnissen und im US-Stützpunkt im afghanischen Bagram gefoltert worden, unter anderem mit Waterboarding, hieß es.



Khalid Scheich Mohammed, der als Chefplaner der Terroranschläge vom 11. September gilt, sitzt in Guantánamo ein. Aber nur ein kleiner Anteil der 779 Gefangenen gehört offenbar in die Kategorie der "brutalsten Killer". Forscher an der katholischen Seton Hall Universität in South Orange im US-Bundesstaat New Jersey haben Anfang 2011 ein von Rumsfeld verfasstes Geheim-Memorandum vom März 2003 aufgedeckt. Guantánamo werde "bevölkert von niedrig-rangigen feindlichen Kämpfern", schrieb Rumsfeld darin.



Wikileaks: Enthüllung zu Guantanamo

Im April 2011 veröffentlichte die Enthüllungsplattform Wikileaks Hunderte Dokumente zu Guantánamo. Diese bestätigten, dass viele Gefangene auf falscher Grundlage inhaftiert worden seien, erklärte der Journalist Andy Worthington, Autor von "Guantánamo Files". Viele seien nur "unbedeutende Taliban-Rekruten".



Die Demonstrationen am zehnten Jahrestag richten ihre Kritik besonders an US-Präsident Barack Obama. Dieser habe doch unmittelbar nach Amtsantritt im Januar 2009 die Schließung des Lagers angeordnet. Das Vorhaben scheiterte am Protest republikanischer Politiker. Diese hatten kritisiert, man dürfe die angeblich supergefährlichen Häftlinge nicht in Gefängnisse auf dem US-Festland verlegen.



Anscheinend hat der Präsident jedoch auch seine Ansichten geändert. Am letzten Tag des Jahres 2011 unterzeichnete Obama ein weitreichendes Anti-Terrorgesetz, dem zufolge das US-Militär Terrorverdächtige, offensichtlich auch US-Bürger, unbegrenzt lange festhalten darf. Ein paar der Guantánamo-Häftlinge können sich indes gegenwärtig Hoffnung machen. Die Taliban will ein Verbindungsbüro im Golfstaat Katar eröffnen, angeblich in Vorbereitung auf Friedensverhandlungen mit den USA. Bei diesen Verhandlungen müsste auch die Freilassung mehrerer Taliban-Vertreter in Guantánamo zur Sprache kommen.