Theologe fordert vor Bischöfen neue katholische Sexualmoral

Wackelnde Fundamente?

Eine erhebliche Änderung der kirchlichen Sexualmoral hat der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff vor den deutschen katholischen Bischöfen gefordert. Entsprechend äußerte er sich in einem Grundsatzreferat in Lingen.

 (DR)

Vor der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz empfahl der Freiburger Theologie-Professor am Mittwoch eine positive Sicht auf die menschliche Sexualität.

Unter anderem solle die Familienplanung auch mit künstlichen Verhütungsmitteln nicht länger als lebensfeindlicher Akt, sondern als Dienst am Leben anerkannt werden, forderte der Moraltheologe. Denn diese Gewissensentscheidung sei auf die gegenseitige Achtung der Partner und auf die Sorge um das Wohlergehen der Kinder gerichtet.

Eheverständnis

Ferner solle die Kirche anerkennen, dass es legitime Sexualbeziehungen auch außerhalb der heterosexuellen Ehe gebe. Die lebenslange Ehe sei zwar der beste Rahmen für gelebte Sexualität, aber nicht der einzig mögliche.

Die Kirche soll nach den Worten Schockenhoffs an einem Eheverständnis festhalten, das die Ehe als eine ganzheitliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau versteht. Zugleich müsse sie gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften vorbehaltlos anerkennen und darauf verzichten, "die in ihnen gelebte sexuelle Praxis moralisch zu disqualifizieren".

Promiskuität, offene Mehrfachbeziehungen und Untreue bezeichnete Schockenhoff hingegen als "moralisch fragwürdig". Dies gelte unabhängig von der sexuellen Orientierung der Betroffenen.

Schockenhoff stellte laut Redemanuskript klar, dass der Glaubwürdigkeitsverlust der bisher geltenden katholischen Sexualmoral nicht durch die gegenwärtige Missbrauchskrise verursacht worden sei.

Vielmehr habe die Kirche die Erkenntnisse der zeitgenössischen Wissenschaften nicht in ihre Sexualethik integriert und beziehe sich bis heute auf die "vergiftete Sicht der Sexualität", die der Kirchenvater Augustinus (354-430) entworfen habe. Dieser habe die erotische Lust als eine Folge der Erbsünde des Menschen interpretiert.

Kritik an Sexuallehre Johannes Paul II.

Schockenhoff kritisierte auch die Sexuallehre des Heiligen Johannes Paul II. (1978-2005). Dessen "Theologie des Leibes" sei zwar ein "bedeutsamer Fortschritt gegenüber der erbsündentheologischen Sichtweise des Augustinus". Dennoch bleibe in dieser Sexualmoral "die Warnung vorherrschend, die Ehepartner sollten sich nicht als Objekte ihres sexuellen Verlangens missbrauchen".

Zugleich kritisierte Schockenhoff die Grundannahme von Johannes Paul II., dass die kirchliche Sexuallehre nicht von Menschen gemacht, sondern "von der Schöpferhand Gottes in die Natur der menschlichen Person eingeschrieben" worden sei. Eine solche Annahme hindere die Kirche daran, sich die Abhängigkeit ihrer Sexuallehre von historischen Fehlentwicklungen einzugestehen.

Als "Lichtblick" bezeichnete der Theologe die positive Sicht der Sexualität und der erotischen Dimension der Liebe, die Papst Franziskus in seinem Schreiben "Amoris laetitia" von 2016 formuliert habe. Für die Zukunft empfahl Schockenhoff "inhaltliche Revisionsarbeiten am Gebäude der kirchlichen Sexualmoral" und eine Kurskorrektur vorzunehmen.

Ziel müsse sein, "die Bedeutungsfülle menschlicher Sexualität in ihren positiven Gestaltungsmöglichkeiten zu bejahen". Dies erfordere "keineswegs einen vollständigen Bruch mit den Grundüberzeugungen der bisherigen kirchlichen Sexuallehre". Es gehe vielmehr darum, ihre Einsichten an die gegenwärtigen Lebensverhältnisse und neuen Einsichten der Humanwissenschaften anzupassen.


Eberhard Schockenhoff / © Harald Oppitz (KNA)
Eberhard Schockenhoff / © Harald Oppitz ( KNA )

Bischöfe  / © Harald Oppitz (KNA)
Bischöfe / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA