Im Interview der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag) verwies er auf die Zustände in Italien. Dort hätten Regionalzeitungen teilweise 40 Sonderseiten mit Todesanzeigen gebracht. "Wir kämpfen seit Wochen darum, genau das in Deutschland zu verhindern", so der Linken-Politiker. "Deshalb regen mich manche Aspekte der jüngsten Öffnungsdiskussion auch so auf."
Auf einmal heiße es unter Verweis auf die vergleichsweise niedrigen Infektions- und Sterbezahlen in Deutschland, das Virus sei gar nicht so schlimm und die Maßnahmen seien überzogen. "Manche Dummköpfe sprechen sogar von der 'Kanzlerdiktatur'", sagte Ramelow. "Dabei jammern sie überall herum, sie dürften nichts mehr sagen im Polizeistaat Deutschland."
Erfolg der bisherigen Maßnahmen
Weiter meinte der Ministerpräsident: "Der Erfolg unserer Entscheidungen vom 12. März droht langsam zu unserem Verhängnis zu werden. So als hätten die Menschen mittlerweile vergessen, dass in der Lombardei die Leichen mit Militärlastern abtransportiert werden mussten."
Zugleich räumte Ramelow ein, dass er sich gerade mit Blick auf ältere und kranke Menschen heute frage, ob die ergriffenen Maßnahmen in allen Punkten richtig gewesen seien "oder ob es nicht möglicherweise noch andere Lösungen gegeben hätte". Und weiter: "Zur Wahrheit gehört: Wir haben Menschen in den vergangenen Wochen allein sterben lassen, ohne Begleitung, ohne Trost. Das war würdelos, auch wenn es uns alternativlos erschien."
Vor Kurzem sei beispielsweise seine Nachbarin gestorben, sagte der Politiker. "Ich kannte sie seit vielen Jahren. Eigentlich hätte ich nicht bei ihrer Beerdigung dabei sein dürfen. Doch ich hatte das Gefühl, es zu müssen, wenn auch mit großem Abstand. Alles andere wäre mir unmenschlich vorgekommen. Schließlich habe ich gegen die Verordnung verstoßen, die ich selbst zu verantworten habe."
Bodo Ramelow: Sterben ist Teil des Lebens
Im Umgang der Menschen mit der Corona-Pandemie erkennt der Ministerpräsident von Thüringen einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel. Kranke und Tote kämen in der Berichterstattung inzwischen kaum noch vor, sagte der Linken-Politiker. "Wir haben das Gefühl dafür verloren, dass das Sterben immer auch Teil des Lebens ist."
Er selbst komme vom Dorf, so Ramelow weiter. "In meiner Jugend war es üblich, dass die Toten in ihren Wohnungen aufgebahrt wurden. War das Trauergeläut zu hören, ist die ganze Dorfgemeinschaft mitgegangen zum Friedhof. Das gibt es heute nicht mehr. Das schmerzt mich."