Warum die Fürbitten am Karfreitag diesmal anders sind

"Keine Menschengruppe ausgrenzen!"

Mit einer besonderen Fürbitte beim Karfreitagsgottesdienst möchte die katholische Kirche für die Opfer des Ukraine-Krieges beten. Warum das Erzbistum Köln empfiehlt den Text abzuändern, erklärt Liturgieexperte Alexander Saberschinsky.

Gefaltete Hände zum Gebet (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was sind denn die zehn großen Fürbitten in der Karfreitagsliturgie, warum sind das genau zehn und warum sind sie "groß"?

Prof. Alexander Saberschinsky / © Tomasetti (DR)
Prof. Alexander Saberschinsky / © Tomasetti ( DR )

Prof. Dr. Alexander Saberschinsky (Liturgiereferent des Erzbistums Köln): Weil sie viel Platz bekommen! Die Karfreitagsliturgie ist ja keine Eucharistiefeier, sondern besteht im Kern aus einem Wortgottesdienst und einer Kreuzverehrung. Und ab dem 7. Jahrhundert kommt dann noch ein Kommunionempfang dazu. Aber die Fürbitten sind ganz alte Bestandteile. Seit dem 4. Jahrhundert wissen wir sicher davon, dass sie Teil des Wortgottesdienstes sind. Das ist also wirklich liturgisches Urgestein!

Alexander Saberschinsky

"Die großen Fürbitten sind wirklich liturgisches Urgestein!"

 

Sie haben die ganz alte Form wie Fürbitten gefeiert werden. Erst wird das Gebetsanliegen genannt, dann ist Stille und am Karfreitag besonders inszeniert durch die Aufforderung "Beuget die Knie!"; also alle knien sich hin. Und dann, nach der Aufforderung, sich zu erheben, kommt ein zusammenfassendes, laut gesprochenes Gebet. Und während in den anderen Gottesdiensten das ganze Jahr über diese Fürbitten völlig in Vergessenheit geraten sind - jahrhundertelang gab es keine Fürbitten - haben sie sich nur am Karfreitags-Gottesdienst erhalten und sind dann auch zum Modell geworden mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Fürbitten wieder einzuführen. Sie haben die gleiche thematische Bandbreite wie die Fürbitten in normalen Gottesdiensten.

Da sind es zwar nicht zehn Fürbitten, aber die Themen sind die gleichen. Es geht in der Regel immer um die Kirche, die Regierenden, Menschen in Not, das Heil der Welt. In den Karfreitagsfürbitten wird das entfaltet. Also zum Beispiel für die Kirche allgemein, für den Papst, für die verschiedenen Stände in der Kirche, aber auch für die, die sich auf die Taufe vorbereiten, für die wird gebetet und in der Summe gibt es dann zehn Fürbitten.

DOMRADIO.DE: Und in diesem Jahr gibt es eine elfte Fürbitte, die dann den Krieg in der Ukraine anspricht. Wie genau?

Saberschinsky: Die neue Fürbitte, die zusätzliche in diesem Jahr ist, wird nach der neunten Fürbitte eingefügt. Das hat folgenden Grund: Die letzte Fürbitte, also die, die sonst die zehnte ist, ist eine Bitte für alle Notleidende. Und dann wird sozusagen davorgeschaltet eine Bitte für Menschen in ganz konkreter Not, nämlich im Krieg in der Ukraine und in allen Kriegsgebieten. Der Blick wird also noch mal geweitet und konkret wird dann gebetet für Menschen auf der Flucht und für diejenigen, die ihr Leben für andere einsetzen.

DOMRADIO.DE: Wie oft kommt es denn vor, dass solche aktuellen Fürbitten in die Karfreitagsliturgie mit aufgenommen werden?

Saberschinsky: Das kommt selten vor. Die offiziellen Bestimmungen der Liturgie sehen das zwar vor, dass die Möglichkeit besteht, wie es dort heißt, in einer schweren öffentlichen Notlage, dass der Diözesanbischof eine zusätzliche Fürbitte gestattet oder sogar anordnen kann. Der Vorschlag kam jetzt von der Bischofskonferenz und die Diözesen konnten das dann aufgreifen. Und der Ukraine-Krieg erfüllt ja ganz offensichtlich dieses Kriterium, das ich eben nannte, einer schweren öffentlichen Notlage. Das zeigt aber auch, dass die liturgischen Texte nicht starr sind, sondern einen Lebensbezug haben.

Alexander Saberschinsky

"Das zeigt aber auch, dass die liturgischen Texte nicht starr sind, sondern einen Lebensbezug haben."

Das letzte Mal als wir eine aktuelle Fürbitte hatten, war 2020 angesichts der Corona-Pandemie und der Menschen, die davon betroffen waren. Und davor war es zehn Jahre her, dass eine Fürbitte eingefügt wurde, nämlich 2010 angesichts des Missbrauchsskandals in seiner ganzen Abgründigkeit. Ob davor noch mal eine Fürbitte eingefügt wurde, das weiß ich jetzt gar nicht. Aber es kommt eigentlich relativ selten vor. Und das zeigt, in was für bewegten Zeiten wir leben, dass sowohl 2020 als auch 2022 schon wieder eine Fürbitte eingefügt wird.

DOMRADIO.DE: Wie wird im Erzbistum Köln damit verfahren? Entscheidet das dann jeder Priester selbst, ob und wie er die zusätzliche Fürbitte einfügt?

Saberschinsky: Ich habe ja eben zwei Möglichkeiten genannt, dass der Bischof das empfehlen oder anordnen kann. Unser Bischof hat es nicht angeordnet, sondern diese Fürbitte wird natürlich dringend empfohlen. Aber wir machen da keine Vorschriften, damit man auch pastoral flexibel sein kann. Aber ich denke, die meisten Pfarreien werden das aufgreifen, denn die Sorge um die Ukraine treibt ja alle um.

Alexander Saberschinsky

"Das könnte so gedeutet werden, als ob man gegen bestimmte Menschengruppen betet."

Das Besondere in unserem Bistum ist allerdings, dass wir nicht so glücklich mit der Formulierung waren, die da vorgeschlagen wurde. Da hieß es nämlich, dass gebetet werden soll "für alle, die mit ihrem Leben einstehen für die Abwehr des Feindes." Das fanden wir ein wenig unangemessen, weil das könnte so gedeutet werden, als ob man gegen bestimmte Menschengruppen betet. Das könnte zumindest so ankommen. Den Eindruck wollten wir vermeiden Und wir sind der Meinung gewesen, man kann auch für Menschen beten, die den Frieden und ihre Heimat verteidigen, ohne beim Beten bestimmte Menschengruppen als "die Bösen" zu identifizieren. Kurzum, wir haben alternativ, auch das ist nicht vorgeschrieben, vorgeschlagen, dass man auch hier sagen könnte: "Abwehr des Angriffs" um da ein bisschen sensibel reagieren zu können. Ich frage mich immer persönlich, was wäre, wenn neben mir wirklich jemand steht, der aus Russland kommt und ich würde dann hier beten für die Abwehr des Feindes, selbst wenn er gegen den Ukraine-Krieg ist? Was macht das mit ihm? Ich glaube, wir sollten mit unserem Beten sensibel bleiben - bei aller Klarheit in der Sache und dem Urteil, wie wir diesen Ukraine-Krieg sehen.

Das Interview führte Florian Helbig.

Quelle:
DR