DOMRADIO.DE: Wie fühlt es sich für Sie an, jetzt zum ersten Mal wählen zu gehen?
Justus Henze (Leitungsteam KJG und Erstwähler): Ich finde es überwältigend. Im Vorhinein habe ich mich viel damit beschäftigt, was ich denn wählen soll und finde die große Menge an Auswahlmöglichkeiten einfach überwältigend. Dann eine Entscheidung zu treffen, ist gar nicht so einfach. Aber ich bin froh, mitbestimmen zu können. Ich beschäftige mich total viel mit dem Thema Europa und finde es schön, mitentscheiden zu können, in welche Richtung das in Zukunft gehen wird.
DOMRADIO.DE: Was Sie wählen wollen, fragen wir natürlich nicht, aber sind Sie schon zu einer Entscheidung gekommen? Wissen Sie jetzt, was Sie wählen werden?
Henze: Nein, leider noch nicht. Es wird jetzt langsam Zeit, aber noch habe ich mich nicht entschieden.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie sich bisher angesichts all der unterschiedlichen Möglichkeiten informiert?
Henze: Ich habe vor allem den Wahl-O-Mat gemacht und die Fragen dort beantwortet. Auf Funk (Gemeinsames Content-Netzwerk von ARD und ZDF, Anm. d. Red.), haben sie sich Fragen rund um die Europa-Wahl angeguckt und dazu etwas erzählt. Das habe ich mir anschaut und ansonsten halt Nachrichten geguckt und mich auch noch mal mit Detailfragen beschäftigt.
Interessanterweise haben wir im vergangenen Jahr auch in der Schule das Thema Europa behandelt und wir haben bei uns an der Schule immer einmal im Jahr einen Europatag, wo wir Diskussionen zum Thema Europa führen. In diesem Rahmen habe ich mich auch mit dem Thema beschäftigt. Das alles ist mit in meine Entscheidungsfindung miteingeflossen.
DOMRADIO.DE: Europa ist Ihnen wichtig, sagen Sie. Warum genau? Und was wünschen Sie sich als Ergebnis für diese Europawahl?
Henze: Europa ist mir besonders zur Friedenssicherung wichtig. Der Blick in die Geschichte zeigt, woraus Europa überhaupt entstanden ist: Aus dem großen Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland und der allgemeinen Instabilität am Anfang des 20. Jahrhunderts in ganz Europa. Der Einigungsprozess hat Europa, hat die Europäische Union dann total stabilisiert.
Deshalb ist es mir auch sehr wichtig, dass die EU nach der Europawahl weiter stabilisiert wird, also dass mehr Kompetenzen Richtung Europa gehen, dass Europa immer souveräner wird und weltpolitisch auch als Europa weiterhin so auftreten kann, wie es das jetzt tut.
DOMRADIO.DE: Viele klagen über die Bürokratie der EU, viele denken, dass sie ohnehin nichts bewirken können. Wie empfinden Sie das?
Henze: Die Bürokratie in Europa ist in den letzten Jahren gewachsen, das stimmt. Aber wenn wir genauer hingucken, ist die europäische Bürokratie im Vergleich zur deutschen Bürokratie immer noch vergleichsweise schlank. Ich persönlich glaube, da haben wir in Deutschland noch ein bisschen mehr aufzuholen, als es in Europa der Fall ist.
Gerade wenn ich mir die Datenschutzverordnung und die Verordnung zu Standards zur Nachhaltigkeit angucke, sind das doch auch Standards, die unsere Lebensqualität in Europa hochhalten. Das sind also nicht Dinge, die vor allem die Leute belasten, sondern sie bringen uns vorwärts, bringen uns eine bessere Zukunft. Insofern finde ich, ist die Bürokratie in Europa in Ordnung.
DOMRADIO.DE: Umfragen zufolge wollen viele junge Leute gar nicht wählen. Können Sie die verstehen?
Henze: Ich kann das nicht so richtig verstehen, weil ich diese Europawahl super wichtig finde. Ich kann höchstens nachvollziehen, dass Leute sagen, dass ihnen das alles viel zu komplex ist, sie überhaupt nicht hinterherkommen und deshalb nicht wissen, was sie wählen sollen. Das verstehe ich schon. Aber auch dann ist es wichtig, wählen zu gehen.
Im Zweifelsfall ist es immer noch besser, einen ungültigen Wahlzettel abzugeben als gar nicht zu wählen. So zeigen wir, dass dieses Thema Europa auch uns jungen Menschen sehr wichtig ist. Das sollte es wirklich, denn gerade Europa gestaltet zu einem großen Teil unsere Zukunft, zum Beispiel auch, was den Klimawandel angeht.
DOMRADIO.DE: Wie sieht das in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, bei Leuten in Ihrem Alter aus. Werden die zur Wahl gehen?
Henze: Ich denke schon, ja.
DOMRADIO.DE: Ist die Wahl denn bei Ihnen Thema? Sprechen Sie darüber mit Freunden und Mitschülerinnen?
Henze: Ja, total viel. In den letzten Wochen haben wir immer wieder über die Europawahl gesprochen. Wir haben uns zum Beispiel auch über die Wahlplakate unterhalten, die überall hängen. Manchmal haben wir uns auch gewundert, wie bescheuert manche dieser Plakate sind und wie inhaltslos. Das war immer wieder Thema, bestimmt schon seit einem Monat, wenn nicht seit anderthalb.
DOMRADIO.DE: Sie sind in der KJG aktiv. Welche Rolle spielt die Wahl da? Habt ihr besondere Aktionen?
Henze: Dieses Mal leider nicht. Sonst bieten wir über den BDKJ bei uns im Stadtteil von Oberhausen vor Wahlen immer an, dass auch Kinder und Jugendliche wählen können, also so genannte U-18-Wahlen. Aber das haben wir in diesem Jahr für die Europawahl leider nicht geschafft durchzuführen. Das hätte ich sehr schön gefunden, aber es hat leider nicht geklappt.
DOMRADIO.DE: Sie sind engagierter junger Katholik. Spielt das Christsein, das Katholischsein auch eine Rolle bei der Wahl?
Henze: Ich glaube nicht, dass das einen direkten Einfluss auf meine Wahlentscheidung hat. Aus meiner christlichen Einstellung heraus bin ich dafür, dass die Menschenwürde geachtet wird. Christliche Grundwerte wie dieser fließen schon in meiner Entscheidung mit ein. Aber einen weiteren Einfluss sehe ich nicht. Allerdings zeigt mir das verbandliche Engagement in der KJG, im BDKJ natürlich, wie wichtig politisches Engagement ist.
DOMRADIO.DE: Eine Studie hat vor kurzem vorhergesagt, dass viele Erstwählerinnen und Erstwähler recht konservativ abstimmen wollen, dass viele sogar mit der AfD sympathisieren. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Henze: Die AfD fischt viel bei Leuten, die Angst haben und verunsichert sind. Ich glaube, in Zeiten von Krieg, von Inflation und nach der Corona-Pandemie ist da bei sehr vielen eine große Verunsicherung. Das gilt besonders für junge Leute, die in den vergangenen Jahren fast nur Krisenzeiten erlebt haben. Sie haben kaum gute Zeiten erlebt, kaum erfahren, dass es auch gut laufen kann. Für solche jungen Menschen ist eine positive Zukunftsperspektive nur sehr schwer vorstellbar. Das führt ganz klar zur Verunsicherung. Das kann, glaube ich, auch dazu verleiten, emotional zu wählen und sich von populistischen Äußerungen mitreißen zu lassen.
DOMRADIO.DE: Die AfD war früh bei TikTok &. Co. aktiv, also da, wo junge Wählerinnen und Wähler sind. Die etablierten Parteien hingegen, so die Kritik, haben den Rechtsextremen lange das Feld überlassen und sind erst spät nachgezogen. Wie sehen Sie das?
Henze: Gerade jetzt, kurz vor der Europawahl, haben auch die anderen Parteien ihren Auftritt auf Social Media klar verstärkt. Bei ihnen ist die inhaltliche Qualität der Beiträge auch deutlich höher; oft stehen Forderungen dahinter oder Dinge wie "Wir wollen das und das machen und deshalb wir setzen uns dafür ein".
Die Beiträge der AfD sind deutlich niedrigschwelliger, deutlich einfacher. Mir fällt zum Beispiel ein Video von Alice Weidel ein, die einfach im Aufzug runterfährt und dann ihr Hotel verlässt. Solche Videos macht also die AfD, während die anderen Parteien eher inhaltliche Forderungen stellen. Das Format, das die anderen Parteien bedienen, ist einfach nicht das, was bei jungen Leuten ankommt. Auch wenn die Inhalte die richtigen sind, kommen sie oft leider einfach nicht an.
DOMRADIO.DE: Also sollten sich die anderen Parteien Rat bei jungen Leuten holen?
Henze: Ja, ich glaube schon, dass es Leute gibt, die sie gut beraten könnten. Ich habe zum Beispiel mit meinen Eltern darüber gesprochen, dass das Contentportal Funk ein total gutes Angebot für Kinder und Jugendliche, und junge Erwachsene macht. Von diesem Format könnten auch die anderen Parteien sich etwas abgucken. Sie könnten daraus lernen, wie sie auch junge Leute erreichen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie einen Appell an andere junge Bürgerinnen und Bürger, die jetzt an der Europawahl teilnehmen können?
Henze: Ich kann nur sagen: Wählen lohnt sich. Mitzuentscheiden und, Mitzugestalten lohnt sich. Am Ende fühlt es sich auch total gut an, mit die Richtung anzugeben und sagen zu können: "Das ist mein Europa, dafür habe ich meine Stimme abgegeben!" Und selbst wenn man nicht weiß, was man wählen soll, ist es immer noch besser, zum Wahllokal zu gehen und einen ungültigen Stimmzettel abzugeben und zu sagen: "Ich weiß einfach nicht, was ich wählen soll, aber mir ist diese Wahl wichtig." Wenn man es nicht weiß, dann wenigstens das. Ich kann wirklich nur sagen: Geht wählen, denn Europa ist unsere Zukunft!
Das Interview führte Hilde Regeniter.