DOMRADIO.DE: Wie greifen Gerüche in unser Verhalten ein?
Prof. Hanns Hatt (Geruchsforscher an der Ruhr-Uni Bochum): Ganz tief, ganz intensiv und eigentlich die ganze Zeit. Es gibt keinen duftfreien Raum. Überall wo wir gehen und stehen, schwirren die Duftmoleküle herum. Wir nehmen sie mit der Atmung auf, die Nase analysiert sie und meldet das unmittelbar an unser Gehirn, sozusagen mit einer Standleitung mit fester Verdrahtung in das Emotions- und Erinnerungszentrum. Da werden sie miteinander gekoppelt und abgespeichert. Das heißt jeder Duft, den ich rieche, wird fest im Gehirn verankert und mit dieser Emotionen und der Situation abgespeichert und deswegen sind die Düfte etwas ganz Besonderes.
DOMRADIO.DE: Tiere riechen noch viel besser als Menschen. Warum ist das Riechen trotzdem für uns Menschen so unmittelbar?
Hatt: Weil es eben ein sehr altes System ist, das tatsächlich noch von der Entwicklungsgeschichte her direkten Zugang zu den ältesten Teilen unseres Gehirns hat. Das heißt, normalerweise werden Seh- und Hörreize zuerst durch das Tor zum Bewusstsein - wie Neurophysiologen sagen - in Thalamus geschaltet. Die Düfte gehen direkt in das Erinnerungs- und das Emotionszentrum und haben deswegen eine unmittelbare Wirkung auf uns, oft ohne dass wir es bemerken.
Wir lenken natürlich zu wenig Aufmerksamkeit auf die Düfte. Das heißt wir gehen zu wenig mit offener Nase durch die Welt, andernfalls könnten wir viel mehr Düfte wahrnehmen und vielleicht auch besser riechen. Wir würden zwar nicht die Hunde erreichen, aber immerhin in die Nähe der Hunde kommen.
DOMRADIO.DE: Allerdings würden wir wahrscheinlich auch bewusster so etwas wie Abgase wahrnehmen. Sie sagen, es gibt eine Wechselwirkung zwischen Gerüchen und Gefühlen. Haben Sie ein Beispiel dafür?
Hett: Ich glaube, jeder kennt aus seiner Kindheit alle möglichen Düfte, die er nur in diesen frühen Jahren kennengelernt hat. Ich habe vor kurzem Mal mein altes Klassenzimmer in der Volksschule im bayerischen Illertissen wieder besucht und da ist jetzt ein Standesamt drin. Der Fußboden und alles andere ist aber noch geblieben. Ich bin durch das Zimmer gekommen und roch sofort den Duft: Ich habe sofort wieder die Bilder gesehen, wie die Bänke dort standen, die Mitschüler und die Lehrer. Ich habe mich 60, 70 Jahre zurückversetzt gefühlt in meine Kindheit. Das können, glaube ich, nur Düfte. Mit Bildern kann man sich nie so alte Gedächtnisinhalte wieder abrufen.
DOMRADIO.DE: Auch Häuser und Wohnungen riechen nach den Menschen, die dort leben. Und Kirchen. Die haben oft auch einen ganz eigentümlichen Geruch. Da riecht es zum Beispiel nach Weihrauch und manchmal auch ein bisschen muffig. Wie wirkt sich denn so ein Duft auf uns aus?
Hett: Wir haben vor zwei Jahren etwa den Kölner Dom "beduftet" und haben versucht, einen modernen neuen Duft zu machen, wobei es natürlich schon so ist, dass man gerade den Weihrauchduft mit der Kirche verbindet. Ich war früher Ministrant und durfte das Weihrauchfass schwenken - und ich deshalb verknüpfe ich natürlich diesen Weihrauchduft immer noch mit der Kirche, mit der Heiligkeit, mit der Erhabenheit, der Ruhe und mit Gott.
Und deswegen ist Weihrauch, glaube ich für jeden der damit groß geworden ist, der Duft der Kirche. Das ist quasi das Markenzeichen der Kirche, der Markenduft. Die Entwicklung wie sie in der Industrie überall läuft, alle Firmen haben ihren eigenen Markenduft. Die Kirche hat ihren Markenduft schon seit 2000 Jahren. Das ist auch etwas, wonach ich selber auch rieche, nach diesem Markenduft, den trage ich auch nach außen. Also wenn ich aus der Kirche rausgehe, dann gebe ich nach außen meinen Duft bekannt, als bekennender Kirchgänger. Der Duft hat viele Symbole, aber auch viele Inhalte. Dieser Weihrauchduft ist schon etwas Besonderes.
DOMRADIO.DE: Allerdings gerade am Weihrauch scheiden sich die Geister. Die einen schätzen ihn und sagen, das ist typisch Kirche. Und andere können ihn gar nicht aushalten oder denen wird sogar übel. Was hat der Weihrauch denn so an sich, dass er so polarisiert?
Hett: Ich glaube, wer nicht in der katholischen Kirche groß geworden ist, für den ist Weihrauch sowieso schlecht zu ertragen. Denn andere Kirchen, andere Christen haben ja keinen Duft und keinen Weihrauch. Aber auch für die Katholiken ist dieser Weihrauchduft manchmal schon sehr intensiv. Das heißt, wenn man das übertreibt mit dem Weihrauch, dann ist es wie bei allen Düften. Unsere Nase ist unser empfindlichstes Sinnesorgan. Viel hilft oft gar nicht viel, sondern man muss mit Düften vorsichtig und dezent umgehen. Zu viele und zu intensive Düfte können auch Kopfschmerzen und Übelkeit erzeugen.
Im Weihrauch sind natürlich auch Stoffe drin, die ein bisschen Halluzinogene, psychedelische Wirkungen haben. Aber es sind auch Duftstoffe drinnen, von denen wir inzwischen wissen, dass sie zum Beispiel bei Hirntumoren helfen. Weihrauch ist eine ganz besondere Mischung. Und deswegen scheiden sich vielleicht auch am Weihrauch ein wenig die Geister. Aber wie gesagt, wer in der Kirche groß geworden ist, der kennt diesen Weihrauchduft eben. Früher haben wir ihn ja benutzt und so wurde er eigentlich entwickelt, weil die Menschen die Tiere mit in die Kirche gebracht haben und die haben natürlich auch gerochen.
Insgesamt wurde das mit der Hygiene und dem Waschen anders gehandhabt als heute. Das heißt, auch die Leute haben entsprechend gerochen und da war der Weihrauch da, um diese Tier- und Menschengerüchen etwas erträglicher zu machen. Wir haben ja für den Kölner Dom den neuen Weihrauchduft gemacht, Weihrauch 2.0., also einen modernen Weihrauchduft. Man könnte insgesamt versuchen, den Duft ein bisschen zu modernisieren, sodass er mehr junge Leute anspricht.
DOMRADIO.DE: Passen denn in der Kirche Duft und Botschaft zusammen?
Hett: Ja klar, auf jeden Fall. Ich glaube der Gedanke ist schon recht alt, dass wir mit dem Weihrauch - was man ja auch sieht, wie er nach oben steigt - eben auch Gebete, die Bitten und die Anbetung Gottes mit empor nimmt. Dass man also mit diesen Düften alles mit in den Himmel hinauf nimmt. So war es ja auch ursprünglich bei den alten Ägyptern gedacht, dass eben durch den Weihrauch und das Räuchern, Botschaften zum Herrgott hochkommen.
DOMRADIO.DE: Der ideale Duft einer Kirche ist also jünger?
Hett: Eigentlich wäre er jünger, wir haben die jungen Leute mal gefragt, auch im Kölner Dom. Es muffelt halt ein bisschen in der Kirche. Oft sind sie geschlossen, es kommt, nicht viel Frischluft herein. So entwickelt sich der etwas muffige Geruch. Außerdem sind natürlich viele ältere Menschen in der Kirche. Die jungen Leute wollen lieber einen frischen Duft, wie sie ihn halt aus ihrer eigenen Umgebung kennen, in der sie sonst leben. Das würde der Kirche sicher nicht schaden. Wir versuchen auch gerade diesen Weihrauchduft 2.0 dem Münsteraner Bistum anzubieten, das Kirchen ihn auch benutzen können.
Das Gespräch führte Dagmar Peters.