Warum Paare an Weihnachten oft streiten

"Die andere Person will Gutes"

Warum führen Feiertage oft zu Konflikten? Rudolf Sanders ist katholischer Paartherapeut und Gründer der Partnerschule. Er erklärt die Ursachen, gibt praktische Tipps und spricht über die Rolle des Glaubens für stabile Beziehungen.

Autor/in:
Verena Tröster
Dr. Rudolf Sanders, katholischer Paartherapeut und Begründer der Partnerschule. / © Simon Heereman (privat)
Dr. Rudolf Sanders, katholischer Paartherapeut und Begründer der Partnerschule. / © Simon Heereman ( privat )

Himmelklar: Die Feiertage stehen vor der Tür und erfahrungsgemäß streiten Paare an Weihnachten mehr. Warum ist das überhaupt so?

Dr. Rudolf Sanders (Katholischer Paartherapeut und Begründer der Partnerschule): Ja, klar. Was passiert denn an Weihnachten? Wenn ich mir nur diese bekloppten Anzeigen ansehe oder das, was die Discounter produzieren, dann sehe ich da so eine glückliche Familie an einem Tisch voller Köstlichkeiten. Die verkaufen damit eine Sehnsucht, nämlich eine Sehnsucht nach der heiligen und heilen Familie. 

Warum kommt es aber zu Streit? Weil gerade an Weihnachten bei uns hier etwas angeklickt wird: Eine Sehnsucht nach dieser Zugehörigkeit zu einer Familie – Großeltern, alle mit dabei. Viele haben diese Erfahrung aber in ihrer Kindheit schon nicht gemacht. 

Ich habe ein Beispiel von einem Paar, das jetzt sein zweites Kind bekommen hat. Was war passiert?

Weihnachten war gerade vorbei und es war wieder eine Katastrophe gewesen. Wir haben dann intensiv daran gearbeitet. Die Geschichte der Frau war folgende: Ihre Eltern hatten sich getrennt, als sie ein kleines Kind war. Und sie haben angefangen heile Familie zu spielen. Gerade an Weihnachten sind trotzdem alle zusammengekommen und haben gefeiert. Das war aber nur an der Oberfläche, darunter spürte das Kind: Das stimmt nicht. 

Was hat das Kind gemacht? Was machen Kinder? Die opfern sich auf. Die überlegen sich, wie es Mama und Papa gut haben können, wie können sie sich wohlfühlen, alles Mögliche. Aber als Kinder sind wir überfordert. Die Eltern zusammenbringen, ist nicht unser Job, das ist deren Job, aber Kinder bemühen sich trotzdem. 

Dr. Rudolf Sanders

"Was steckt da eigentlich oft hinter? Das kann man gut erarbeiten und so etwas an die Oberfläche holen."

Also: Kurz vor Weihnachten wird wieder alles schön gemacht, aber sie war unglücklich und es hat wieder einen Tag vor Weihnachten geknallt. "Ich mache hier so viel und du kümmerst dich nicht drum", das war ihr Thema. Ich gebe mir ganz viel Mühe, dass Heiligabend schön wird – und es ist nicht erfolgreich. Das Thema des Mannes war, dass er am Heiligabend morgens noch loszog, um ein Geschenk zu suchen. Aber wie immer fand er keins.  

Warum? Weil er genau wie sie in einem alten Film war. Bei ihm kam etwas aus seiner Familiengeschichte hoch, in Bezug auf seinen Großvater, den er sehr liebte.
Der Großvater war aus dem Krieg gekommen, den er verloren hatte. Das hatte er tief verinnerlicht: Der Großvater war erfolglos gewesen. 

Das ist also ein wichtiges Bild: Der Großvater meinte, er war der Verlierer des Zweiten Weltkriegs. Das weitere Bild ist, dass Heiligabend so wichtig ist. Und nun hinderte ihn die Erfolglosigkeit des Großvaters, ein Geschenk zu finden. 

Darum geht es. Was steckt da eigentlich oft hinter? Das kann man gut erarbeiten und so etwas an die Oberfläche holen. Und in dem Moment, wo es an der Oberfläche ist, kann man in Ruhe darauf schauen und sagen: Das muss doch nicht sein. Dann kann man tatsächlich die Verantwortung loslassen und an solchen Dingen arbeiten. 

Himmelklar: Haben Sie Tipps? Wenn jetzt ein Paar sagt, sie haben im Moment keinen Paartherapeuten, keinen Experten an der Hand, was kann man tun, um vielleicht gar nicht in diese große Erwartungshaltung für die Feiertage zu kommen? 

Sanders: Man kann sich vor allen Dingen fragen: Was will ich eigentlich? Was wünsche ich mir davon? Es gilt, wirklich auf die Sache zu kommen. 

Und noch etwas: Dem Partner gilt es zu unterstellen, dass er immer sein Bestes tun will. Das ist eines der wichtigsten Dinge überhaupt, dass ich mit Blick auf den Partner oder die Partnerin sage, die andere Person will mir nichts Böses. Sonst wäre er oder sie nicht mit mir zusammen. Die andere Person will Gutes. 

Diesen wohlwollenden Blick auf sich selbst und auf den anderen sollte man haben, und dann auf das vertrauen, was sich entwickelt. Es gilt, dass wir aus dem Stress herauskommen, etwas produzieren zu müssen. 

Dr. Rudolf Sanders

"Das erlebe ich so oft, dass Paare, die völlig zerstritten sind, auf einmal Wege zueinander finden."

Himmelklar: Sie sagen über sich, dass Sie sehr gläubig sind. Welche Rolle kann der Glaube denn bei diesem Thema einnehmen? 

Sanders: Es gibt ein Lied aus den 1970er-Jahren, das gibt es auch im Gesangbuch, das heißt "Manchmal feiern wir mitten am Tag ein Fest der Auferstehung". Das rührt mich und das erlebe ich so oft. 

Das erlebe ich so oft, dass Paare, die völlig zerstritten sind, auf einmal Wege zueinander finden. Und dieser Glaube an die Auferstehung, dass es nicht vorbei ist mit dem Paar, das kann ich nur aus meinem Glauben heraus. Und wenn es ganz besonders schwer ist, ich merke das ja, dann sage ich: Heiliger Geist, jetzt musst du mir helfen. Also, ich merke, dass mich das immer wieder anrührt. 

Himmelklar: Würden Sie sagen, Christen können besser zusammenbleiben als Menschen, die keinen Glauben haben? 

Sanders: Sie sprechen was ganz Wichtiges an, nämlich Spiritualität als eine ganz wichtige Ressource. Es ist total wichtig, dass ich mich nicht als Nabel der Welt sehe, sondern weiß, da gibt es jemanden anderen. Was ich in meinen Partner alles hineinprojiziere, was der mir geben soll, das kann der doch gar nicht. Ich weiß aber, da gibt es einen anderen, der zu mir Ja gesagt hat. Das ist für mich ein Fundament meines Lebens, aber auch meiner Arbeit. Das geht nur durch eine wirklich tief gepflegte und weiterentwickelte Gottesbeziehung für mich. Daher hole ich das auch. 

Das empfinde ich als wichtige Botschaft in einer Zeit, in der es so viel Verunsicherung darum gibt, wie eine Beziehung geht und wo es alle möglichen Ideen gibt. Dabei wollen wir eines: Wir wollen die Sicherheit der Verbundenheit haben. Ich will mich auf dich verlassen, damit wir gemeinsam – "bis der Tod euch scheidet" – durch gute und schlechte Zeiten gehen können. Das heißt ja nichts anderes, als dass man in einem gemeinsamen Prozess ist. Mal gibst du mehr, mal bringe ich mich mehr ein. Das muss ausgeglichen sein. 

Himmelklar: Und dann erleben auch die Kinder stabile Beziehungen… 

Dr. Rudolf Sanders

"Wir müssen viel mehr in die Ehevorbereitung investieren. Auf jeden Fall. Das ist eine Herausforderung."

In diesem Prozess erleben Kinder, dass sie aufblühen können, dass ihre Eltern da sind. Und deshalb ist für Kinder wirklich Trennung und Scheidung Horror, trotz aller gegenteiligen Erzählungen. Wissenschaftlich lässt sich das nicht belegen, ganz im Gegenteil. Ganz klar ist für Kinder Trennung und Scheidung immer eine Katastrophe. So ist es. Alles andere zu sagen, bedeutet, es bunt anzustreichen. 

Natürlich weiß ich, dass es das Phänomen Trennung und Scheidung gibt. Es passiert häufig und es wird aus meiner Sicht viel zu wenig in Deutschland in die Prävention gesetzt. 

Da würde ich sagen, liebe Kollegen Kirchenleute, wir müssen viel mehr in die Ehevorbereitung investieren. Auf jeden Fall. Das ist eine Herausforderung. Ich finde, wir können die Paare nicht einfach so verheiraten, sondern sie sollten mal ein halbes Jahr Partnerschule machen. Dann haben sie das Rüstzeug, dass das auch gelingt. 

Himmelklar: Auf der Homepage Ihrer Partnerschule ist mir noch besonders ins Auge gefallen, dass es einen Erste-Hilfe-Koffer gibt, der ja auch präventive Aspekte hat. Besonders gefallen hat mir so etwas wie: Sich zwei Minuten berühren, an den Händen halten oder zusammen spazieren gehen, zusammen in Bewegung kommen. 

Dr. Rudolf Sanders

"Eine wunderschöne Übung ist, sich einfach anzufassen."

Sanders: Damit Beziehungen gelingen, können wir was daran tun. Zum einen gilt es darum, die Landkarte des anderen zu kennen. Das heißt, ich erzähle dir von meinem Tag. Du erzählst mir von deinem Tag – bei einer Tasse Cappuccino oder für 10-15 Minuten. Jeden Tag geben wir uns ein Update. Und da ist jetzt die größte Falle: Wenn ich irgendwelche Probleme habe und mein Partner meint, die für mich lösen zu können. Davon sollte man sich bitteschön verabschieden. Auf keinen Fall, sondern es geht darum, dem Gegenüber zuzuhören. Das hilft mir, dass ich mit meiner Botschaft ankomme. Man spiegelt den anderen durch die eigene Resonanz. Das ist eigentlich eine ganz frühe Erfahrung, die wir als Kind machen. 

Zum Thema "berühren" sagt die Wissenschaft: mindestens 20 Sekunden pro Tag. Berühren bedeutet aber nicht so einen flüchtigen Kuss oder so, sondern sich wirklich aufmerksam mal in den Arm zu nehmen und zu spüren. 

Eine wunderschöne Übung ist, sich einfach anzufassen. Ich mache das manchmal, wenn Paare vor mir sitzen und das Thema ist. Dann sage ich: "Wissen Sie was? Jetzt fassen Sie sich einfach mal an die Hände an für fünf Minuten. Ich passe auf, dass es nicht länger wird." Und was haben Sie dann erlebt? Das ist irre. Und das ist, was mich immer wieder rührt, wie es eigentlich ganz einfach ist, wenn wir auf die Bedürfnisse nach Verbundenheit und nach Sicherheit eingehen, wenn wir das als Therapeuten tun und das im Blick haben, dass das die Menschen wollen. 

Himmelklar: Was gibt Ihnen ganz persönlich Hoffnung? 

Sanders: Hoffnung gibt mir, dass Kinder geboren werden und dass Eltern zu mir kommen.

Das Interview führte Verena Tröster.

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