DOMRADIO.DE: Sie haben in Münster ein einzigartige Institut. Und in der Schweiz gibt es eine Art Außenfiliale des Instituts für Theologische Zoologie. Kann man das so sagen?
Dr. Rainer Hagencord (Leiter des Instituts für Theologische Zoologie e. V., Münster): Ja, das ist ein ganz großes Glück. Die Wortbrücke macht es deutlich. Wir können hier vom Münsterland ins Münstertal reisen. Und dieses Münstertal ist die Region in Graubünden, in der der großartige Nationalpark liegt, der jetzt über 100 Jahre alt ist. Es grenzt das Biosphärenreservat an, das heißt, es ist ein Engagement im Kanton, in dieser Region nur noch nachhaltig und ökologisch Landwirtschaft zu betreiben.
Das sind dann für uns großartige Erfahrungsorte, die wir auch häufiger nutzen können, weil ein Mitarbeiter von Anton Rotzetter - das ist der Schweizer Kapuzinerpater, mit dem ich vor 14 Jahren das Institut gegründet hat - nun dort auch seinen Platz hat, also unser Mitarbeiter vor Ort im Münstertal.
DOMRADIO.DE: Genau diese Reise unternehmen Sie auch an diesem Samstag mit einer Gruppe Studierender. Was studieren die?
Hagencord: Das sind überwiegend Landschaftsökologinnen und Landschaftsökologen und Geografen und Geografinnen, die dann entweder im Naturschutz oder als Lehrerinnen und Lehrer arbeiten. Wir haben diese Exkursionen mit "Wandern in inneren und äußeren Landschaften" überschrieben.
Das ist ein Projekt, das wir schon länger mit Professor Tilmann Buttschardt verfolgen, der in der Uni Münster seit Jahren die äußeren Landschaften in den Blick nimmt und eine hohe Bereitschaft und Freude bei Studierenden wahrnimmt, diese Landschaften nicht nur als wissenschaftlich interessante Objekte wahrzunehmen, sondern sich in dieser Landschaft verstehen zu wollen, wachsam zu sein, aufmerksam zu sein und sich als Geschöpf inmitten anderer Geschöpfe wahrzunehmen. Und da kommt natürlich die Spiritualität ins Spiel.
DOMRADIO.DE: Es geht also nicht nur darum zu gucken, wie ökologische Landwirtschaft betrieben wird, die der Biodiversität auch zuträglich ist, sondern auch, was es mit einem selber macht?
Hagencord: Damit bilden wir ein Format aus, das dringend notwendig ist. Salopp gesagt: Man schützt nur das, was man kennt. Und wir haben gute Gründe anzunehmen, dass wir als Menschen nicht außerhalb der Natur stehen, dass wir durch unseren Leib, durch unsere Wahrnehmung, dadurch, dass wir überhaupt Atmende sind, eben Teil dieses Ökosystems oder das Netz des Lebendigen sind. Das gilt es zu vergewissern und auch zu erfahren.
Wir werden in dieser Woche ganz bewusst nicht viele Texte lesen. Wir werden natürlich schauen, welche Landschaften da sind, welche Tiere da sind, welche Pflanzen da sind, um auch die naturwissenschaftliche Leidenschaft zu Wort kommen zu lassen.
Aber wir werden immer auch schweigend unterwegs sein, wahrnehmend unterwegs sein, uns von den anderen berühren lassen. Denn nur dann, in dieser tiefen Identifikation und dem anderen Selbstwertgefühl, Geschöpf unter Geschöpfen zu sein, werden wir Kraft aufbringen, die Lebensräume, die wir dringend unter Schutz stellen müssen, auch zu bewahren.
DOMRADIO.DE: Das klingt ein bisschen nach Exerzitien. Aber es sind Studierende, die lernen, wie man ökologisch mit diesem unserem Planeten umgehen kann, oder?
Hagencord: Ja, das sind Elemente der klassischen Exerzitien. Auf der einen Seite sind es franziskanische Exerzitien. Der gute Franziskus und auch der jetzige Papst haben sich ja in ihrer Theologie und Spiritualität immer dafür stark gemacht, dass die anderen Lebewesen unsere Geschwister sind, wir ihnen also in Augenhöhe begegnen.
DOMRADIO.DE: Was machen Sie denn ab Samstag, abgesehen von der inneren Einkehr?
Hagencord: Zum Beispiel finde ich es ganz spannend, wenn wir auch dort landschaftsökologische Expertise einholen und verschiedene Landschaftstypen, also solche, in denen eben noch nicht ökologisch Landwirtschaft betrieben wird, wahrnehmen und sie mit den anderen vergleichen. Dann kann man durchaus mal Bienchen oder Schmetterlinge zählen. Man kann schauen, welche Arten auf einer intensiv und einer extensiv genutzten Wiese noch kommen. Da kommt schon die Expertise ins Spiel.
DOMRADIO.DE: Wie erfolgreich ist dieses Pilotprojekt, dieses Biosphärenreservat in der Schweiz?
Hagencord: Das Projekt läuft seit zehn Jahren. Als ich es zum ersten Mal wahrgenommen habe, dachte ich: Die haben ja leichtes Spiel im Vergleich zu dem, was wir hier im Münsterland machen, wo wir einen Maststall neben dem anderen haben, also eine industrielle Landwirtschaft, die ja unsere Landschaften auch nicht nur freundlich behandelt. Je mehr ich aber mit denen dort vor Ort arbeitenden Menschen spreche, desto mehr merke ich, dass auch da enorme Widerstände vorherrschen.
Der Vorteil der Schweiz ist, dass sich ein ganzer Kanton darauf verständigen kann, das auch zu subventionieren. Letztlich geht es um Geld. Jetzt sind wir bei dem anderen Thema: Es geht um eine andere Haltung der Natur gegenüber. Da gibt es immer noch Landwirte und Landwirtinnen, die, obwohl das alles so idyllisch daherkommt, eben nicht in einer tiefen Verbundenheit mit der Natur leben und arbeiten, sondern eher, wie hier, industriell unterwegs sind.
Das heißt, es gibt noch sehr viel Bewusstseinsarbeit. Da wollen wir als Institut vor Ort bestimmte Projekte anstoßen, weil die Verantwortlichen im Biosphärenreservat auch die Zusammenarbeit mit unserem Institut gerne sehen und wir da etwas auf den Weg bringen können.
DOMRADIO.DE: Die Ökologie und der Klimaschutz sind immer das eine, aber die Artenvielfalt, die Biodiversität ist mindestens genauso wichtig. Wenn Sie in dieser Landschaft mit den Studierenden sind, wie geben die sich denn diesbezüglich? Eher tiefenentspannt oder panisch?
Hagencord: Ich erlebe alles. Es gibt diejenigen, die überhaupt nicht wahrnehmen, in welcher katastrophalen Situation wir sind. Und dann gibt es die anderen, die schon lange bei Fridays for Future oder Next Generation unterwegs sind. Das ist auch spannend, weil die Studierenden da miteinander in eine intensive Auseinandersetzung kommen und wir als Lehrende hier nicht als solche auftreten, die es immer schon besser wussten.
DOMRADIO.DE: Müssen wir wieder eine Arche Noah bauen?
Hagencord: Ich glaube, das ist einerseits ein gutes Bild, weil es ein hoffnungsvolles Bild ist und weil es realisierbar ist. Wir können überall kleine Archen bauen. Auf der anderen Seite halte ich das für eine realistische Resonanz auf das, was auf uns zukommt. Es wird ja die Sintflut, um das Bild aufzugreifen, kommen. Ob wir das 1,5 Grad-Ziel erreichen, weiß ich nicht. Ich glaube es eher nicht.
Dass wir 30 Prozent der Lebensräume hier in Europa bis 2030 unter Schutz stellen können, glaube ich ehrlich gesagt auch nicht. Aber die Sintflut wird kommen. Wir werden die Welt in zehn Jahren nicht wiedererkennen. Aber wir können Archen bauen, Bilder der Hoffnung.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.