Was brachte 2017 für die Ökumene?

"Bringschuld den Menschen gegenüber"

Das Lutherjahr ist vorbei - endlich, mögen viele gläubige Christen sagen, das war etwas zu viel des Guten. Was hat dieses Jahr des Reformationsjubiläums in Sachen Ökumene gebracht? Prof. Wolfgang Thönissen zieht Bilanz.

Luther überall: Es wurde auch eine neue Apfelsorte gezüchtet / © Jens Schulze (epd)
Luther überall: Es wurde auch eine neue Apfelsorte gezüchtet / © Jens Schulze ( epd )

DOMRADIO.DE: Das Jahr geht zu Ende. Und es ist ein Jahr, indem sicherlich mehr Menschen mit Kirche in Berührung gekommen sind, als es in einem normalen Jahr der Fall gewesen wäre. 2017 war Reformationsjahr, Martin Luther war überall. Auch in Sachen Ökumene hat sich einiges getan. Wo stehen wir und was muss noch passieren?

Die evangelische Kirche zieht eine positive Bilanz, von außen wird aber kritisiert, dass sich die Menschen nicht wirklich für die Feierlichkeiten interessiert haben. Die Besucherzahlen beim Gottesdienst in Wittenberg lagen weit unter den Erwartungen, auch die Veranstaltungen der Kirchentage auf dem Weg wurden teilweise schlecht besucht. Woran liegt das denn? Eine ganze Dekade über hatte die evangelische Kirche Werbung gemacht für das Jubiläum und im Endeffekt interessiert sich keiner für das Produkt?

Wolfgang Thönissen (Leitender Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn und Professor für Ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät Paderborn): Vielleicht müssen wir das Ergebnis noch abwarten, wenn noch mehr Monate vorüber gegangen sind. Ich möchte jetzt eher eine positive und eine vielleicht etwas kritische Sicht äußern. Positiv denke ich, viele Menschen haben sich von den Veranstaltungen und den Events mitnehmen lassen. Ich war selbst mehrere Male in Wittenberg vor Ort und konnte mich davon überzeugen. Ich denke, es hat viele – zwar nicht mitgerissen – aber interessiert.

DOMRADIO.DE: Woran fehlte es denn?

Thönissen: Vielleicht waren die Erwartungen auch zu hoch. Im Ganzen kann man sagen, vielleicht hat die ganz große Idee gefehlt. Es waren viele Ideen, vielleicht auch zu viele, die die evangelische Kirche in Deutschland hatte. Es ist nicht gelungen, diese auf eine Idee herunter zu brechen. Die religiöse oder theologische Idee fehlte schlussendlich, sodass man nicht wusste, was man mit Luther und der Lutherdekade 2017 verbindet. Worum ging es denn im Jahre 1517 genau? Das blieb vielleicht ein wenig unreflektiert. Ich könnte mir denken, dass darin auch die Ursache für die nicht ganz so große Zustimmung zu suchen ist.

DOMRADIO.DE: Der Papst war persönlich bei der Eröffnung des Lutherjahres dabei.  Es gab den großen "Healing of Memories"- Gottesdienst in Hildesheim. Die Chefs von Katholiken und Protestanten, Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm, könnten sich nicht besser verstehen. Wenn wir zurückblicken, können wir zufrieden sein, mit dem was ökumenisch gesehen 2017 passiert ist?

Thönissen: Ja, ich möchte das sehr unterstreichen. Ich glaube, dass wir sagen können, es ist ein Reformationsgedenken ganz unter ökumenischer Berücksichtigung geschehen. Das ist durchgeschlagen. Wir konnten uns auch im ökumenischen Gespräch letztlich darauf verständigen, dass wir von "Reformationsgedenken" sprechen. Das bedeutet, dass wir nicht nur die positiven Aspekte der Reformation sehen. Also mehr Evangelium, mehr Freiheit des Einzelnen, mehr Gewissen und mehr Miteinander unter den Christen. Es wurden auch die negativen Dinge benannt, wie etwa die Spaltung der abendländischen Kirche. Dafür können Katholiken den Evangelischen sehr dankbar sein. Es gab viele Gottesdienstmodelle von denen wir wissen, dass tausende von katholischen und evangelischen Gemeinden genau diesen Aspekt berücksichtig haben. Insgesamt ist das ökumenische Gedenken wunderbar gelungen.

DOMRADIO.DE: Gerade bei den Gemeinden in der Basis stellt sich jetzt die Frage, wie geht es jetzt weiter? Man wünscht sich das gemeinsame Abendmahl, die sichtbare Einheit. Sind wir dem tatsächlich näher gekommen 2017?

Thönissen: Ich denke, eine Sache müssen wir auch theologisch bedenken, die ist vielleicht nicht ganz so durchgekommen. Vor über zehn Jahren gab es bereits diese gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Also ein Kernstück der Reformationslehre. Lutherische und katholische Kirchen haben diese Vereinbarung unterzeichnet. Die Methodisten haben es ein paar Jahre später getan. 2017 haben auch die reformierten und anglikanischen Kirchen der Vereinbarung zugestimmt. Das heißt doch, dass in Sachen Rechtfertigungsfrage eine Einigung erzielt worden ist. Jetzt müssen wir allerdings zu Recht fragen, was das bedeutet für das konkrete Miteinander in den nächsten Jahren. Daran müssen wir jetzt arbeiten.

DOMRADIO.DE: Und wie kann das aussehen?

Thönissen: Ich glaube, dass wir alle gemeinsam eine Art von Bringschuld den Menschen gegenüber haben. Das bedeutet aber nicht, dass wir schon Morgen Abendmahlsgemeinschaft feiern können. Das müssen wir realistisch sehen. Aber Zwischenziele festschreiben und auch festsetzten, dass halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe, die wir vor uns haben. Auch die Frage zu stellen, ist es tatsächlich so, dass wir uns immer noch gegenseitig ausschließen? Oder können wir heute nicht auch sagen, dass wir viel miteinander teilen, auch in manchen Bereichen dessen, was wir noch nicht im Allgemeinen vollziehen können, also die Abendmahlsgemeinschaft, bleibt es aber für einzelne die Möglichkeit, an einer katholischen Eucharistie teilzunehmen. Da braucht es Zeit, aber auch Offenheit, für die nicht gelösten Fragen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR