DOMRADIO.DE: Bei Ihnen in der Gemeinde packen viele Menschen mit an. Es kommen viele Hilfsbedürftige zu Ihnen. Wie regeln Sie, dass die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt wird? Wie funktioniert das mit dem Abstand halten?
Pater Oliver Potschien (Pfarrer in der Kirchengemeinde St. Peter in Duisburg-Marxloh): Sagen wir mal, wir regeln das sehr pragmatisch. Wir versuchen es mit Bodenmarkierungen, wir haben Abstandshalter, verteilen Mundschutz und wir reden mit den Leuten. Damit versuchen wir, die Regeln einzuhalten. Das ist allerdings kompliziert.
DOMRADIO.DE: Die Hilfsangebote laufen bei Ihnen trotzdem weiter. Gibt es konkrete Hilfe, die Sie aufgrund von Corona leisten? Masken verteilen haben Sie ja schon erwähnt.
Potschien: Die Obdachlosen haben ja das Problem, dass vieles, das ihr Leben ein bisschen gerettet hat, weggefallen ist. All' das, was mit der Öffentlichkeit zu tun hat: Geschäfte, die mal einen Imbiss abgegeben haben, sind jetzt zu. Pfandflaschen sammeln geht nicht mehr. Das hat die Konsequenz, dass der Mittagstisch, den wir anbieten, brechend voll ist. Auch unsere Notunterkunft platzt aus allen Nähten.
Wir merken eine erhebliche Zunahme von Menschen, die in Not sind. Und da ducken wir uns natürlich nicht weg, sondern gucken, wie wir das lösen können.
DOMRADIO.DE: Trotz Abstandseinhaltung sind Sie also nah an den Menschen dran. Wie geht es den hilfsbedürftigen Menschen, die zu ihnen kommen, in der aktuellen und doppelt schwierigen Situation?
Potschien: Denen ging es ja vorher schon nicht gut. Man muss ganz realistisch sehen: Wir haben eine ganze Reihe von Obdachlosen hier, die wir betreuen, von denen wir relativ klar sagen können "die werden den nächsten Winter sicher nicht mehr überleben". Aufgrund von allem, was die Obdachlosigkeit mit sich bringt. Corona ist da on top.
Die Situation der Obdachlosen ist ja nicht so romantisch, wie man es sich vielleicht vorstellt. Sondern die Leute sterben relativ schnell und zeitig, und das sehen wir hier. Und das belastet natürlich auch die Helferinnen und Helfer massiv.
DOMRADIO.DE: Welche Erfahrung machen Sie - wird mehr oder anders Seelsorge gebraucht?
Potschien: Ja, das ist jetzt im Moment handfester. Die Leute kommen tatsächlich hier in die Kirche. Die steht den ganzen Tag auf. Neben den Menschen, die unser Hilfsangebot in Anspruch nehmen, gibt es viele, die in die Kirche kommen, um eine Kerze anzuzünden und zu beten. Und da versuchen wir natürlich hier vom Team so gut wie es geht, in der Nähe zu sein und als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.
DOMRADIO.DE: Die Menschen, die bei ihnen in der Kirche auf den Feldbetten schlafen, werden auch medizinisch versorgt. Geht das auch weiterhin, trotz der Maßnahmen gegen das Coronavirus? Können die Krankenschwestern trotzdem morgens zu ihnen kommen und arbeiten?
Potschien: Ja, klar. Das Problem ist, dass wir immer noch eine ganze Zahl von Leuten haben, die nicht krankenversichert sind und damit nicht von Krankenhäusern behandelt werden. Und die landen dann trotzdem hier bei uns. Und sie müssen ja behandelt werden.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit der Hilfsbereitschaft aus? Sind die Gemeindemitglieder vorsichtig geworden, mit Kleiderabgaben und so weiter?
Potschien: Gar nicht. Ich bin total begeistert! Das, was die Menschen hier im Moment an Hilfe leisten und an Hilfestellung geben, ist unglaublich! Das muss man auch nochmal deutlich sagen! Jeden Tag kommen Leute vorbei, die Kleidung bringen, die Lebensmittel spenden, die mitanpacken. Das ist ein Knaller - das kann man nur so sagen.
DOMRADIO.DE: In Ihrem Stadtteil leben besonders viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen zusammen. Unsere muslimischen Mitmenschen begehen gerade den Fastenmonat Ramadan - für sie eigentlich eine Zeit der Gemeinschaft und der Begegnung. Was bekommen Sie von denen mit - wie geht es ihnen?
Potschien: In erster Linie bekommen wir mit, dass eine Gruppe von muslimischen Frauen jeden Tag für uns kocht. Sie bringen uns abends zum Fastenbrechen eine heiße Suppe, die wir dann am nächsten Tag verteilen können. Das ist schon mal eine sehr, sehr positive, ganz praktische Auswirkung des Ramadan bei uns.
Ansonsten merken wir natürlich, dass Gottesdienste und alles, was mit Gemeinschaft zu tun hat, im Moment für sie nicht stattfinden kann und sie sehr belastet. Wir haben uns mit der Ditib-Moschee, der Merkez-Moschee, geeinigt, dass der Muezzin abends zum Gebet ruft. Wir läuten dann auch die Glocken, so dass wir als ein gemeinsames Zeichen in den Stadtteil hineinrufen: Uns gibt's noch.
Das Gespräch führte Katharina Geiger.