Was Friedenslieder in Kriegszeiten bewirken können

Botschaft der Veränderung

Der Krieg in der Ukraine macht jahrzehntealte Friedenslieder wieder aktuell - wie die Friedensmeditation des Kirchenmusikers Kurt Grahl von 1981. Es gehe darum, den Horizont zu öffnen sagt der Komponist im Interview.

Friedenslieder als Verheißungen / © LittlePerfectStock (shutterstock)
Friedenslieder als Verheißungen / © LittlePerfectStock ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie haben schon vor über 40 Jahren in der damaligen DDR Friedenslieder geschrieben. Diese Friedenslieder bekommen in diesen Tagen eine neue, traurige Aktualität. Anfang der 1980er Jahre haben Sie eine Friedensmeditation komponiert. Nehmen Sie uns mal mit in diese Zeit. In welchem Zusammenhang ist diese Meditation damals entstanden? 

Kurt Grahl (Komponist und Kirchenmusiker): Die Meditation ist eigentlich entstanden aufgrund des 750. Todestages der heiligen Elisabeth von Thüringen, die ja mit den Gegebenheiten am Hof und überhaupt in ihrem Leben nicht Frieden schließen wollte, sondern immer nach neuen Möglichkeiten gesucht hat, dieses Leben am Hof mit dem, was sie aus der Bibel wusste und auch leben wollte, zu verbinden. Und 1981, in diesem Gedenkjahr - das auch in der DDR zumindest innerkirchlich gefeiert werden durfte und auch begangen werden durfte mit Gottesdiensten, mit Wallfahrten - entstand die erste Meditation zu diesem Thema.

Kurt Grahl, Komponist und Kirchenmusiker

"Friedenslieder schildern ja meistens auch nicht nur den Zustand, wie er ist, sondern sie wollen diese Welt verändern. Und diese Botschaft zu singen, das ist die Aufgabe."

Die politische Situation sah so aus: Die damalige Sowjetunion hat natürlich in den Augen der DDR gar nichts gemacht, im Gegenteil, die war immer für Frieden. Aber der böse Westen, der hat natürlich aufgerüstet. Dann kam der NATO-Doppelbeschluss, der schon ein bisschen Angst machte und in der Nikolaikirche in Leipzig begannen Anfang der 1980er Jahre die sogenannten Friedensgebete. Und vor diesem Hintergrund entstand dann diese Meditation: "Schließt keinen Frieden mit dieser Welt". 

DOMRADIO.DE: In Ihrer Meditation heißt es: "Da macht man Lügen zur Wahrheit und verschweigt das Unrecht. Man bringt Unheil und nennt es Glück. Da lehrt man die Menschen das Vergessen. Ist das die Welt des Menschen?" Wenn ich diese Zeilen jetzt höre, dann passen die für mich eins zu eins auf den Umgang von Russlands Präsidenten Wladimir Putin mit diesem Krieg. Und Sie haben mir vor unserem Gespräch auch schon erzählt, dass der Krieg in der Ukraine Sie jetzt wieder in die Zeit damals zurückversetzt hat. 

Grahl: Ja, richtig. Es ging in dieser Meditation letztlich vor allen Dingen um die große Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? Und da ich den alten Spruch kenne "Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit" hat mich das jetzt an früher erinnert. Irgendwann ist man, glaube ich, machtlos. Und dann hilft wirklich - das klingt zwar blöd - aber dann hilft wieder nur noch beten. 

DOMRADIO.DE: Viele Menschen wünschen sich ein Ende dieses Krieges. Was können Friedenslieder dazu beitragen? 

Grahl: Friedenslieder können den Horizont öffnen. Friedenslieder schildern ja meistens auch nicht nur den Zustand, wie er ist, sondern sie wollen diese Welt verändern. Und diese Botschaft zu singen, das ist die Aufgabe. Jemand Bedeutendes hat mal gesagt; Lieder gleichen Verheißungen. Sie wollen gesungen werden, damit sie sich eines Tages erfüllen. 

Das Interview führte Hannah Krewer.

Friedliche Revolution in der DDR

In Leipzig versammelten sich am 4. September 1989 - einem Montag - rund 1000 Menschen vor der Nikolaikirche und forderten unter anderem Reisefreiheit. Daraus entstanden die Montagsdemonstrationen. Bei der größten am 9. Oktober 1989 protestierten 70.000 Menschen in Leipzig friedlich gegen das SED-Regime. Es setzt sich der Ruf "Wir sind das Volk - keine Gewalt" durch. Die sächsische Stadt befand sich an diesem Tag im Belagerungszustand. Polizei, Stasi, Armee und paramilitärische Kampfgruppen waren aufgefahren, um den Montagsdemonstrationen ein gewaltsames Ende zu machen.

DDR-Bürger strömen am 11.11.1989 durch den neuen Grenzübergang an der Bernauer Straße / © Wolfgang Kumm (dpa)
DDR-Bürger strömen am 11.11.1989 durch den neuen Grenzübergang an der Bernauer Straße / © Wolfgang Kumm ( dpa )
Quelle:
DR