Über die Spiritualität des Spazierengehens

Was ist bei mir denn eigentlich so los?

Was soll man machen, wenn im Lockdown Restaurants oder Geschäfte geschlossen sind? Viele Menschen haben in dieser Zeit das Spazierengehen für sich entdeckt. Sogar Teenager verabreden sich zum Schlendern. Nur eine Momentaufnahme?

Ein Paar geht spazieren / © Jeroen Mikkers (shutterstock)
Ein Paar geht spazieren / © Jeroen Mikkers ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wer selbst gern läuft, der weiß, im Moment sind viel, viel mehr Leute zu Fuß unterwegs als vor Corona. Warum tut das Gehen offenbar gerade jetzt so gut?

Astrid Kunze (Geistliche Begleiterin für Berg- und Wanderexerzitien): Zu den alltäglichsten Dingen unseres Lebens gehört eigentlich das Gehen. Und gerade jetzt, wo wir uns so in unserer Freiheit beschränkt und eingesperrt fühlen, ist es besonders wichtig, in Bewegung zu gehen. In dem Wort Bewegung steckt das Wort Weg ja auch drin.

Wir haben ja auch einen Bewegungsapparat und wir müssen uns bewegen, müssen gehen, damit wir vielleicht ein Stück dieser Freiheit, dieses Freiraums wieder atmen und erleben können, die uns jetzt ein Stück weit beschnitten ist, denke ich.

DOMRADIO.DE: Sogar Teenager, und da staunen manche Eltern, verabreden sich jetzt gerade zum Spazierengehen. Laufen Unterhaltungen vielleicht sogar besser, wenn sie in Bewegung geführt werden?

Kunze: Ja, ich denke, viele von uns kennen das, dass man sich mit einem schwierigen Gespräch manchmal leichter tut, wenn man das im Nebeneinanderhergehen macht. Wenn wir gehen, bewegen sich ja nicht nur unsere Beine, sondern es bewegt sich auch was im ganzen Körper, vielleicht im Herzen, vielleicht auch zwischen den Ohren, im Kopf und dann fällt es leichter.

Wir sind ja auch keine virtuellen Wesen. Wir sind auch nicht dazu gemacht, immer nur auf Bildschirme zu starren. Ich denke, gerade die Teenager erleben das jetzt ganz bewusst in ihrer Entwicklung, dass wir das als Mensch einfach auch brauchen, nach draußen zu gehen, die Luft zu atmen, uns einfach von der Umgebung berühren zu lassen. Und das ist jetzt, wenn wenig anderes möglich ist, ein besonderes Erleben auch für die ganz jungen Leute.

DOMRADIO.DE: Das alleine gehen dagegen hat ja auch ein bisschen was von auf sich selbst geworfen sein, oder?

Kunze: Ja, das ist sicherlich tatsächlich so. Wenn ich alleine gehe, dann gehe ich ja in der Stille nur mit mir, da ist vielleicht nichts außer dem Gehen jetzt gerade, und das bringt uns schon oft an die existentielleren Fragen unseres Lebens.

Ich denke, im Moment erleben wir auch, was bleibt von meinem Leben, wenn all die Ablenkungen wegfallen, die ich sonst so habe und ich so in meine eigene Stille irgendwie komme. Das erlebe ich im Gehen in meinem eigenen Körper ja auch ganz besonders. Es steckt da auch eine schöne Chance drin, das eigene Tempo mal zu finden, mal zu schauen, was sind denn so meine eigenen Bewegungen.

Es ist ja auch nicht nur schlecht, wenn man mal alleine ist, sondern es ist schon auch eine schöne Einladung, bei sich selber mal Innenschau zu halten. Was ist bei mir denn eigentlich so los? Und auch da, wenn man das im Unterwegssein in Bewegung macht, dann kann da vielleicht der eine oder andere Impuls kommen, den man sonst vielleicht nicht hätte in unserer immer lauter werdenden Welt.

DOMRADIO.DE: Ihre Bergexerzitien, die führen sie normalerweise ja durch wunderbare Landschaften. Und natürlich sind auch jetzt alle die fein raus, die sowieso in schöner Umgebung wohnen. Kann spazieren trotzdem auch gut sein, wenn ich in der Großstadt lebe und mit ganz kleinen, ein bisschen usseligen Grünanlagen vorliebnehmen muss?

Kunze: Ja, ich denke schon. Ich denke auch, es ist sogar möglich, zwischen Häuserschluchten einen schönen Spaziergang zu machen, zu einem neuen Erleben zu kommen und vielleicht so ein bisschen von dem Makrokosmos auf den Mikrokosmos, in dem wir so leben. Vielleicht auch bewusster mal hinzuschauen, an was lauf ich denn sonst eher achtsam vorbei und was umgibt mich denn da eigentlich?

Ich sage immer, das Wunder lauert an jeder Ecke, aber wir sehen es oftmals einfach nicht, weil wir vorbei hetzen, weil wir mit etwas anderem beschäftigt sind. Wenn wir jetzt nicht in eine wunderschöne Natur raus können, dann können wir mal schauen, was umgibt uns jetzt in unserer unmittelbaren Umgebung. Und das kann auch ein schönes Erleben sein.

DOMRADIO.DE: Zum Schluss vielleicht noch ein paar ganz praktische Tipps. Wie kann ich beim Spazieren vielleicht wirklich zu mir und am Ende vielleicht sogar auch Gott ein bisschen näher kommen?

Kunze: Es gibt Kulturen, da ist das Gehen an sich schon ein Gebet. Also wo ganz bewusst die Füße auf den Boden gesetzt werden, um zu spüren, dass er uns trägt. Das, was wir in unserer Umgebung haben, die Luft, die uns umgibt, so ein Eingebundensein erleben in der Schöpfung. Das ist vielleicht so ein Gedanke, den man mitnehmen kann.

Oder auch ein ganz bewusstes Atmen. Wie atme ich denn eigentlich beim Gehen? Erst mal so wie es kommt und geht, dann vielleicht nimmt man sich vor, ich atme mit zwei Atemzügen ein und mach einen Schritt und atme aus und mach zwei Schritte. Dass man einfach so schaut, wie gehts.

Oder auch dieses ganz bewusste, achtsame sich öffnen für das, was ich höre, für das, was ich sehe, für die Schöpfung, die mich umgibt. In allem, was uns umgibt, kann man auch ein Göttliches entdecken. Ganz wichtig ist, dass man ein Lächeln dabei mitnimmt. Denn das Lächeln ist etwas, was wir rausschicken und was auch wieder zu uns zurückkommt.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR