DOMRADIO.DE: Was weiß man über diese beiden Menschen, Anna und Joachim?
Dr. Gunther Fleischer (Leiter der Bibel- und Liturgieschule im Erzbistum Köln): In der christlichen Tradition ist es so, dass die Heilige Schrift über Maria und Josef als Eltern Jesu nichts weiter sagt. Es gibt Texte außerhalb der Heiligen Schrift, die uns die Vorgeschichte erzählen. Und da geht es insbesondere um die Eltern Marias. Das sind eben Anna und Joachim, die uns als ein Ehepaar geschildert werden, die bei zwanzigjähriger Ehe kein Kind bekommen. Die Behebung dieser Kindernot und die Geburt Mariens ist dann sozusagen die Geschichte, um die es dabei geht.
DOMRADIO.DE: Ist das denn die einzige Stelle an der die beiden auftauchen? Beschränkt es sich quasi auf diese Vorgeschichte?
Fleischer: Schriftlich gibt es nur zwei Texte, wobei der zweite so etwas wie die ausgestaltete Nacherzählung des ersten ist, sodass man sagen muss, die eigentliche Erzählung ist das sogenannte "Protoevangelium des Jacobus". Jacobus meint hier den so genannten "Herrenbruder", also einen Bruder Jesu, der zum Beispiel in dem entsprechenden Text als ein Stiefbruder Jesu erklärt wird. Das heißt, er ist ein Sohn, den Josef bereits mit in die Ehe gebracht hat.
In der Vorgeschichte wird dann aber erzählt, wie es überhaupt zur Geburt Mariens kommt. Das ist ein Text, der im "Pseudo-Matthäus-Evangelium" nacherzählt wird. Darüber hinaus gibt es schriftlich nichts.
Sehr wohl gibt es aber eine weiterprägende Tradition, zum Beispiel in der Kunst: Das berühmte "Anna Selbdritt Bild". Das heißt, man stellt die Generationenfolge der Heiligen Familie dar. Anna als Mutter Mariens hat dann ihre Tochter Maria auf dem Schoß und die wiederum hat Jesus auf dem Schoß.
DOMRADIO.DE: Kommen wir zurück auf die Eheleute, was wissen wir über sie?
Fleischer: Anna und Joachim werden im Grunde anhand anderer biblischer Figuren entwickelt. Der Vater Joachim wird als ein sehr reicher Mann dargestellt und das erinnert sehr stark an einen Joachim, den es schon im Alten Testament gibt, nämlich im Buch Daniel im dreizehnten Kapitel, den Ehemann der Susanna.
Die Anna als kinderlose Ehefrau stellt selber einen Bezug her zu Sara, der Ehefrau Abrahams. Dieses Paar konnte auch lange Zeit kein Kind bekommen, bis sich dann die Verheißung erfüllt hat.
Sie erinnert vor allen Dingen aber auch an eine andere namensgleiche Person namens Hanna. Anna und Hanna sind im Grunde gleich. Das ist die Mutter Samuels. Auch dies ist eine Frau, die in ihrer Ehe zunächst kein Kind bekommen kann und lange dafür betet, dass sie ein Kind bekommt. Genau das wird auch von der Anna, der Mutter Mariens erzählt, während der Vater Joachim dafür verspottet wird, dass er kein Kind zeugt.
Er zieht sich für vierzig Tage in die Wüste zurück. Das erinnert an die vierzig Tage aus der Wüstenzeit Jesu oder die 40 Jahre Israels in der Wüste. Während er sich zurückzieht, betet Anna, dass ihr doch ein Kind geschenkt werden möge. Und dieser Wunsch wird dann auch durch Mitteilung von Engeln tatsächlich erfüllt. Die beiden bekommen also ein Kind.
DOMRADIO.DE: Ein Kind, das dann quasi geopfert wird, oder?
Fleischer: Genau. Weil es eben nach langer Kinderlosigkeit durch göttliche Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches kommt, wird dieses Kind Gott geopfert. Das heißt, mit drei Jahren wird die Tochter Maria als sogenannte "Tempeljungfrau" in den Tempel geschickt. Sie arbeitet im Tempel und wird vor allen Dingen mithelfen, den Vorhang im Tempel – sozusagen das kostbarste Teil, was den Tempel vom Allerheiligsten abtrennt – zu nähen. Dies wird mit der damals wertvollsten Farbe Purpur getan. Das heißt, die Purpur-Wollfäden sind ihr vorbehalten.
Dann sucht man für diese besondere Frau, die in einem nur positiven Ruf steht, einen besonderen Mann. Und das wird dann eben Joseph werden. Aber man kann sie nicht einfach so verheiraten, sondern es muss eigentlich am Ende eine Ehe sein, die aber jungfräulich bleibt. Und so sucht man einen Witwer für Sie. Das alles wird dann weiter erzählt. Das heißt, Anna und Joachim sorgen vermittels der Priester dafür, dass nach Witwern Ausschau gehalten wird.
Und durch ein Wunder, nämlich dass aus dem Beilstab des Joseph eine Taube entweicht, weiß man, dass er der gesuchte Witwer ist, der dann Maria heiratet. Er bringt als Witwer schon Kinder mit in die Ehe. Eines davon ist Jacobus. Und der ist dann eben dem Text nach Verfasser dieses sogenannten "Protoevangelium des Jacobus" als der Quelle, aus der wir etwas über Anna und Joachim erfahren.
DOMRADIO.DE: Diese Quelle ist also kein Teil des Neuen Testaments.
Fleischer: Richtig. Das "Protoevangelium des Jacobus" ist nicht Teil des Neuen Testaments. Man muss sich das so vorstellen, dass neben den Schriften, die dann Teil der Heiligen Schrift geworden sind – sowohl im Judentum als auch im Christentum – parallel immer noch andere "volksreligiöse" Schriften entstanden sind, die eben nicht in den Rang einer Heiligen Schrift gelangt sind, aber sehr wohl prägend für das religiöse Leben und die Glaubensvorstellungen waren.
Wir feiern nicht umsonst noch Anna und Joachim. Man sieht, wie sehr dieses Buch, das erst im zweiten Jahrhundert – wahrscheinlich irgendwann zwischen 150 und 200 nach Christus – entstanden ist, unsere Frömmigkeit geprägt hat.
Das Parallelwerk, das sogenannte "Pseudo-Matthäus-Evangelium" ist wahrscheinlich im siebten Jahrhundert entstanden. Das spricht dann von Ochs und Esel bei der Geburt Jesu. Und wie stark das unsere Forschung geprägt hat, sieht man an den Krippendarstellungen bis heute.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn bestimmte Bräuche an diesem Anna und Joachim-Tag?
Fleischer: Es gibt insoweit etwas, als in Düren, im Bistum Aachen, in der Kirche eine Reliquie der heiligen Anna aufbewahrt wird. Anlässlich des Festes "Anna und Joachim" gibt es eines der größten Kirmesfeste in ganz Deutschland: die Anna-Kirmes.
Das Interview führte Moritz Dege.