DOMRADIO.DE: Haben Sie irgendeine Gemeinsamkeit zwischen Köln und Tokio entdeckt, irgendwas von dem kölschen Lebensgefühl in Japan wiedergefunden?
Weihbischof Dr. Dominikus Schwaderlapp (Kölner Weihbischof): Die zwei Städte sind in der Tat sehr unterschiedlich. Es gibt in Tokio nicht so eine markante Stadtsilhouette wie in Köln, geprägt durch den Dom. Es gibt natürlich auch eine Kathedrale der Erzdiözese Tokio, auch sehr imposant, aber die Stadt ist komplett anders.
Die meisten Menschen, die sich dort bewegen, tun das mit öffentlichen Verkehrsmitteln, meist mit der Bahn. Der Ballungsraum hat, je nachdem wie man rechnet, zwischen 34 und 41 Millionen Einwohner. Dann erlebt man Bahnhöfe, die voller Menschen sind und alles ist leise. Man spricht nicht und man steht in Reih und Glied und wartet auf den Zug und lässt da, wo die Tür ist, Platz, damit die Leute aussteigen. Und die Züge kommen alle pünktlich.
Wir waren einmal in der Rush Hour unterwegs und da waren zwei, drei Züge, die drei Minuten Verspätung hatten. Da stand dann jemand am Bahnsteig und hat dauernd irgendwas in ein Mikrophon gesprochen. Ich habe gefragt: Was sagt der denn dauernd? Der entschuldigt sich dreimal, dass die Züge Verspätung haben. Also das Ganze funktioniert in einer für mich faszinierenden Weise.
Auch in den Zügen wird überhaupt nicht gesprochen. Es ist wirklich absolut leise. Jeder hat sein Smartphone und guckt drauf, aber es gibt gar keine Unterhaltung. Die Rheinländer sind sicherlich einfach kommunikativer. Japaner sind im Ganzen eher etwas introvertiert. Also, es gibt schon große Unterschiede.
Uns verbindet aber dann doch über die Kulturen hinweg der katholische Glaube. Deshalb haben wir mit der Diözese Tokio seit 70 Jahren eine Partnerschaft, damals von Kardinal Frings mit ins Leben gerufen. Der Glaube ist über alle Kulturen hinweg doch etwas sehr Verbindendes.
DOMRADIO.DE: Aber die japanische Kirche ist ganz anders aufgestellt. Es ist ein buddhistisches Land. Das Christentum ist durch die Missionare nach Japan gekommen und auch heute noch ist es eine sehr, sehr kleine Minderheit. Wie haben Sie denn die Kirche in Japan erlebt?
Schwaderlapp: Von den 128 Millionen Japanern sind ungefähr 1 Prozent Christen und 0,4 Prozent Katholiken. Die Erzdiözese Tokio hat 90.000 Katholiken. Ich habe den Erzbischof, den wir treffen konnten, gefragt, was denn seine größten Herausforderungen sind. Er sagte, zu den 90.000 Katholiken kommen noch einmal etwa 50.000 aus anderen Ländern dazu, die als "Expats" dort sind, also von ausländischen Firmen gesandt, die dort Arbeit gefunden haben.
Das sind nicht eine Mehrzahl Europäer, sondern auch Filipinos und Vietnamesen, Koreaner, Inder. Da gibt es eben dann doch auch mehr Christen. Da eine Gemeinsamkeit, eine Integration irgendwie zu fördern, ist schon eine Schwierigkeit.
DOMRADIO.DE: Diese Partnerschaft der beiden Bistümer gibt es seit 70 Jahren, ursprünglich ins Leben gerufen, um die Christen in Japan zu unterstützen. Welche Rolle spielt das für Sie?
Schwaderlapp: Man mag denken, dass Japan ein reiches Land ist. Was soll denn da noch unterstützt werden? Allerdings ist die Kirche eben sehr klein und auch deshalb arm. Es war dann auch sehr bewegend zu erleben, dass einer sagte: "Ich bin ein junger Priester. Ich habe den Glauben durch eine Kirche gefunden, die vom Erzbistum Köln mitfinanziert wurde. Dadurch bin ich zum Glauben gekommen und dadurch habe ich auch meine Berufung gefunden."
Die 100 Jahre alte und von den Jesuiten getragene Sophia Universität hat ein hohes Ansehen in ganz Japan bis hin zum Kaiserhaus. Auch wenn es da nur verschwindend wenig Christen gibt, so schaffen sie es trotzdem, durch die Universität auch zu prägen.
Es gibt zum Beispiel einen verpflichtenden Kurs, eine Einführung ins Christentum. Da strahlt das christliche Gottes- und Menschenbild schon über die Kirche hinaus in die Gesellschaft hinein. Das wäre ohne die Unterstützung von Köln eben nicht so machbar gewesen.
DOMRADIO.DE: Heute unterstützen die Erzbistümer Köln und Tokio gemeinsam die Menschen in Myanmar. Sie haben auch an einem Friedensgebet für Myanmar teilgenommen. Was haben Sie da über die Lage erfahren?
Schwaderlapp: In der Tat hat sich das so entwickelt, dass aus dieser Partnerschaft auch eine Gebetspartnerschaft geworden ist, für die Menschen, die ärmer sind und größere Not haben. So hat sich dann die Gebetspatenschaft für Myanmar entwickelt, verbunden mit der Unterstützung der Priesterausbildung dort.
Myanmar war kommunistisch geprägt, hatte über ein Jahrzehnt hinaus eine Öffnungsphase. Dann kam es 2021 zu einem Militärputsch, der das Land gewaltsam zurück zum Kommunismus führen wollte. Aber die Menschen, gerade die jungen Menschen, wollen nicht mehr in die Unfreiheit zurück.
Seit 2021 gibt es sehr viele Gewaltakte, Vertreibungen. Es gibt hunderttausende Binnenflüchtlinge. Ein Bischof kann schon seit Monaten weder Kathedrale noch Bischofshaus nutzen.
Wir haben da nun einen Gebetsabend für die Christen in Myanmar gehalten. Es waren einige japanische Christen, einige burmesische Christen da. Danach kamen wir ins Gespräch. Es war sehr rührend, wie dankbar man war, dass das Leid dort auch in Europa nicht verborgen geblieben ist. Wenn wir unsere Nachrichten anschauen, dann richtet sich unser Blick verständlicherweise in die Ukraine, ins Heilige Land in den Gazastreifen. Das liegt uns irgendwie auch näher vor der Haustür. Aber das Leid der Menschen dort scheint zumindest in der Öffentlichkeit vergessen zu sein.
Allein diese Wahrnehmung war eine wirkliche Stärkung. Die erzählen darüber und berichten das auch in der Heimat: Wir sind nicht vergessen, wir sind nicht allein.
DOMRADIO.DE: Wie anstrengend ist so eine Reise nach Japan eigentlich für Sie? Normaler Arbeitsalltag sieht ja anders aus.
Schwaderlapp: Das ist schon etwas Besonderes. Es war nicht das erste Mal, dass ich dort war. Aber die sieben Stunden Zeitunterschied sind schon körperlich etwas herausfordernd. Als wir angekommen sind, war es dort morgens um 7.00 Uhr, nach der deutschen Zeit war es Mitternacht. Dann ist alles irgendwie auf den Kopf gestellt.
Man ist halt in einem fremden Land mit fremder Kultur und fremden Schriftzeichen. Man kann nicht einfach so mal irgendwie versuchen, irgendwas daraus zu entnehmen. Man ist etwas hilflos. Ich finde eine solche Reise immer sehr bereichernd, es weitet auch den Blick für die Nöte, aber auch die Chancen anderer, was wir, was ich lernen kann. Insofern war es bereichernd, herausfordernd und immer spannend.