Weiter erhöhte Sicherheit für jüdische Einrichtungen

"Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen"

Kameras, Absperrungen, Polizisten: Synagogen, Museen und andere jüdische Einrichtungen werden in Deutschland aus Sorge vor Angriffen bewacht. Immer wieder sagen Juden, sie versteckten ihre Kippa oder Halskette mit Davidstern.

Autor/in:
Leticia Witte
Ein Schild mit der Aufschrift Objekt videoüberwacht an der Neuen Synagoge in Dresden / © Dominik Wolf (KNA)
Ein Schild mit der Aufschrift Objekt videoüberwacht an der Neuen Synagoge in Dresden / © Dominik Wolf ( KNA )

Schulkinder verschwinden zum Unterricht hinter hohen Zäunen, Jüdinnen und Juden gehen an Polizeiautos vorbei, wenn sie eine Synagoge betreten. Wer Veranstaltungen besucht, zeigt den Inhalt der Handtasche vor.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) / © Jörg Carstensen (dpa)
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) / © Jörg Carstensen ( dpa )

Nach dem massiven Raketenbeschuss der Hamas auf Israel und Massakern am Boden vor einer Woche kamen immer neue Informationen, dass Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden seien.

Zuletzt bekräftigte das Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in der "Bild am Sonntag": Sicherheitsbehörden setzten alle rechtsstaatlichen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Mittel gegen die islamistische Szene ein. Und: "Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten zur Ausweisung von Hamas-Unterstützern nutzen."

Naivität gegenüber radikalen Gruppen

CDU-Chef Friedrich Merz prangerte in der "Welt am Sonntag" eine Naivität gegenüber radikalen Gruppen an und forderte: "Wir erwarten, dass sich auch die in Deutschland lebenden Muslime und ihre Organisationen ohne Wenn und Aber von jeder Gewalt und ganz konkret von diesen barbarischen Terroranschlägen in Israel distanzieren." Ansonsten könnten sie keine Gesprächspartner der Politik mehr sein.

Und dann gab es am Wochenende Medienberichte, wonach der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer, früher Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, eine Warnung ausgesprochen habe: Radikalisierte Hamas-Anhänger könnten hierzulande womöglich konkrete Anschläge gegen jüdische und israelische Einrichtungen und Personen verüben.

Demonstrationen und Gewalt 

Auch in anderen Teilen Europas und in den USA wird zu Wachsamkeit aufgerufen. In Medienberichten war zu lesen, dass Eltern etwa in Amsterdam ihre Kinder am Freitag nicht in die Schule schickten. Denn für Freitag hatte die Hamas zu Demonstrationen und Gewalt weltweit aufgerufen.

An dem Tag und am Wochenende gab es in mehreren Staaten Großdemonstrationen; auch in Deutschland gingen Menschen auf die Straße. Zwar hatte die Polizei in mehreren Städten Proteste verboten; dennoch kam es zu Verstößen, so dass die Polizei Kundgebungen auflösen musste.

Aus manchen Städten wurden auch abgerissene und angezündete Israel-Fahnen gemeldet. Am Samstag teilte die Berliner Polizei mit, es sei eine Anzeige gestellt worden wegen einer am Donnerstag in Prenzlauer Berg entdeckten "Farbschmiererei in Form eines Davidsterns".

Charlotte Knobloch / © Sven Hoppe (dpa)
Charlotte Knobloch / © Sven Hoppe ( dpa )

Zögerlich 

Der Umgang mit genehmigten Demonstrationen rief Empörung hervor: "Es ist eine Schande, wenn die Politik in einem Land wie Deutschland zulässt, dass Menschen aus Freude über den Mord an Juden auf der Straße tanzen", sagte zum Beispiel die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern und Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch der "Augsburger Allgemeinen" (Samstag).

In der Kritik stehen seit Tagen auch Islamverbände wegen ihrer Reaktion auf den Hamas-Angriff auf Israel. Ihnen wird Zögerlichkeit vorgeworfen. Und: Im Moment des Angriffs der palästinensischen Terrororganisation auf Israel wirke die Erwähnung des Leids der Palästinenser wie eine Täter-Opfer-Umkehr, hieß es.

Mäßigung und Besonnenheit

Am Freitag sagte dann der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, dem MDR: "Wir alle müssen deutlich machen: Wenn Demonstrationen für extremistische Propaganda missbraucht werden, dann stehen wir nicht dahinter." Zum Freitagsgebet sei dazu aufgerufen worden, "für die Opfer zu beten. Wir haben zu Mäßigung und Besonnenheit aufgerufen."

Halbmond und Davidstern / © Julia Steinbrecht (KNA)
Halbmond und Davidstern / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Bei manchen Jüdinnen und Juden werden Erinnerungen an den Mai 2021 wach, als vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts in mehreren Großstädten Synagogen angegriffen und auch beschädigt wurden. Damals gab es zugleich viel Solidarität mit Jüdinnen und Juden.

Zeitenwende 

Und auch diesmal gingen unter dem Schock der Hamas-Attacke Menschen auf die Straße, um ihre Unterstützung für Israel zu bekunden. Muslime und Juden bekundeten gemeinsam ihr Entsetzen, etwa in Niedersachsen. In Hamburg kam der Vorstand des Rates der islamischen Gemeinschaften zu einem Solidaritätsbesuch in die Synagoge.

Wie auch immer es künftig in Israel, den palästinensischen Gebieten und im gesamten Nahen Osten weitergeht: Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sprach am Sonntag im Deutschlandfunk von einer Zeitenwende.

Juden in Deutschland

Jüdisches Leben auf dem Gebiet der Bundesrepublik gibt es seit mehr als 1.700 Jahren. Der älteste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 321 aus Köln. Vor der nationalsozialistischen Machtergreifung lebten 1933 auf dem Gebiet des Deutschen Reiches rund 570.000 Juden. In der Folge des Holocaust wurden etwa 180.000 von ihnen ermordet, sehr viele flohen. 1950 gab es nur noch etwa 15.000 Juden in Deutschland. Eine Zukunft jüdischen Lebens im Land der Täter schien unwahrscheinlich und war innerjüdisch umstritten.

Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine ( shutterstock )
Quelle:
KNA