Weiterer Streit um antisemitische documenta-Kunst

Expertengremium fordert Stopp von Filmvorführung

Die Kuratoren der documenta halten an einer Filmvorführung fest, obwohl der Film als antisemitisch eingestuft wurde. Laut Experten handele es sich um pro-palästinensisches Propagandamaterial mit "antisemitischen Versatzstücken".

documenta fifteen in Kassel / © Uwe Zucchi (dpa)
documenta fifteen in Kassel / © Uwe Zucchi ( dpa )

Konkret geht es um die Filmvorführung "Tokyo Reels Film Festival" des Künstlerkollektivs "Subversive Film".

Das zur Aufarbeitung von Antisemitismusvorwürfen rund um die documenta eingesetzte Gremium forderte in einer am Wochenende veröffentlichten Erklärung, die Collage aus mehreren Filmen bei der documenta nicht mehr zu zeigen. Die Künstlergruppe legitimiere mit Kommentaren zum Film "Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus", heißt es in der Erklärung.

Zentralrat der Juden fordert Ende der Vorführung

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte, die Filmvorführung zu beenden. Präsident Josef Schuster betonte am Montag: "Diese documenta hat dem Ansehen Deutschlands geschadet." Er forderte die politisch Verantwortlichen auf, beim Thema Antisemitismus Haltung zu zeigen.

Besucher stehen im Hallenbad-Ost, in dem das indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi ausstellt. Ein Großbanner des Kollektivs wurde nach öffentlicher Kritik wegen antisemitischer Bildsprache entfernt. Gegen das kuratierende Kollektiv Ruangrupa hatte es seit Monaten Antisemitismus-Vorwürfe gegeben. / © Uwe Zucchi (dpa)
Besucher stehen im Hallenbad-Ost, in dem das indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi ausstellt. Ein Großbanner des Kollektivs wurde nach öffentlicher Kritik wegen antisemitischer Bildsprache entfernt. Gegen das kuratierende Kollektiv Ruangrupa hatte es seit Monaten Antisemitismus-Vorwürfe gegeben. / © Uwe Zucchi ( dpa )

Weiter kritisierte er Kuratoren und Künstler der documenta, die mit jüngsten Äußerungen gezeigt hätten, dass sie "wissenschaftliche Befunde nur respektieren, wenn sie in ihr Weltbild passen". Eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Israelhass werde weiterhin verweigert.

Der hessische Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker forderte die künstlerische Leitung der documenta auf, die Empfehlung der Experten anzunehmen. Ansonsten würde die documenta-Leitung "bewusst Antisemitismus zulassen und dessen Verbreitung aktiv befördern".

Documenta will der Empfehlung nicht nachkommen

Die documenta will der Empfehlung der Experten jedoch nicht folgen. So teilte die documenta-Pressestelle am Montag auf Anfrage mit, die Geschäftsleitung und die Kuratoren hätten die "Einschätzung des Expert*innengremiums zur Kenntnis genommen". Die künstlerische Leitung, das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa, habe entschieden, der Empfehlung nicht nachzukommen.

Broschüre "Presence des Femmes" auf der documenta / © Uwe Zucchi (dpa)
Broschüre "Presence des Femmes" auf der documenta / © Uwe Zucchi ( dpa )

In einem auf Samstag datierten, aber nicht namentlich unterzeichneten offenen Brief an die documenta-Gesellschafter, den Aufsichtsrat und Kulturstaatsministerin Claudia Roth kritisieren documenta-Künstler die Erklärung des Expertengremiums scharf. Sie schreiben von einer "überschrittenen Linie" in Richtung Zensur. Weiter beklagen sie "Chaos, Feindseligkeit, Rassismus und Zensur" im Zuge der documenta, ebenso Verleumdung, Drohungen und Demütigungen.

Gremium hat Werke der Kunstschau geprüft

Die documenta steht seit Beginn wegen Antisemitismusvorwürfen in der Kritik. Das Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung mit sieben Personen war im August von den documenta-Gesellschaftern - der Stadt Kassel und dem Land Hessen - eingesetzt worden. Es soll eigenen Angaben zufolge Werke der Kunstschau auf Antisemitismus prüfen, den Umgang der documenta mit antisemitischen Vorfällen untersuchen und Vorschläge zur Prävention erarbeiten.

"Antisemitischen und antizionistischen Versatzstücke"

In der nun veröffentlichten Erklärung des Gremiums heißt es, bei den kritisierten Filmen handele es sich um pro-palästinensisches Propagandamaterial aus den 1960er bis 1980er Jahren mit "antisemitischen und antizionistischen Versatzstücken". Begleitende Kommentare der Künstlergruppe seien "hoch problematisch", weil das Filmmaterial nicht kritisch reflektiert, sondern als objektiver Tatsachenbericht ausgegeben werde. In ihrer "potenziell aufhetzenden Wirkung" stellten die Filme eine größere Gefahr dar als das nach öffentlicher Empörung bereits entfernte Großkunstwerk "People's Justice".

Stichwort documenta

Die documenta ist eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihen zeitgenössischer Kunst. Alle fünf Jahre kommen Kunstschaffende ins nordhessische Kassel, um die Stadt 100 Tage lang in ein Panorama für Gegenwartskunst zu verwandeln. Die Ausstellung ist seit ihrer Gründung 1955 zum wichtigen Ort für Debatten über Kunst und Kultur geworden.

Eine kompostierbare Toilette steht zur documenta fifteen in der Karlsaue und ist Teil der Zusammenarbeit der Gruppe Cinema Caravan mit Takashi Kuribayashi. Die Weltkunstausstellung geht vom 18.06. bis 25.09.2022. / © Uwe Zucchi (dpa)
Eine kompostierbare Toilette steht zur documenta fifteen in der Karlsaue und ist Teil der Zusammenarbeit der Gruppe Cinema Caravan mit Takashi Kuribayashi. Die Weltkunstausstellung geht vom 18.06. bis 25.09.2022. / © Uwe Zucchi ( dpa )
Quelle:
KNA