Welterbe-Titel für Erfurts jüdisches Erbe zum Greifen nah

In historischer Verantwortung

Die Unesco entscheidet über Erfurts Welterbe-Antrag. Die Chancen der Stadt, mit ihrem mittelalterlich-jüdischen Erbe den begehrten Titel zu erlangen, stehen gut. Am Sonntag gab es gute Nachrichten.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Die Alte Synagoge in Erfurt / © Jens Kalaene (dpa)
Die Alte Synagoge in Erfurt / © Jens Kalaene ( dpa )

Im Herzen der Erfurter Altstadt steht die Alte Synagoge, deren älteste Teile aus dem 11. Jahrhundert stammen. Das Gebäude, heute als Museum genutzt, zählt zu den größten und am besten erhaltenen Synagogen dieser Zeit in Europa.

"Alte Synagoge" steht an der Eingangstür zur historischen Stätte in Erfurt / © Martin Schutt (dpa)
"Alte Synagoge" steht an der Eingangstür zur historischen Stätte in Erfurt / © Martin Schutt ( dpa )

Gut 120 Meter entfernt entdeckte man 2007 bei Ausgrabungen ein großes jüdisches Ritualbad, eine Mikwe, ebenfalls aus dem Mittelalter und vom Bau her bislang einzigartig. Zusammen mit einem jüdischen Wohn- und Geschäftshaus, dem sogenannten Steinernen Haus nahe der Krämerbrücke, repräsentieren die Bauten in kompakter und anschaulicher Weise die frühe Blütezeit jüdischen Lebens in Mitteleuropa.

Welterbekomitee entscheidet

Das könnte Erfurt nun die Aufnahme ins Unesco-Welterbe sichern. Wahrscheinlich an diesem Sonntag entscheidet das Welterbekomitee auf seiner laufenden Jahrestagung in der saudischen Hauptstadt Riad abschließend über einen entsprechenden Antrag für das mittelalterliche jüdische Erbe in Erfurt.

Bislang gibt es erst ein auf diese Weise gewürdigtes jüdisches Welterbe in Deutschland: 2021 wurden Relikte der mittelalterlichen jüdischen Gemeinden von Mainz, Speyer und Worms - der sogenannten SchUM-Stätten - aufgenommen.

Anfänglich hatte Erfurt gehofft, mit diesen gemeinsam den Welterbe-Antrag zu stellen. Doch dann zerschlug es sich. Und eigentlich hätte die Unesco schon im vergangenen Jahr Erfurt auf seiner Tagesordnung gehabt - doch damals hatte Russland den Vorsitz im Welterbekomitee, und angesichts des Angriffskriegs auf die Ukraine wurde die Jahrestagung abgesagt. So dass nun in einer verlängerten Doppelsitzung bis zum 25. September in Riad über 50 Welterbe-Anträge entschieden wird.

Antrag auch ein Blick in die Geschichte

Der Erfurter Antrag nimmt auch die Ambivalenz der jüdischen Gemeinde- und Alltagsgeschichte in den Blick: im Spannungsverhältnis mit ihrer christlichen Umwelt, von den Anfängen im späten 11. Jahrhundert, über Aufstieg und Blüte, aber auch Ausschreitungen und Verfolgungen bis hin zur vollständigen Auslöschung bei dem Pogrom vom 21. März 1349. All das hinterließ Spuren, die sich bis heute an den Bauwerken erhalten haben.

So wurde die Mikwe – wie viele Gebäude im jüdischen Quartier – beim Pogrom massiv beschädigt. Juden, die sich ab 1354 in Erfurt ansiedelten, nutzten das Ritualbad weiter, während die Alte Synagoge bereits in ein Lager umgebaut war. Der Stadtrat erzwang 1453/54 die Abwanderung von Juden aus Erfurt. Spätestens dann endete die Nutzung der Mikwe, die vornehmlich zur kultischen Reinigung nach Berührungen mit Toten, mit Blut oder anderem, in religiösem Sinne Unreinen diente. Das Becken wurde verfüllt, der Raum darüber bis ins 20. Jahrhundert als Keller genutzt. Seit 2011 ist die wieder freigelegte Mikwe für Besucher geöffnet und bei Führungen zugänglich.

Bekenntnis zur historischen Verantwortung

In seiner Unesco-Bewerbung sieht Erfurt auch ein Bekenntnis zu der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands, die gemeinsamen Wurzeln von Juden und Christen in Europa in Erinnerung zu rufen, und den Beitrag jüdischer Bürger zu Gelehrsamkeit und wirtschaftlicher Blüte angemessen zu würdigen. Die Fülle von Bau- und Sachzeugnissen sei ein Glücksfall für die Stadtgeschichte, heißt es. Zugleich liege eine Verantwortung darin, das auch im Mittelalter immer wieder bedrohte Verhältnis zwischen jüdischen und christlichen Stadtbewohnern angemessen darzustellen und zu vermitteln.

Erfurts Entschluss, den Welterbe-Titel anzustreben, fiel schon 2008. Seit 2014 stehen Alte Synagoge und Mikwe bereits auf der deutschen Vorschlagsliste. Anfang 2021 schließlich wurde der Welterbeantrag über das Auswärtige Amt bei der Unesco eingereicht. Wenn das Welterbekomitee nun in Riad den Zuschlag erteilt, hat Thüringen künftig fünf Welterbestätten: die Wartburg, die Bauhaus-Stätten in Weimar, das Klassische Weimar und der Nationalpark Hainich führen den Titel bereits.

Erfurt ist auf jeden Fall in freudiger Erwartung. Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) lud schon alle Bürgerinnen und Bürger zum Public Viewing ins Rathaus ein - dort soll die Entscheidung live übertragen werden.

UNESCO-Welterbe

Grundlage für die Welterbeliste der UNESCO ist das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt. Es wurde 1972 verabschiedet. Inzwischen haben es mehr als 190 Staaten unterzeichnet. Kriterien für die Anerkennung als Welterbe sind unter anderem der außergewöhnliche universelle Wert der Stätte und ein Managementplan, der die Erhaltung für zukünftige Generationen sicherstellt. Die Welterbeliste verzeichnet aktuell rund 1.000 Kultur- und Naturerbestätten in 160 Ländern.

Der 1997 in der Liste der Welterbe der UNESCO aufgenommene "Concordia-Tempel"  / © Oliver Kelch (DR)
Der 1997 in der Liste der Welterbe der UNESCO aufgenommene "Concordia-Tempel" / © Oliver Kelch ( DR )
Quelle:
KNA