Felix Tudorache träumt von einer Bühnenkarriere als Operntenor. Seit seinem sechsten Lebensjahr dreht sich bei ihm alles ums Singen. In der Kölner Domsingschule, in der er sich für die Aufnahme in den Kölner Domchor qualifiziert, erlernt er die ersten Grundlagen. Aber schon wenige Jahre später wird dieses zeitintensive Hobby für den heute 18-Jährigen zum Dreh- und Angelpunkt. Die vielen Auftritte in der Domliturgie, aber auch die Konzertreisen ins Ausland – sogar in Rio und Peking war der junge Chorsänger schon – und vor allem die mittlerweile neun Opernprojekte, an denen er wie viele andere Kinder und Jugendliche der Dommusik regelmäßig beteiligt ist, eröffnen dem Jugendlichen mit deutschem und spanischem Pass eine neue Welt.
"Eines Tages hat es einfach ‚klick’ gemacht. Von da an war ich mir sicher, dass ich Gesang, Komposition und Orchesterleitung studieren will. In dieser Welt etwas hinterlassen – das ist mein größter Wunsch." Etwas anderes als Musik zu machen, kann sich Felix gar nicht mehr vorstellen. "Ich liebe das eben", schwärmt er mit leuchtenden Augen.
Trotzdem hat er gerade nicht viel Zeit, Pläne zu schmieden. Die Vorbereitungen zum Abitur an der Kölner Liebfrauenschule (LFS) laufen auf Hochtouren und haben den Schüler voll im Griff. Gerade auch weil die Weihnachtsferien im Dezember vorgezogen wurden und das Vorabitur – Stand jetzt – Mitte Februar stattfinden soll, bleibt noch eine ganze Menge zu tun, wenn das gesamte Prüfungspensum bis dahin abrufbar sein soll. Mit Musik und Mathe in den Leistungskursen sowie Deutsch als weiteres schriftliches Fach muss sich der Q2-Absolvent ganz schön ranhalten. Denn die Zeit läuft.
Trotz Zugeständnissen bleiben die Anforderungen hoch
"Mir fehlt noch eine Menge Stoff – gerade in Mathe. Nicht alle Lehrkräfte versorgen uns gleichgut mit Unterrichtsmaterialien", erklärt er, "so dass es noch beachtliche Wissenslücken gibt, die ich nun selbständig füllen muss. Ich mag strukturiertes Arbeiten, daher vermisse ich bei manchem Lehrer den souveränen Umgang mit den angebotenen Lernplattformen. Bei einigen Themen schwimmen wir noch ganz schön." Die Aufgaben seien in der Summe doch sehr komplex.
"Auch wenn manches selbsterklärend ist, braucht man in einigen Fächern doch ganz klar eine Anleitung, zum Beispiel in der Stochastik, der Wahrscheinlichkeitsrechnung", stellt Felix sachlich fest. "Trotz Corona und scheinbarer Zugeständnisse bleiben die Anforderungen ans Abitur ja hoch", ist der Gymnasiast überzeugt. Auf ihn persönlich entlastend wirke allenfalls, dass er nach dem Abi an der Kölner Musikhochschule studieren wolle. Und hier geht es weniger um einen guten Schnitt als um Talent, Disziplin und Leidenschaft. Die Vorstellung allerdings, bei der Aufnahmeprüfung seine Arien einer Jury nur online vortragen zu können, gibt ihm schon jetzt ein mulmiges Gefühl. "Das wäre ganz schön blöd, wenn dann ausgerechnet die Technik versagt oder die Töne akustisch verzerrt rüberkommen."
Der Distanzunterricht kostet viel Energie
Solche Sorgen hat Kim Johanna Kampker zwar nicht, trotzdem quält auch sie eine Menge Ungewissheiten. Schließlich zählt für die 17-Jährige auf dem Abi-Zeugnis jedes Zehntel hinterm Komma. Ein guter Numerus clausus ist bei ihr der Schlüssel zum Erfolg. Denn Kim will Medizin studieren. Unbedingt. Auch für sie gibt es keine Alternative zu diesem Berufswunsch. "Ich muss eben so gut wie möglich sein; jede Note kann für mich entscheidend sein", betont sie. Daher verfolgt die angehende Abiturientin, die sich jahrelang in der Schülervertretung der LFS engagiert hat, auch mit großem Interesse jede neue Nachricht aus dem Schulministerium zum Thema "Corona-Abitur". Denn vieles ist noch in der Schwebe und bewegt sich zum jetzigen Zeitpunkt eher im Bereich von Spekulation. Was für die jungen Leute zermürbend ist.
Unter Druck setzen lässt sich Kim trotzdem nicht. "Die Anspannung ist zwar groß, auch weil eine ganze Klausur, die in der Q1 nicht geschrieben werden konnte, weggefallen ist. Da fehlt jetzt eine komplette Bewertungsgrundlage für wichtige Punkte – zumal ich schriftlich meistens stärker bin als mündlich. Für mich also ein Nachteil. Aber ich habe bei allem dennoch großes Glück: Unsere Lehrer versuchen das Beste, da bin ich sicher, und ich bin mit meinem Stoff – bis auf wenige Inhalte im Geografie-LK – so gut wie durch." Nun hofft sie, dass die Spanne des Präsenzunterrichts ausgereicht hat, um fit für den Endspurt zu sein. Insgesamt würden sie auch im Distanzunterricht mit Lernmaterial überdurchschnittlich beschäftigt, so ihre Einschätzung. "Das aber ist nicht immer einfach und kostet viel Energie. Manchmal braucht man einfach jemanden, bei dem man mal eben nachfragen kann." Dafür muss dann am Abend die Lerngruppe per Chat herhalten.
Corona lässt einen Traum nach dem anderen zerplatzen
Acht Stunden Videokonferenz seien ungleich anstrengender als acht Stunden Schule, ihr Fazit. Das sei auf Dauer ermüdend, kräftezehrend und nervig, pflichtet Felix bei. Er fürchtet, dass eine Vielzahl an Faktoren das Abi in Corona-Zeiten unfair macht. "Eigentlich sind wir völlig ausgelaugt", räumt er ein. Ihm täten die Mitschüler leid, die völlig auf sich allein gestellt seien und zuhause niemanden hätten, der bei unlösbaren Aufgaben schon mal unterstützend einspringe könne. Auch das sei ungerecht, meint er. Es bedürfe schon großer Selbstdisziplin, um angesichts der vielen Abgabefristen von Hausaufgaben, einer umfangreichen To-do-Liste und des Lernens via Online-Plattformen oder unterstützender Youtube-Videos mithalten zu können, ergänzt Kim. Andauernd gebe es Internetprobleme, eine Präsentation funktioniere nicht wie gedacht oder der Lehrer verschwinde unfreiwillig mitten in seinen Ausführungen vom Bildschirm.
"Uns fehlt der Ausgleich und die Gemeinschaft", reflektiert die Schülerin, die in ihrer Freizeit Rettungsschwimmerin bei der DLRG ist und seit fast einem Jahr kein Training mehr hatte. Auch Felix vermisst seine Chorproben, die nicht nur fester Bestandteil seiner Wochenplanung sind, sondern vor allem auch so etwas wie ein Entspannungsfaktor nach langen Lernphasen. Im letzten Sommer ist für ihn coronabedingt eine Konzertreise nach Portugal ausgefallen, bei der er den Solo-Part in einer Mozartmesse hätte übernehmen sollen, und in den Herbstferien wäre er eigentlich mit dem Domchor nach Schweden gefahren. Ihren dreimonatigen Aufenthalt in Ghana nach dem Abi, bei dem sie sich an einem Sozialprojekt beteiligen wollte, hat Kim schon vor Wochen abgesagt. Im Moment lässt Corona einen Traum nach dem anderen zerplatzen. "Ich habe mich damit abgefunden, dass vieles gerade nicht geht", sagt sie. "Trotzdem bin ich fest entschlossen, aus dieser Pandemie das Beste zu machen."
Niemand will beim Abi etwas geschenkt bekommen
Permanent beschäftigt die beiden Jahrgangsstufen-Kollegen, wie das in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen soll. Sie wissen, dass es am Ende maßgeblich auf die Klausuren ankommt. Sich im Distanzunterricht einen Eindruck von der Leistungsstärke der einzelnen Schüler zu verschaffen und keine geschönten Noten fürs Mündliche zu verteilen, wird mancher Lehrkraft in dieser Ausnahmesituation jedenfalls schwerfallen, glaubt Kim, die mehr noch als andere – angesichts ihres geplanten Medizinstudiums – auf ein gerechtes System angewiesen ist, aber auch nichts geschenkt haben will.
Schon jetzt hat sie einen Plan B: "Wenn es im ersten Anlauf mit Medizin nicht klappt, dann schreibe ich mich zunächst einmal für Humanbiologie ein. Das kann mir später beim Medizinstudium angerechnet werden." Auch der Medizinertest ist noch eine Option. Aber auch dafür müsse man sich sehr gezielt vorbereiten. Das mal eben neben den Abi-Vorbereitungen zu schaffen, findet Kim illusorisch. "Mein Fokus ist daher primär auf gute Ergebnisse beim Abi gerichtet."
Bedingungen für guten Unterricht werden immer schwieriger
Wann das dann soweit ist und die Abi-Arbeiten definitiv geschrieben werden, steht allerdings zurzeit noch in den Sternen. An diesem Dienstag werden sich die Ministerpräsidenten erneut mit Bundeskanzlerin Merkel beraten, unter Umständen auch aktuelle Empfehlungen für die Schulen aussprechen und hier besonders die Abschlussjahrgänge auf dem Schirm haben. Unstrittig ist: Die emotionale und gesundheitliche Belastung auf beiden Seiten – bei Schülern wie Lehrern – ist hoch. Die Bedingungen, guten Unterricht anbieten zu können, werden mit jeder Woche im Lockdown schwieriger.
"Es ist diese Unsicherheit, die mich stört", stellt Kim fest. Trotzdem bleibt die zukünftige Abiturientin optimistisch: "Die Motto-Woche und auch der Abi-Ball sind bereits in Planung. Eine Location für 140 Abiturienten haben wir vorsichtshalber schon mal angefragt. Wenn alles vorbei ist, starten wir durch. Im Müngersdorfer Stadion dürften Abstandsregeln jedenfalls kein Problem sein." Die Hoffnung stirbt zuletzt.