Die Feier der Ersten Heiligen Kommunion ist in der Regel für viele Familien ein Tag der uneingeschränkten Freude. Auf dem monatelangen Weg dorthin wächst die frohe Erwartung, dass dieses Fest gelingen möge und die Klein- oder Großfamilie – je nach Verwandtschaftsgröße – einmal mehr zusammenrückt. Nach der liturgischen Feier in der Kirche soll die innerfamiliäre Begegnung und gleichzeitig die Botschaft dieses Sakramentes von Gemeinschaft und Teilhabe intensiv miteinander im häuslichen Umfeld fortgesetzt werden. Jedenfalls laufen dafür die Vorbereitungen schon Wochen vorher auf Hochtouren.
Die Eltern, Großeltern, Paten und manchmal auch besonders enge Freunde bilden eine einzige große Festgesellschaft. Sie alle bringen Geschenke mit und vermitteln dem Kommunionkind gewollt oder auch unbewusst in dieser Form des rituellen Zusammentreffens familiäre Zugehörigkeit und Geborgenheit. An diesem besonderen Tag meist mehr noch als sonst. So jedenfalls spiegelt sich die Idealvorstellung eines Familienfestes, zu dem in allererster Linie Vater, Mutter, Kind in der klassischen Verwendung des Begriffs "Familie" gehören. Meinungsforscher haben herausgefunden, dass ein Großteil der Gesellschaft Familie in der Tat – immer noch – in diesem Sinne versteht.
Viele unterschiedliche Familienformen
Das mag verwundern, weil die reale Vielfalt der gegenwärtigen familialen Lebensformen längst anders aussieht und die herkömmliche Definition von Familie diese nicht mehr repräsentiert. Lange Zeit war eine Familie zunächst nur die Zwei-Generationen-Kernfamilie, aber die Familienkonstellationen haben sich geändert, so dass daneben nach heutigem Verständnis inzwischen – mehr oder weniger gleichberechtigt – auch andere Familienformen und soziale Systeme stehen: alleinerziehende Elternteile, aus Trennungen neu entstandene Stief- und Patchworkfamilien, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Wohn- und Hausgemeinschaften – auch mit älteren Mitgliedern, die der Großelterngeneration angehören. Das ideologisch verklärte Leitbild der 1950er-Nachkriegsjahre hat sich überlebt.
Elternschaft ist eine Grunderfahrung menschlichen Lebens. Sie ist mehr als eine soziale Rolle, die man einnehmen oder auch ablegen kann. Elternschaft kann nicht rückgängig gemacht werden. Sie bedeutet Verantwortung und Fürsorge. Kinder haben ein Recht auf ihre Eltern und Anspruch auf deren Zuwendung. Dieser Verpflichtung können Eltern am ehesten nachkommen, wenn sie in einer dauerhaften Beziehung leben, die auch institutionell – durch Eheschließung – verankert ist. Tatsache aber ist, dass in zunehmendem Maße Elternschaft heute auch ganz anders gelebt wird: wie gesagt, als Alleinerziehende, in einer Zweitfamilie oder in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft. Der nüchtern soziologische Blick geht sogar – anders als das beliebte Rollenspiel Vater, Mutter, Kind – vom Kind aus und nennt "Familie" jede Form des Zusammenlebens von Kindern mit einem biologischen oder auch sozialen Elternteil. Das heißt, auch Pflege- und Adoptivfamilien oder Großeltern, die ein Enkelkind erziehen, lassen sich darunter führen. Soweit die Analyse.
Wenn einen die unbewältigte Vergangenheit wieder einholt
Was aber bedeutet das sehr konkret für manche Familie an einem solchen Festtag, wenn zwar für die meisten das Wohl und die Freude des Kindes im Zentrum aller Vorbereitungen stehen, die eigenen Brüche des Lebens gleichzeitig aber nicht ausgeblendet werden können und die unbewältigte Vergangenheit mit unheilvollen Rosenkriegen oder nicht befriedeten Konflikten einen am gemeinsamen Tisch wieder einholt? Die innerfamiliären Krisensituationen, die zu Spannungen, Verletzung, Enttäuschung und Trauer – vor allem auch bei Kindern – führen, sind vielfältig: Da ist der im Laufe von Jahren fremd gewordene leibliche Vater, der von weit her angereist ist und die Sitzordnung an der festlichen Tafel sprengt. Da kommen Oma und Opa, die sich mit der Schwiegertochter überworfen haben, aber darauf bestehen, nicht ausgeladen zu werden.
Da sind die frisch getrennten Eltern, die für einen Tag noch einmal heile Familie spielen, wie sie in Wirklichkeit schon lange nicht mehr existiert, aber keine angemessene Kommunikation mehr miteinander finden. Da ist die plötzlich verwitwete Mutter, die trotz aller Anstrengung den tragischen Unfalltod ihres Mannes nicht ausgleichen kann und erstrecht an einem solchen Tag Trauerarbeit mit ihrem Kind zu leisten hat, weil der geliebte Vater als wesentliche Säule fehlt. Und da sind die erwachsenen Stiefbrüder aus der ersten Ehe des viel älteren Vaters, die mit Religion nichts anfangen können, nörgelnde Kommentare austauschen und doch am besten zuhause geblieben wären.
Mutter und Vater gehören zu ihrem Kind
Mit einem Mal treffen unterschiedliche Lebenswirklichkeiten, Erwartungen und Familiengeschichten aufeinander, weil Mutter und Vater an einem solchen Tag nun mal zu ihrem Kind gehören, es bei einem wichtigen Schritt seines Glaubensweges begleiten wollen und ein Familienfest organisieren, dessen Gästeliste aber bereits vorprogrammierte Schwierigkeiten erahnen lässt. Denn die für eine harmonische und gelingende Gemeinschaft notwendigen Koordinaten wurden zwischenzeitlich verschoben und ursprüngliche Lebensentwürfe revidiert. Schließlich überlagert eine nicht unbegründete Angst vor diesem an Gefühlen dichten Tag die hoffnungsvolle Zuversicht: Wir feiern heute Communio – die Tischgemeinschaft mit Jesus Christus – und alle sind eingeladen, egal woher sie kommen. Doch nicht alle teilen die gleiche Freude
Die eigenen Vorstellungen davon, wie ein gelingendes Familienleben auszusehen hat, lassen sich nicht einfach auf andere übertragen. Hier gilt es, offen für die Vielfalt von Formen familiären Zusammenlebens zu sein, Sensibilität, Toleranz und Achtung zu zeigen und vor allem Hilfestellung anzubieten, wo diese gefragt ist. Es ist an der Zeit, die teils unvertrauten Lebensrealitäten von Kindern, Müttern und Vätern mit allen Facetten aufmerksam in den Blick zu nehmen, um so differenzierte Einsichten zu gewinnen und entsprechend handeln zu können. Da kommt es auf jeden Einzelnen an, die Türen seines Herzens weit auf zu machen – jeder an seinem Platz.
Den Communio-Gedanken anschaulich vermitteln
Auch eine Pfarrgemeinde kann ein Ort sein, an dem die Solidarität mit Eltern und Kindern und deren je individuellen Situation konkret gelebt wird. Sie sollte ein hohes Maß an Mitverantwortung zeigen, nicht hinter dem selbstgesteckten Ziel zurückstehen, den Communio-Gedanken – und nicht nur zum Erstkommunionfest – anschaulich und lebendig zu vermitteln. Schließlich sind es doch wir Christen, die sich auskennen in Ritualen von Scheitern und Neuanfang, von Schuld und Vergebung, von Akzeptanz einer Begrenztheit und dem Mut zu Aufbruch und neuen Wegen. Die Heilzusage Gottes ist in jedem Sakrament die eigentliche Einladung an uns, in Gemeinschaft mit ihm zu leben und dieses unglaubliche Angebot – unabhängig von jedweder Lebens- und Familienform – nicht auszuschlagen.
Am Ende steckt in dieser Haltung der Offenheit und Zugewandtheit das, was Jesus vorgelebt hat: eine Mahlgemeinschaft mit ganz unterschiedlichen Menschen aus den vielfältigsten Lebenskontexten. Niemanden hat er ausgeschlossen, sie sogar von den Hecken und Zäunen gerufen. Alle gemeinsam, die seiner Einladung gefolgt sind, hat er an nur einem Tisch versammelt.