Eine Cafeteria in einer Klinik für chronischen Schmerz: Es riecht nach Suppe und Gemüse. An den Tischen sitzen Patienten, die meisten jenseits der sechzig. Nur in der Ecke hocken zwei ganz junge Frauen. Sie stecken die Köpfe zusammen und lachen vertraut miteinander, so, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. Dabei sind sie sich erst vor wenigen Wochen genau hier begegnet.
"Angefangen hat alles mit den Schmerzen, sonst wäre ich ja gar nicht in diese Klinik gekommen", erinnert sich Linda, deren Muskeln schon seit Jahren so verhärtet sind, dass an manchen Tagen jede Bewegung eine Qual für sie ist. Ihre Freundin, Sophie, hat zwar etwas ganz anderes – sie leidet nämlich an den enormen Schmerzen einer chronischen Spastik – aber das macht nichts. In der Klinik geht es darum, mit den Schmerzen umzugehen, ganz egal, was die Patienten haben.
Auch Sophie erinnert sich noch gut an den Beginn ihrer Freundschaft. "Kennengelernt habe ich Linda in der Physiotherapie und ich war begeistert davon, jemanden gefunden zu haben, der weiß, wie es ist, krank zu sein. Linda muss ich nichts erklären. Sie weiß, was es bedeutet, jung zu sein und sich auf ein Leben mit Krankheit einstellen zu müssen. Welche Ängste das in einem auslöst."
Der Abend, der alles verändert
Schnell finden die beiden jungen Frauen in der Klinik ihren eigenen Rhythmus. Dazu gehört kniffeln – am liebsten jeden Abend. Sophie erinnert sich noch gut, wie es war, als sich auf einmal alles veränderte: "Es war im Grunde wie immer, ein ganz normaler Abend in der Klinik – ich hab gerade im Kniffeln gewonnen, – wie meistens", lacht sie erst noch. Dann wird sie etwas ernster und sagt: "Und dann hat Linda mir die frohe Botschaft verkündet." Linda hat an dem Tag nämlich erfahren, dass sie sehr bald wieder gesund sein wird und dass sie sehr bald keine Schmerzen mehr haben wird.
Für Sophie war das ein Schock: "In dem Moment ist mir auf einmal heiß und kalt geworden, ich wäre fast umgekippt." Auf der einen Seite hat sie sich gefreut für Linda, sagt sie. Andererseits aber, fand Sophie das nicht fair. "Wo bleibe ich?", hat sie sich gefragt.
Der Neid als Prüfung für die Freundschaft
Wo bleibt denn auch die Freundschaft der beiden, wenn das, was sie verbunden hat, bald nicht mehr ist? Auch Linda plagen Gewissensbisse: "Ich habe für einen Moment sogar mit dem Gedanken gespielt, Sophie nichts von der Heilung zu erzählen", gesteht sie. "Ich dachte, ich lasse sie hängen." Die Freude über die Aussicht auf ein normales Leben war dann aber doch so groß, dass es beim Kniffeln regelrecht aus ihr herausplatze. "Wie hätte ich das nicht mit Sophie teilen können?", findet Linda.
Ist des einen Freud, des anderen Leid? Die Sache wurde noch komplizierter, als Sophie anfängt, sich einzureden, dass sie sich für die Freundin freue. "Irgendwie war ich schon froh für sie", rechtfertigt Sophie sich zuerst. Dann gibt sie zu: "Aber ich war auch verdammt neidisch." Das Gefühl und das schlechte Gewissen darüber lassen sie nachts kaum noch schlafen.
Experten wissen: Je ähnlicher, desto neidischer
Dabei ist Neid ein ur-menschliches Gefühl – jeder kennt es, auch wenn nur wenige es zugeben wollen oder können. "Die aufrichtigste Form der Anerkennung", hat Wilhelm Busch einmal über Neid gesagt. Einige Psychologen halten Neid in dem Sinne sogar für einen Antriebsfaktor in der Evolution. Neid kann aber auch krankmachen. Die Forschung dazu ist zwar noch jung, erste Ergebnisse deuten indes an, dass es einen Zusammenhang zwischen Neid und Depressionen gibt.
Gerade in Freundschaften ist Neid, diese von der Kirche benannte Todsünde, nicht selten, denn: Der Mensch ist umso anfälliger, neidisch zu sein auf jemanden, mit dem er viele Gemeinsamkeiten hat und den er gut kennt: Denn mit dem kann er sich am einfachsten vergleichen: Und das ist oft die Wurzel von Neid. So wie bei Linda und Sophie. Auf einen Hochleistungssportler oder einen alten Rentner wäre Sophie nie neidisch geworden.
Darf Neid unter Freunden sein?
Mit Linda konnte Sophie sich immer so schön vergleichen, bemerkt sie. Durch ihre Heilung geht das nun nicht mehr. "Wir sind beide jung, haben dieselben Werte, ähnliche Interessen und eben den Schmerz – gehabt,” bedauert Sophie fast ein bisschen. Am schwersten war es, das brennende Gefühl vor ihrer Freundin geheim zu halten.
"Von Minute zu Minute bin ich unruhiger geworden. Ich habe nur noch an meinen Neid denken können und daran, dass Linda auf keinen Fall davon erfahren darf. Sonst würde ich sie ja als Freundin verlieren." Die Gehemniskrämerei bedeutete für sie aber einen Bruch in der Freundschaft. "Mit der besten Freundin möchte man doch wirklich alles teilen!", sagt sie. Gilt das auch für Neid?
Wege aus dem Neid
Was also tun, wenn der Neid auf die Freundin da ist und so richtig schön ins Herz sticht? Psychologen empfehlen zur Neidbewältigung meistens zwei Schritte: Zuerst zugeben, dass man neidisch ist und dann den Neid nicht mehr so wichtig nehmen. Das bedeutet meistens: Mit dem Vergleichen aufhören und einen Perspektivwechsel wagen. Nicht alles ist Gold was glänzt, auch nicht, wenn man darauf neidisch ist.
Sophie hat ein Gespräch mit Linda gebraucht, um ihr Neidproblem anzugehen: Daran erinnert sich Linda noch genau. "Sophie kam tränenüberströmt zu mir. Sie war total fertig und hat mir von ihrem Gefühl erzählt", erinnert sich Linda. Auch für sie war es wichtig, dass Sophie diesen Schritt gegangen ist. Es hat ihr gezeigt, wie viel Sophie an der Freundschaft liegt. "Außerdem konnte ich dann mit ihr über meine Schuldgefühle sprechen, weil ich ja gesund werde und sie nicht", fügt sie hinzu.
Worauf sind wir neidisch?
Den Neid zugeben und ihn zulassen – für Sophie eine echte Erleichterung. Mit der Freundin zu reden, hatte aber noch einen zweiten Vorteil, denn so hat Sophie gemerkt, dass Lindas Leben nicht perfekt wird, nur weil sie keine Schmerzen mehr haben wird. "Linda hat mir davon erzählt, dass sie Angst vor dem neuen Leben hat und dass damit für sie ganz schön viele Hürden verbunden sind", sagt Sophie. Der Perspektivwechsel hat ihr gutgetan. Das merkt auch Linda: "Dieses ganze dumme Vergleichen immer. Das Gras ist auf der anderen Seite immer grüner, klar. Aber weiß man wirklich immer, worauf man überhaupt neidisch ist?"
Heute sind die beiden noch immer befreundet, wahrscheinlich sogar besser denn je. Sophie hat viel gelernt aus ihrem Neid: "Manchmal ist der Neid immer noch da, wobei ich mittlerweile glaube, dass es viel mehr der Wunsch ist, auch gesund zu werden."