Wenn die Fassade des ewigen Funktionierens bröckelt

Immer kurz vor dem Zusammenbruch

Stressige Phasen kennt jeder. Wird der Stress indes zum Dauerzustand und Entspannung unmöglich, sprechen Experten vom Burnon. Er findet im Gegensatz zum Burnout noch wenig Beachtung, ist aber deswegen nicht zu verachten.

Autor/in:
Jutta Simone Thiel
Eine junge Frau sitzt mit einem Laptop am Fenster eines Gangs zwischen Messehallen während der Buchmesse in Frankfurt / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine junge Frau sitzt mit einem Laptop am Fenster eines Gangs zwischen Messehallen während der Buchmesse in Frankfurt / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der Stau in der Rush-Hour, der Streit mit dem Partner, die anstehende Prüfung: "Stress ist für viele ein ständiger Alltagsbegleiter", sagt Mazda Adli, Psychiater, Stressforscher und Chefarzt an der Fliedner Klinik Berlin. "Man findet ihn in allen Altersklassen, unabhängig von Beruf oder Geschlecht und über alle Kulturgrenzen hinweg." 

Seit einigen Jahren jage in den Medien eine Krise die andere, und es sei für viele besonders schwer, innerlich zur Ruhe zu kommen, so Adli. Kein Wunder also, dass der Wunsch nach weniger Stress auf der Liste der Neujahrsvorsätze seit langem einen der vordersten Plätze belegt.

Gefahrensituation

Wenn sich bei akutem Stress die Muskulatur anspannt, das Herz schneller schlägt und die Atmung beschleunigt, ist das im Grundegenommen eine "gesunde" Reaktion. In früheren Zeiten sicherte sie das Überleben in Gefahrensituationen: Auge in Auge mit dem Säbelzahntiger konnte nur gewinnen, wer hochkonzentriert und sprungbereit war.

Gesundheitsrisiko

Heute, wo Menschen seltener um ihr Leben rennen müssen, wird Stress in Form chronischer Dauerbelastung zum Gesundheitsrisiko. "Folgt auf eine Phase der Anspannung keine Entspannung mehr, werden ständig Stresshormone ausgeschüttet, der Blutdruck bleibt hoch, und unser Körper verliert seine Regenerationsfähigkeit", erklärt der Experte. 

Dann wache man beispielsweise trotz Schlaf gerädert auf, sei unkonzentriert und gereizt. In letzter Konsequenz drohe ein Burnout, ein Zustand völligen Ausgebrannt-Seins und totaler körperlicher sowie seelischer Erschöpfung.

Burnon statt Burnout

Wer einen Burnout erleidet, ist außerstande, den Alltag aufrecht zu erhalten; der Zusammenbruch zwingt Betroffene, ihr Leben zu ändern. Anders verhält es sich beim Burnon. "Burnon-Patienten beißen die Zähne zusammen und machen trotz andauernder Überlastung mit einem Lächeln weiter", berichtete Bert te Wildt, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen am Ammersee, kürzlich im Münchner Presseclub. 

"Ein bisschen Yoga hier, eine Massage dort – das hält sie gerade so über Wasser." Der Burnon sei nicht nur als Vorstufe eines Burnouts zu werten, sondern als das eigenständige Krankheitsbild einer chronischen Erschöpfungsdepression.

Nach außen ist alles gut

Nach außen hin hochmotiviert, erfolgreich und immer auf der Gewinnerseite, versichern Erkrankte sich und anderen, wie viel Freudeihnen ihre Arbeit bereite. Während sie allem Anschein nach perfekt "funktionieren", macht sich der übertriebene Ehrgeiz in körperlichen Symptomen wie extremer Muskelverspannung, Tinnitus oder Bluthochdruck bemerkbar. Betroffene werden zudem von Versagensängsten, depressiven Phasen und mitunter von Suizidgedanken geplagt.

Eine Verhaltensänderung sei trotz hohem Leidensdruck schwer, erläutert te Wildt. So habe er in seiner Klinik bereits einige Manager betreut, die ihre Burnon-Therapie genauso ehrgeizig "abarbeiten" wollten wie ihre Geschäftstermine.

Definition über Arbeit

"Die meisten von uns definieren sich viel zu sehr über ihre Arbeit", warnt der Psychiater. "Wer nicht ständig am Rand der Erschöpfung ist, bekommt oft von den anderen den Stempel aufgedrückt, in seinem Job nicht wichtig zu sein." 

Zudem habe die Digitalisierung, durch die man rund um die Uhr erreichbar sei und jederzeit von jedem Ort aus arbeiten könne, das Tempo enorm beschleunigt und den Druck bedenklich erhöht. Als erschreckend bezeichnet es te Wildt zudem, dass kaum einer mehr den Mut und die richtigen Worte finde, um einen Kollegen, der sichtlich über die eigenen Grenzen hinausgehe, darauf anzusprechen.

Phasen der Erholung

Im neuen Jahr bewusst mit weniger Stress durch den Alltag kommen – das ist durchaus ein sinnvoller Vorsatz. Mazda Adli betont allerdings, dass es nur bei der chronischen Form der Dauerbelastung wirklichen Handlungsbedarf gebe. Hier gelte es, bewusst auf Phasen der Erholung zu achten und so einen geeigneten Ausgleich zu schaffen. 

Adli selbst hat das Singen für sich entdeckt: "Dass Singen – und ganz besonders das gemeinschaftliche im Chor – auf vielfältige Weise Stress abbaut und positive Emotionen stimuliert, ist wissenschaftlich schon lange bewiesen", so der Stressforscher.

Entspannter durchs Neue Jahr – so geht's

Weniger Hektik im Alltag, mehr Raum für Erholung und schöne Dinge – das wünschen sich viele Menschen im neuen Jahr. Der Psychiater und Stressforscher Mazda Adli hat einige Tipps, mit denen man weniger gestresst durchs Neue Jahr kommen kann:

Symbolbild Eine Frau mit Smartphone vor dem Laptop / © GaudiLab (shutterstock)
Symbolbild Eine Frau mit Smartphone vor dem Laptop / © GaudiLab ( shutterstock )
Quelle:
KNA