Forscher und Erzbischof diskutieren über Religionsfreiheit

"Wenn die Mehrheit die Klappe hält, haben wir ein Problem"

Die Religionsfreiheit steht im Grundgesetz. Doch wie steht es um sie angesichts von Anschlägen auf Synagogen und Übergriffen auf muslimische Frauen? Es besteht Handlungsbedarf, so das Fazit einer Diskussion in Nürnberg.

Autor/in:
Christian Wölfel
Symbolbild Religionsfreiheit / © Ifenoumen (shutterstock)
Symbolbild Religionsfreiheit / © Ifenoumen ( shutterstock )

Abraham de Wolf ist sichtlich bewegt, als er über die Reaktion in Politik und Gesellschaft auf den Anschlag in Halle spricht. Es sei nicht akzeptabel, dass man sich überrascht zeige über die Taten von Rechtsextremisten und Rechtsterroristen, sagt der Rechtsanwalt und Vorsitzende von "Torat HaKalkala - Verein zur Förderung der angewandten jüdischen Wirtschafts- und Sozialethik" am Dienstagabend in Nürnberg bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Religionsfreiheit.

Abgeschoben worden sei das Thema. Wie in einer schlechten Ehe habe man eine Auseinandersetzung gemieden, weil sie unangenehm sei, so de Wolf: geschredderte Akten im NSU-Komplex, bezahlte Rechtsextremisten als V-Männer. Der Staat müsse reagieren, findet der Anwalt. So müssten die Aufgaben von Antisemitismusbeauftragten klarer definiert und sie zu vollwertigen Stellen mit entsprechendem Stab ausgebaut werden.

Entschiedeneres Einschreiten der Gesellschaft gefordert

Es ist dann Heiner Bielefeldt, lange Jahre Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit der Vereinten Nationen, der mit deutlichen Worten ein entschiedeneres Einschreiten der Gesellschaft anmahnt. Es gelte, die "ganze Dramatik zu Wort" zu bringen und zu intervenieren, sagt der Erlanger Lehrstuhlinhaber für Menschenrechte. Rechtsextremisten und Rechtsterroristen zerstörten mit ihren Hass-Manifestationen die Gesellschaft. "Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen." Bielefeldt spricht auch von einer sogenannten kognitiven Dissonanz.

Vielfach schiebe die Mehrheitsgesellschaft das Problem des Antisemitismus auf Flüchtlinge ab. Dabei wachse es vor allem auch unter Deutschen. Davor warnt auch der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza von der Tübinger Stiftung Weltethos. Mit Blick auf die AfD sagt er, nun gebe es eine Partei im Bundestag und in den Länderparlamenten, "die antisemitisch ist und mit Antisemitismus spielt". Mit ihr fielen auch Sprachbarrieren. Die AfD spiele Minderheiten wie Muslime und Juden "gegeneinander aus oder setzt sie als Feindbild gleich".

Aber auch das Thema Antisemitismus unter Muslimen benennt Sameer Murtaza. Der Nahost-Konflikt werde für den Versuch benutzt, den Antisemitismus mit der Tradition und den Schriften des Islam zu begründen. Auch ein Projekt der Stiftung, das junge Muslime und Juden zusammenbringt, werde mit jedem erneuten Aufflammen des Konflikts zurückgeworfen. Dabei sei die Begegnung der Jugendlichen sehr wichtig, da sie sonst oft nicht stattfinde. Der jeweils andere werde daher oft wie ein "Außerirdischer" wahrgenommen.

Schick: Mangelndes Wissen über andere Religionen

Dieses mangelnde Wissen über andere Religionen führt auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ins Feld. Es verhindere eine Kultur der Akzeptanz und des Respekts. Sie sei aber nötig, um Hass zu bekämpfen. Die Menschenrechte gelte es immer wieder neu zu erstreiten, so der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. Dabei räumt er ein, dass auch die Kirche eine historische Mitschuld am Antisemitismus trage. Schick fügt aber auch hinzu, dass in Deutschland nicht nur Muslime und Juden attackiert würden, sondern auch Symbole von Christen, etwa Kapellen und Wegkreuze.

Der Islamwissenschaftler zeigt sich skeptisch gegenüber Schicks Forderung nach einer Kultur der Akzeptanz und Toleranz. Dafür sei es schon zu spät. Die Debatte habe sich längst verschoben. Sameer Murtaza macht das am Beispiel Kopftuch fest und den jüngsten Diskussionen darüber in der CDU. "Da wird Politik auf dem Rücken einer Religion gemacht." Damit werde signalisiert, "irgendetwas mit dem Kopftuch ist nicht in Ordnung".

Ähnlich äußert sich Bielefeldt. Den Begriff einer "jüdisch-christlichen Leitkultur" nennt er "Irrsinn", gerade vor dem Hintergrund der leidvollen Geschichte in Deutschland. Es gebe "Hass-Unternehmer", die eine "Ausgrenzungssemantik" gegenüber Muslimen bedienten und für sich in Anspruch nähmen, eine schweigende Mehrheit zu repräsentieren. "Wenn die Mehrheit die Klappe hält, haben wir ein Problem."

 

Erzbischof Ludwig Schick / © Angelika Zinzow (KNA)
Erzbischof Ludwig Schick / © Angelika Zinzow ( KNA )
Quelle:
KNA