Kolping International begrüßt geplantes Lieferkettengesetz

"Wenn es keine Hintertürchen gibt..."

Noch in dieser Legislaturperiode soll es ein Lieferkettengesetz geben, das Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards verpflichtet. Für Kolping International ein wichtiger Schritt – wenn er ohne Hintertürchen bleibt.

Lieferkettengesetz mit klaren Haftungsregeln gefordert / © Tim Brakemeier / picture alliance (dpa)
Lieferkettengesetz mit klaren Haftungsregeln gefordert / © Tim Brakemeier / picture alliance ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was genau beinhaltet so ein Lieferkettengesetz?

Dr. Markus Demele (Generalsekretär Kolping International): Was es ganz zum Ende beinhalten wird, wissen wir noch nicht. Aber ich kann aber sagen, was die "Initiative Lieferkettengesetz" und viele Leute fordern, die sich damit auseinandergesetzt haben. Der Grundgedanke dieses Gesetzes ist, dass Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind, in Deutschland geschäftstätig sind und Produkte hier auch auf dem deutschen Markt anbieten, dafür verantwortlich sind.

Dabei geht es nicht nur darum, welche Qualität diese Produkte haben, sondern auch, wie sie ins Werk gekommen sind, wie sie entstanden sind – und zwar in den einzelnen Schritten der Wertschöpfung durch die Lieferkette hindurch. Das betrifft also nicht nur das, was in der eigenen Fabrik passiert ist, sondern auch, was in den Zuliefererbetrieben passiert ist.

DOMRADIO.DE: War es nicht fast ein bisschen naiv zu glauben, Unternehmen würden sich über eine freiwillige Selbstverpflichtung plötzlich von ganz allein mehr um Menschenrechte und Umweltstandards kümmern?

Demele: Die Frage ist, ob das überhaupt jemals jemand geglaubt hat. Ich glaube, die Tatsache, dass man auf diese Selbstverpflichtung gesetzt hat, ist einfach eine Folge von mächtigen Lobbygruppen gewesen, dass man gesagt hat, die Industrie wollte das möglichst auf die lange Bank schieben.

Darum hat man eine Unternehmensbefragung gemacht in zwei Durchläufen, um zu sagen: Na, vielleicht gibt es ja eine freiwillige Erfüller-Quote. Dann hat das Wirtschaftsministerium noch versucht, die Auswertungen so statistisch hinzudrehen, dass es einigermaßen passt. Aber selbst mit diesem Hindrehen hat die Quote nicht gereicht. Wirklich geglaubt hat das, glaube ich, niemand, dass die Unternehmen da freiwillig das tun, was sie tun müssten.

DOMRADIO.DE: Jetzt soll es also dieses Lieferkettengesetz geben. Wirtschaftsverbände und Unternehmen kritisieren das. Sie sagen, sie können überhaupt nicht verantwortlich gemacht werden für das, was im Ausland passiert. Es ist ja tatsächlich so, dass ein Produkt, bevor es uns den Laden erreicht, durch viele Hände geht. Ist das nicht vielleicht ein bisschen viel verlangt, das alles zurückzuverfolgen? Geht das überhaupt?

Demele: Ja, das geht. Es gibt Unternehmen, die das zeigen. Es gibt wirklich vorbildliche Unternehmen, die machen deutlich: Wir kommen vom Rohstoff bis zum fertigen Endprodukt in die Lieferkette hinein und wissen, was dort geschieht. Es gibt verschiedene Beispiele übrigens auch von anderen Gesetzen in anderen Ländern, wo das eingefordert wird und wo das gut funktioniert. Die Niederländer haben das gerade mit dem Fokus auf Kinderarbeit gemacht. Die Franzosen haben es auch gemacht, mit einem weitreichenden Fokus. Das ist möglich.

Ich habe selbst in einem mittelständischen Unternehmen gearbeitet und habe dort im Qualitätsmanagement gelernt, wie sehr man darauf achtet, wie die Art der Rohstoffe ist und wie die Art der Zwischenprodukte ist, die letztlich im Endprodukt landen. Das kann man auch machen mit Blick auf die Arbeitsbedingungen und die Umweltstandards. Das ist machbar, und viele machen es ja auch schon.

DOMRADIO.DE: Es bedeutet aber bestimmt auch Mehrkosten. Jetzt ist es so: Viele Menschen in Deutschland müssen jeden Euro dreimal umdrehen. Nicht jeder kann seinen Kindern, sagen wir mal, ständig eine neue Hose für 40 Euro kaufen. Was sagen Sie dazu?

Demele: Zum einen: Ja, es sind mehr Kosten. Aber wir haben im Rahmen der "Initiative Lieferkettengesetz" uns auch das sehr genau angeschaut. Die Kosten sind sehr überschaubar, und vor allem wird es deutlich fairer, wenn alle Unternehmen gezwungen sind, sich daran zu halten. Dann sind das gleiche Wettbewerbsbedingungen, also die Voraussetzungen sind für die Unternehmen gleich. Darum ist es in der Tat wichtig, dass wir möglichst auf eine europäische Ebene kommen, um dieses Gesetz zu etablieren, aber das sieht im Moment ja auch sehr gut aus.

Zum anderen stellt sich die Frage ehrlich gesagt gar nicht so richtig: Muss ich denn wirklich ständig eine neue Hose für 40 Euro kaufen? Das ist, wenn, ein deutsches Sozialstaatsproblem, wenn es Menschen gibt, bei denen das Einkommen nicht dafür reicht, dass sie ihren Kindern regelmäßig angemessene Hosen kaufen können. Dann würde ich sagen, schauen wir uns doch den Mehrwertsteuersatz für Kinderklamotten an.

Dann muss man sich aber auch die Konsumgewohnheiten anschauen. Muss es denn wirklich in diesem Primark-Konsum-Stil jede Woche irgendwas Neues sein, dass zweimal angezogen wird? Das ist mit Sicherheit der Mehrheit der Menschen überhaupt nicht zu unterstellen. Aber das gibt es auch. Papst Franziskus nennt das immer, einen Wandel der Konsumgewohnheiten zu entwickeln, hin zu dem, wie es vielleicht früher mal gewesen ist, wo Dinge auch mehr wertschätzt wurden. Ich glaube, dass das auch etwas ist, was jeden Einzelnen von uns ansprechen sollte.

DOMRADIO.DE: Jetzt werden ja im Moment die Eckpunkte dieses Gesetzes erarbeitet. Ihre Kollegen vom katholischen Entwicklungshilfswerk Misereor kritisieren jetzt aktuell, dass ökologische Aspekte darin zu kurz kämen. Sehen Sie da vielleicht auch eine Gefahr, dass da am Ende noch Hintertürchen aufbleiben für die Wirtschaft?

Demele: Da haben die Kollegen von Misereor vollkommen recht, denn es gibt viele Gefahren für Hintertürchen. Wir haben jetzt den großen Schritt: Ja, das Gesetz soll kommen. Jetzt kommt der zweite, mindestens genauso wichtige Schritt: Wie wird das Gesetz wirklich aussehen?

Da spielen die ökologischen Fragen eine ganz zentrale Rolle, weil gerade die Menschen in ärmeren Ländern in einem Kollektiv von bestimmten Umweltzerstörungen betroffen sind. Da ist auch manchmal die Frage: Wie kann man das überhaupt einklagen? Wie kann man da sagen: Mensch, dieses Unternehmen ist Schuld daran.

Dann ist es natürlich auch wichtig, dass man genau schaut, welche Sozialstandards abgedeckt werden. Wie sieht es mit der Haftung aus? Gibt es wirklich in diesem Gesetz Haftungsformulierungen, wenn Unternehmen gegen diese Sorgfaltspflichten verstoßen? Und: Wie viele Unternehmen werden überhaupt erfasst letztlich – von welcher Größe, welche Reichweite? Das sind alles mögliche Hintertürchen, wo wir jetzt in den nächsten Monaten genau hinschauen müssen, was wirklich genau drin steht in diesem Gesetz.

Das Interview führte Verena Tröster.


Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten / © Piyal Adhikary/EPA (dpa)
Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten / © Piyal Adhikary/EPA ( dpa )

Lieferkettengesetz: Kakao-Bohnen liegen zum Trocknen in einem Lagerhaus auf einem Tuch / © picture alliance / Alex Duval (dpa)
Lieferkettengesetz: Kakao-Bohnen liegen zum Trocknen in einem Lagerhaus auf einem Tuch / © picture alliance / Alex Duval ( dpa )
Quelle:
DR